Beule - Zerlegt die Welt
Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
4,5
hervorragend
Beule - Zerlegt die Welt

Eine quasi perfekte Komödie

Von Gaby Sikorski

Eine Problematik vieler Filmkomödien sind das nachlassende Tempo und ein damit verbundener Spannungsabfall im Verlauf des Films. Sogar diverse Klassiker des Genres weisen diese Delle im letzten Drittel auf, wo die Pointen-Dichte plötzlich nicht mehr ganz so hoch ist. Das ist dann so ähnlich wie bei Popcorn, das zum Ende hin immer seltener poppt, weil die Maiskörner nahezu aufgebraucht sind. Nur sind es in der Komödie die Gags, die schon gezündet (oder verpufft) sind, weshalb dann kaum noch etwas für den Schluss übrigbleibt.

Dann beginnen im Publikum die Blicke aufs Handy, wie lange der Film wohl noch dauern mag. Nur sehr wenigen Filmkomödien ist es bisher gelungen, beim Zugriff auf das amüsierwillige Zwerchfell der Kinofans nicht nachzulassen – und bis zum Schluss komplett durchzuziehen. „Die Marx Brothers im Krieg“, Blake Edwards‘ „Der Partyschreck“ und „Manche mögen’s heiß“ von Billy Wilder gehören zu dieser raren Spezies. Aber jetzt kommt Zuwachs, und zwar mit Janek Riekes „Beule - Zerlegt die Welt“. Denn „Beule“ hat keine Delle.

Die wohl kürzeste Zündschnur der Welt

Wenn es ein glückliches Paar auf dieser Welt gibt, dann sind es Olli (Janek Rieke) und Anja (Julia Hartmann). Das findet Olli, das finden ihre zahlreichen Freund*innen, und auch Anja ist beinahe zufrieden mit ihrer glücklichen Beziehung … aber eben auch nur beinahe, denn Anja wünscht sich ein Kind und will eine richtige Familie gründen. Nicht zuletzt deshalb, weil Olli zur See fährt und sie oft monatelang allein ist. Ihr Partner ist von diesem Plan nicht ganz so überzeugt. Generell misstraut er Veränderungen – und vor allem misstraut er sich selbst, denn sein Spitzname „Beule“ kommt nicht von ungefähr: Olli steht mit seiner Impulskontrolle ziemlich auf Kriegsfuß und hat eine sehr, sehr kurze Zündschnur. Sobald er sich auf seinen monatelangen Seereisen über irgendwas oder irgendjemanden ärgert, müssen ihn seine Kumpels schon mal ein paar Tage lang in den Schrank sperren, um größere Schäden an Schiff und Besatzung zu verhindern.

Auf Dauer ist Olli jedoch Anjas Überredungskünsten nicht gewachsen, und so ist bald doch der erste Nachwuchs unterwegs. Die Schwangerschaft verändert Anja auf verblüffende Weise: Denn nun ist es Anjas Impulskontrolle, die Risse bekommt, und die sonst so liebenswürdige, immer freundliche Anja mutiert in Sekundenschnelle zum angsteinflößend schreienden Monster. Aber weil Olli mit einem gesunden Überlebensinstinkt ausgestattet ist, fährt er notfalls auch um Mitternacht zur Tanke, um für Anja Himbeereis zu holen. Wobei dabei auch die Tankstellenverkäuferin Mia (Nilam Farooq) einen Anteil haben dürfte. Ausgerechnet als bei Anja die Wehen einsetzen, treffen Mia, Olli und Anja bei der Fahrt ins Krankenhaus erstmals aufeinander – und als Mia dann auch noch ihren Alleinvertretungsanspruch bei Olli deutlich macht, bricht endgültig das ganz große Chaos aus…

Nach langem Hin und Her entscheiden sich Olli (Janek Rieke) und Anja (Julia Hartmann) doch noch dafür, ein Kind zu bekommen. Filmwelt
Nach langem Hin und Her entscheiden sich Olli (Janek Rieke) und Anja (Julia Hartmann) doch noch dafür, ein Kind zu bekommen.

