Der Mann hinter den Beatles
Von Susanne Gietl„All You Need Is Love”, haben John Lennon und Paul McCartney 1967 gesungen. Dabei müsste es eigentlich heißen: „All You Need Is Love – and Brian Epstein.“ Der Kaufmannssohn pushte die Beatles in den 1960ern nicht nur in Großbritannien an die Spitze der Charts, sondern machte sie weltweit berühmt. Regisseur Joe Stephenson hat diesem Mann hinter den Beatles mit „Midas Man“ nun ein filmisches Denkmal gesetzt:
„Wenn es einen fünften Beatle gegeben hat, dann war es Brian Epstein.“ Stephenson konzentriert sich dabei vor allem auf Epsteins Leidenschaft für die Beatles, betont aber auch dessen dunkle Stunden in Einsamkeit, Depression und Tablettensucht. Trotz der düsteren Themen gelingt ihm ein Biopic in nicht gar so düsteren Tönen, wie man vielleicht vermuten möge. Aus rechtlichen Gründen aber leider ganz ohne originale Beatles-Songs, was dem Film ein Stück seines Vibes nimmt.
Brian Epstein (Jacob Fortune-Lloyd) ist der geborene Verkäufer. Immer adrett, immer mit dem richtigen Spruch auf den Lippen – und mit der Nase fürs richtige Geschäft ausgestattet. Eben ein Midas Man, der alles in Gold zu verwandeln mag, was er anfasst. Gleich zu Beginn sitzt Jacob Fortune-Lloyd („See How They Run“) mit seinen 1,88 Metern im Schaufenster eines Möbelshops auf einem Sofa. Er wirkt aufgrund seiner Größe deplatziert und erzählt sodann: „Meine Träume sind ein bisschen größer als dieses Schaufenster.“
Ein schönes Bild für einen Mann, der schon längst größere Ambitionen hat, als in Liverpool Möbelträume zu verkaufen. Also wandelt er das Geschäft mit Erlaubnis seines Vaters (Eddie Marsan) in einen Plattenladen um. Er verspricht, jede Platte innerhalb von fünf Tagen besorgen zu können. Als die Beatles-Single „My Bonnie“ vorbestellt wird, erfährt er durch Zufall von seinem Assistenten Alastair Taylor (Milo Parker), dass die „Hamburger“ in Wirklichkeit aus Liverpool stammen…
Die Beatles treten zu dem Zeitpunkt, als sie Brian Epstein zum ersten Mal sieht, als „Mittagssnack“ im Liverpooler Cavern Club auf. Epstein sieht das Potenzial der vier ungehobelten Typen in Lederkluft und wittert die Chance, mit ihnen ins Musikgeschäft einzusteigen. Dafür poliert er das Image der „vier kleinen Hamburger“ kräftig auf, lässt ihre Haare nochmal nachschneiden, steckt sie in Anzüge, übt mit ihnen, wie man sich konzertiert verbeugt – und er gewöhnt vor allem John Lennon (Jonah Lees) das Fluchen ab. Er geht bei vielen Plattenfirmen hausieren, für einen Plattendeal mit Parlophone wirft Epstein schließlich sogar den Schlagzeuger Pete Best (Adam Lawrence) aus der Band.
Zwar bleibt Regisseur Joe Stephenson trotz ein paar erzählerischer Abkürzungen der Geschichte der Beatles treu. Zugleich nimmt er sich aber auch den Raum, um Epstein als tragische Figur zu inszenieren. Nachts schleicht sich Epstein aus dem Haus, um mit fremden Männern an schummrigen Orten heimlich Sex zu haben. Homosexualität ist zu diesem Zeitpunkt in England noch strafbar. Seine liebreizend sorgenvolle Mutter (Emily Watson) warnt ihn vor seinen Alleingängen. Später lernt der Beatles-Manager den erfolglosen Schauspieler Tex Ellington (Ed Speleers) kennen. Tex ist angelehnt an den Jazzmusiker Dizzy Gillespie, der den Beatles-Manager ausnutzte und mehrfach erpresste. Leider gibt er der Story wenig Mehrwert.
Die anderen Bands, die Epstein auch managte, werden kurz auf einer Treppe aufgereiht und der Reihe nach aufgezählt. Wieder einer dieser Shortcuts, die wahrscheinlich auch gut fürs knappe Budget waren. Nur Cilla Black (Darci Shaw) bekommt als sympathische Garderobiere im Cavern Club, Sängerin und gute Freundin von „Eppy“, wie sie ihn liebevoll nennt, mehr Screentime. Der Prozess, wie es zu „Midas Man“ kam, war sehr langwierig. Der Film war bereits seit 2019 in der Mache. Nachdem erst Jonas Åkerlund und dann Sara Sugarman aufgrund von kreativen Differenzen (u. a. einem zu teuren Castingwunsch: Florence Pugh als Cilla Black) ausgestiegen waren, sprang Joe Stephenson erst ein paar Wochen vor Drehbeginn (2022) auf den Regiestuhl. Auch den Schnitt übernahm Stephenson. Dabei konzentriert er sich eindeutig auf Epstein, nicht auf die Beatles.
