Grüße vom Mars
Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
3,5
gut
Grüße vom Mars

Nein, mit Elon Musk hat das zum Glück alles nichts zu tun

Von Ulf Lepelmeier

Im Familienfilm „Grüße vom Mars“ dreht sich alles um den zehnjährigen Tom (Theo Kretschmer), der davon träumt, als erster Mensch zum Mars zu fliegen. Aber wo die Planung der intergalaktischen Mission seine Fantasie und Kreativität beschäftigt, hält er im Alltag pedantisch an festen Regeln und Strukturen fest. Seine außergewöhnlichen Fähigkeiten im mathematischen Denken helfen ihm dabei, seine Welt zu ordnen, doch wenn etwas Unvorhergesehenes passiert, wird Tom schnell von Reizüberflutung und Panik übermannt.

Regisseurin Sarah Winkenstette („Zu weit weg“) gelingt es in ihrem zweiten Spielfilm, Ängste und Überforderungen als natürlichen Teil des Lebens darzustellen, ohne dabei in Betroffenheitsklischees zu verfallen. Stattdessen erzählt sie mit Feingefühl und Humor von einem Jungen mit einer Autismus-Spektrum-Störung, der lernt, seine Komfortzone zu verlassen und sich seinen persönlichen Herausforderungen zu stellen.

Vera (Eva Löbau) muss kurzfristig nach China – und deshalb nach einer Lösung für ihre drei Kinder suchen, was vor allem wegen Toms Autismus-Spektrum-Störung gar nicht so leicht ist. farbfilm verleih
Vera (Eva Löbau) muss kurzfristig nach China – und deshalb nach einer Lösung für ihre drei Kinder suchen, was vor allem wegen Toms Autismus-Spektrum-Störung gar nicht so leicht ist.

Tom lebt mit seiner Mutter Vera (Eva Löbau) und seinen beiden älteren Geschwistern in Hamburg. Sein Universum besteht aus Regeln, festen Abläufen und seiner Leidenschaft für das Weltall. Doch als seine Mutter kurzfristig beruflich nach China muss, steht er plötzlich vor einer ganz anderen Herausforderung: sechs Wochen bei den Großeltern auf dem Land. Um ihm die Umstellung zu erleichtern, schenkt ihm seine Mutter ein Logbuch mit der Idee, den Aufenthalt als Probe-Marsmission zu betrachten.

Denn wenn er die Zeit im fernen Dorf Lunau mit den unbekannten Großeltern besteht, sollte er es auch zum Mars schaffen. Tom nimmt die Herausforderung an und ernennt seine telefonverliebte Schwester Nina (Lilli Lacher) zur Funkerin und seinen hyperaktiven Bruder Elmar (Anton Noltensmeier) zum Ersten Offizier. Gemeinsam bricht das Trio zum Planeten Lunau auf – eine Reise voller unvorhersehbarer Komplikationen und neuer Erkenntnisse…

Warnfarbe Rot

Basierend auf dem gleichnamigen Kinderbuch von Thomas Möller und Sebastian Grusnick, die auch selbst das Drehbuch verfasst haben, lernen wir Tom kennen, wie er in einem umgebauten Schrank sitzt. Es ist sein persönlicher Rückzugsort, in dem er sich sicher fühlt. Hier kann er sich in seine Gedankenwelt vertiefen und sich ganz seiner Astronomie-Leidenschaft widmen. Doch als seine Mutter die Schranktür öffnet, lösen ihre roten Fingernägel schon beinahe eine Panikattacke bei ihm aus. Rot ist für Tom eine überwältigende Farbe, die er mit Blut, Warnschildern und Notfallsituationen verbindet.

Winkenstette nutzt verschiedene audiovisuelle Stilmittel, um die Wahrnehmung ihres zehnjährigen Protagonisten für das Publikum greifbar zu machen. Wenn er überfordert ist, verzerren sich Geräusche, Stimmen verschwimmen zu undefinierbarem Lärm, und das Bild beginnt zu flackern und unscharf zu werden. So wird seine sensorische Reizüberflutung nicht nur verständlich, sondern auch spürbar. Gleichzeitig setzt der Film weiße Zeichnungen als Animationselemente ein, um Toms Fantasien und seine auf Mustern und Zahlen basierenden Gedanken sichtbar zu machen: Das Auto der Familie wird kurzerhand zum Raumschiff der Lunau-Mission, und der vollgestellte Dachboden verwandelt sich in ein strukturiertes Observatorium.

Auf dem Land bei seinen Großeltern fühlt sich Tom (Theo Kretschmer) zunächst so fremd wie auf dem Mars. farbfilm verleih
Auf dem Land bei seinen Großeltern fühlt sich Tom (Theo Kretschmer) zunächst so fremd wie auf dem Mars.

„Grüße vom Mars“ zeichnet sich durch eine leichtfüßige Erzählweise aus. Obwohl die Ängste des Jungen, der am liebsten in einem Raumanzug umherläuft, ernst genommen werden, kippt der Film nie ins Schwere. So manövrieren die Hippie-Großeltern ihre drei Enkel mit ihrem lockeren Lebenswandel auf dem Land und nicht vorhandenem W-LAN aus ihren Komfortzonen heraus und sorgen damit für manchen amüsanten Moment. Ohne Tom als bemitleidenswerten Außenseiter zu inszenieren, verdeutlicht Winkenstette allerdings auch, wie herausfordernd es für ihn und sein Umfeld ist, die für ihn so wichtigen Regeln und Strukturen einzuhalten oder diese gar zu versetzen. Dabei wird deutlich, dass es nicht darum gehen kann, dass Tom sich einfach anpassen muss, sondern wie er sich seinen ganz eigenen Weg durch den Alltag bahnen kann.

Kleine Fortschritte, wie das Durchschreiten einer roten Tür, können dabei bereits für eine große persönliche Veränderung stehen. Theo Kretschmer verkörpert den immer etwas fragend und verängstigt dreinblickenden Tom mit beeindruckender Sensibilität. Obwohl dies seine erste Filmrolle ist, meistert er die Herausforderung, Toms Verunsicherung, seine Panikzustände, aber auch seine Entschlossenheit glaubhaft darzustellen. Gerade in der finalen Szene, wenn Tom zum ersten Mal ein offenes Lächeln zeigt, entsteht das Gefühl, ihn auf einem bedeutenden Entwicklungsschritt begleitet zu haben.

Fazit: „Grüße vom Mars“ ist leichtfüßig-amüsantes Familienkino, das auf einfühlsame Weise die Welt eines besonderen Jungen erkundet. Der Film erzählt vom Anderssein, großen und kleinen Herausforderungen und der Suche nach dem eigenen Platz in der Welt. Ein warmherziges Abenteuer für die ganze Familie.

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