Es gibt Filme, die treffen einen vollkommen unerwartet, so wie einer von Ollis derben, aber präzise ausgeführten Keulenschlägen. „Beule“ ist so ein Film, der scheinbar aus dem Nichts kommend mit Schmiss, Wucht und jeder Menge Verve eine virtuos komponierte Farce auf die Leinwand wirft. Janek Rieke, als Schauspieler vor allem bekannt aus etlichen TV-Produktionen, hat auch das Drehbuch geschrieben – und zwar als Bauplan für eine perfekt geölte Komödien-Maschinerie, die er am Drehort mit sich selbst in der Hauptrolle und einer Gruppe kongenial agierender Komödienprofis zusammengeschraubt und zum Abschnurren gebracht hat.

Wer sich ein wenig mit dem Komödiengenre befasst hat, weiß, welche Bedeutung das Timing hat, wenn man Menschen zum Lachen bringen will. Janek Rieke entpuppt sich als Großmeister des komödiantischen Timings, nicht nur als Schauspieler, sondern erst recht als Regisseur. Selten gab es in den letzten Jahren einen deutschen Film, in dem die Pointen derart präzise gesetzt werden, in dem die Darsteller*innen scheinbar anstrengungslos einen gemeinsamen Rhythmus finden, ganz bei sich und ihren Rollen bleiben und dabei doch jederzeit für das Publikum spielen. Aus dem homogenen Comedy-Ensemble stechen Rieke selbst und Julia Hartmann als Anja heraus. Die Bandbreite, die Julia Hartmann in dieser Rolle abliefert, ist schlicht atemberaubend. Von total niedlich bis diabolisch hat sie alles drauf und schafft es auch noch, dem Publikum in den knalligsten Momenten den einen oder anderen Zwischenton unterzujubeln: Das ist großes, komisches Kino, Chapeau!

Der direkte Weg zur Komik

Janek Rieke selbst weiß auch als Hauptdarsteller in jeder Sekunde genau, was er tut, und passt seine Mittel jeder Szene an: vom Ganzkörpereinsatz bis zum diskret entsetzten Großes-Augen-Bekommen nutzt er jede Gelegenheit zum komischen Effekt, ohne jemals die eigene Figur für einen Lacher zu verraten. „Beule“ ist mit Sicherheit nichts für Feingeister oder zartbesaitete Gemüter, sondern eine knallige, schrille Farce, bei der öfters die Fäuste fliegen und – im Rahmen des bescheidenen Independent-Budgets – auch ordentlich Sachschaden angerichtet wird.

Psychologische Finessen sucht man hier vergeblich, denn oft sind es bekanntlich Stereotypen, die den direkten Weg zur Komik weisen. „Beule - Zerlegt die Welt“ ist erst der zweite Spielfilm von Janek Rieke, der 1998 mit „Härtetest“ sein vielbeachtetes Komödiendebüt gab, danach aber den Regiestuhl verstauben ließ, um als vielbeschäftigter TV-Darsteller zu reüssieren. Man kann nur dankbar sein, dass er dieses Regie-Sabbatical unterbrochen hat, um „Beule“ zu drehen. Und man darf vielleicht hoffen, dass die nächste Janek-Rieke-Komödie nicht wieder so lange auf sich warten lässt.

Fazit: „Beule - Zerlegt die Welt“ ist eine handwerklich perfekte Filmkomödie, übrigens ganz ohne öffentliche Fördermittel entstanden. Über 79 kurzweilige Filmminuten absolviert ein extrem diszipliniertes, gut aufgelegtes und spielwütiges Ensemble in perfektem Timing einen Parcours absurder Situationen, die so schräg wie lustig sind, aber dabei immer auch irgendwie liebenswert. Eine gute Portion Albernheit ist auch noch dabei. Das Einzige, was man dieser komödiantischen Tour de Force vorwerfen könnte, ist, dass sich der dahinterstehende Ehrgeiz darauf beschränkt, das Publikum zum Lachen zu bringen. Da dies jedoch meisterlich gelingt, gibt’s eine Hymne und verdiente 4,5 Sterne.

Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
Das könnte dich auch interessieren