Keiner der Auftritte der Beatles ist in Gänze zu sehen. Die Erfolgsstationen und spätere Welttournee fasst Epstein wie ein Reporter vor einer Landkarte mit prägnanten Szenen in Splitscreens zusammen. Sicher eine kostengünstigere Variante, aber auch eine vertane Chance für ein bisschen Beatles-Flair. 1964 reicht noch ein Wasserglas, um eine Tablette einzunehmen, dazu ein Schluck Whiskey. 1966 wird die Tablette schon im Whiskey aufgelöst, dazu eine Zigarette, Epstein wirkt zunehmend fahriger. Dabei erzählt Epstein seine Geschichte größtenteils selbst, durchbricht dafür immer wieder die vierte Wand. Am Ende sind es aber tragischerweise trotzdem die Reporter, die nach all den unermüdlichen Mühen und der Selbstaufgabe die Geschichte von Brian Epstein und damit auch die Geschichte der Beatles erzählen werden.
In „Midas Man“ sind die Beatles allesamt glaubhaft, ungefähr gleich alt und auch die kumpelhafte Energie innerhalb der Band stimmt. Stephenson lässt die Schauspieler allesamt selbst singen, was durchaus gut funktioniert. Musiker Blake Richardson eifert als Paul McCartney dem einstigen Beatle nach, spielt, obwohl er selbst Rechtshänder ist, mit links – und imitiert selbst das berühmte Kopfwackeln. Auch der für die Rolle eigentlich zu große Leo Harvey-Elledge als George Harrison, Campbell Wallace als Ringo Starr und ein 1,73 Meter kleiner Jonah Lees als 1,80 Meter großer John Lennon passen gut ins Bild der Beatles.
Generell ist das Biopic aber zu brav. „Wir sind eine Rock ‘n Roll-Band, kein Kirchenchor“, sagt John Lennon zu Brian Epstein. Leider spürt man davon nur wenig. Der Schweiß tropft nicht von der Decke, das Publikum im Cavern Club schunkelt ein wenig, der typische Beatles-Groove aber fehlt. Vielleicht war es auch keine gute Idee, dass Joe Stephenson ikonische Auftritte fast eins zu eins kopiert hat – ohne ihnen musikalisch Rechnung tragen zu können.
Schön sind hingegen die kleinen Seitenhiebe, wie der von John Lennon beim Auftritt der Royal Variety Show: „Die Leute auf den billigeren Plätzen klatschen bitte in die Hände. Und der Rest von euch: Klimpert einfach mit eurem Schmuck.“ Und dann spielt die Band – jedenfalls im Film – „Money (That's What I Want)“. Tatsächlich ist „Twist & Shout“ der krönende Abschluss des royalen Gigs gewesen. „Money“ hingegen wirkt als Kommentar ein bisschen plump.
Und damit zeigt sich eines der Probleme von „Midas Man“, die sich bis in den Plot ziehen. Da sich Sony bis zum Schluss bedeckt hielt, ob es die Musikrechte an den Film vergeben werden, wurde die enge Beziehung von Epstein und Lennon nicht herausgearbeitet – aus Angst, Sony würde musikalisch einen Rückzieher machten. Die gemeinsame Spanienreise von Brian Epstein und John Lennon wird bei ihrer ersten Begegnung nur angedeutet, ihre kreative Symbiose kann man anhand der wenigen Zitate, die Jonah Lees zu sagen bekommt, nur erahnen.
Auch Musikproduzent George Martin, der ebenfalls maßgeblich an dem Erfolg der Band beteiligt war, bekommt wenig Raum. Epstein hingegen wird zum Sympathieträger. Man muss Epstein einfach mögen, wenn er im Gespräch mit George Martin selbstironisch zum perfekten Verkäufer wird: „Überall, wo ich hingehe, da lachen die Leute über mich. Wir könnten ein gutes Team bilden.“ Dass auch im Beatles-Universum nicht immer alles eitel Sonnenschein war, das wird leider verschwiegen.
Fazit: „Midas Man“ ist ein queeres, gut recherchiertes Biopic über den Mann hinter den Beatles, das ikonische Auftritte der Beatles gerne filmisch zitiert, ohne dem Rock ’n’ Roll (wohl auch aus Budgetgründen) wirklich gerecht werden zu können. Unterhaltsam sind Brian Epstein und sein überragendes Verkaufstalent aber trotzdem allemal.
Wir haben „Midas Man“ auf dem 31. Jüdischen Filmfestival Berlin Brandenburg gesehen.