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    Krähen - Die Natur beobachtet uns
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Krähen - Die Natur beobachtet uns

    Sie sind überall ... und sie beobachten uns!

    Von Gaby Sikorski

    Sie sind nicht nur unsere neugierigen Begleiter seit Urzeiten, sondern Profiteure menschlichen Fortschritts und Reichtums, menschlichen Versagens und menschlicher Grausamkeit. Überall, wo der Mensch ist, sind auch Rabenvögel: auf den Müllkippen der Mega-Citys, in Sportarenen, in Kriegsruinen und auf Schlachtfeldern. Sie haben die Städte erobert, wo sie sich über Abfalleimer und Mülltonnen hermachen, denn sie fressen das, was Menschen zurücklassen. Wie der Mensch sind sie Stadtbürger geworden – oder Pendler, die zur Futtersuche morgens in die Stadt fliegen und abends in ihre Behausung im Umland zurückkehren. Ihre Nester liegen direkt an der Autobahn, auf Strommasten, in Nischen von Hochhäusern, auf Dächern und Straßenbäumen. Das künstliche Licht der nächtlich erleuchteten Metropolen gibt ihnen Schutz und Sicherheit.

    Die intelligenten, kommunikativen Rabenvögel erkennen sich selbst und ihre Artgenossen am Aussehen und an der Stimme, und nicht nur das: Sie geben ihr Wissen an nachfolgende Generationen weiter. Die geheimnisvolle Aura, die Krähen und Raben umweht, findet in Mythen und Legenden überall auf der Welt ihren Niederschlag: Im alten Ägypten galt der Rabe als Symbol der Weisheit sowie als Vermittler zwischen der Welt der Lebenden und der Toten. In der griechischen Sagenwelt ist der Rabe der heilige Begleiter Apollos, zwei Raben sind die Boten des germanischen Gottes Odin, eine Krähe begleitet die Hindugöttin Kali und die Sonnengöttin im alten Japan.

    Krähen spielen und lernen – wie menschliche Kinder auch!

    Der bildstarke, sehr unterhaltsame Dokumentarfilm „Krähen – Die Natur beobachtet uns“ von Martin Schilt nimmt gleich zu Beginn den mythologischen Background der ubiquitären Rabenvögel auf – eine künstlerisch gelungene Schwarz-Weiß-Animation zeigt die Rabenvögel als Begleiter des Menschen von der Steinzeit bis heute. Da löst sich eine Krähe aus den Höhlenbildern von Lascaux und fliegt gleichsam durch die Jahrtausende. „Kein Tier kennt uns besser ...“, heißt es dazu. „Seit Menschengedenken begleiten sie uns wie schwarze Schatten.“ Elke Heidenreich spricht die recht sparsamen Kommentare, und gleich vorweg: Sie macht es gut, mit ihrer sanft modulierenden Stimme, unaufgeregt und freundlich bis humorvoll.

    Ihre Texte sind dabei eher literarisch als informativ – fast alles, was mit Informationen zu tun hat, wird im Film von Fachleuten vermittelt, die Martin Schilt im Rahmen seiner aufwendigen Recherchen auf vier Kontinenten besucht. In den Hauptrollen sind die Rabenvögel selbst zu sehen, mindestens sechs verschiedene Arten, die sich teilweise äußerlich kaum unterscheiden, aber in ihrem Verhalten, je nach Lebensraum, sehr unterschiedliche Fähigkeiten entwickelt haben. Überall leben sie von der Plünderung der menschlichen Existenz, von den Hinterlassenschaften der Zivilisation. Dazu gehören Essensreste, aber auch Aas von verendeten und gejagten Tieren sowie mit selbst gefertigten Werkzeugen gefangene Würmer oder Kleintiere. Die Rabenvögel profitieren aber nicht nur von dem üppigen Nahrungsangebot, das ihnen die Menschen frei Haus liefern, sondern auch von anderen Errungenschaften der Zivilisation.

    Am liebsten an der Seite der Menschen

    Die asiatische Dschungelkrähe hat etwa den Großstadtdschungel erobert. In Japan klaut sie gerne Drahtbügel von Wäscheständern und baut sich daraus ihr Nest. In der Wildnis arbeiten Rabenvögel oft mit Wölfen und Bären zusammen, aber auch mit Menschen: Den jagenden Innuit im Norden Kanadas verraten sie durch ihr Krähen die Standorte von Karibu-Herden, an deren Kadavern sie sich später gütlich tun. Doch woher kommt diese Neigung der Rabenvögel, sich dem Menschen anzuschließen? Ganz einfach: In den Augen der Krähen ist der Mensch der beste und erfolgreichste Jäger. In seiner Nähe finden sie Schutz, Sicherheit und vor allem ein nahezu unbegrenztes Nahrungsangebot.

    Martin Schilts These lautet: Die Rabenvögel beobachten uns, sie passen sich an, lernen von uns, und sie werden dabei immer intelligenter. Dazu befragt Schilt eine Reihe von interessanten Gesprächspartner*innen und Fachleuten. Bei ihm kommen Angehörige von indigenen Völkern ebenso zu Wort wie Forschende, die sich überall auf der Welt mit dem Verhalten und den Fähigkeiten von Rabenvögeln beschäftigen. Der deutschamerikanische Biologe Bernd Heinrich ist dabei – er ist ein echter Krähen-Fan. Als kleiner Junge zog er eine Krähe groß, seine Forschungen über die Kommunikation der Rabenvögel gelten als grundlegend. Der US-Zoologe John Marzluff beschäftigt sich mit den kognitiven Fähigkeiten von Krähen und mit der Weitergabe der damit verbundenen Informationen. Er entdeckte durch Zufall, dass Krähen sich an Gesichter erinnern können. Und sogar der Raven Master im Tower of London kommt zu Wort. Er ist zuständig für das Wohl der königlichen Raben, die schon deshalb behütet und gepflegt werden müssen, weil der Sage nach das britische Imperium untergeht, wenn die Raben den Tower verlassen.

    Krähen sind überall – und sie beobachten uns, um von uns weitere nützliche Dinge zu lernen…

    Das und manches andere ist vielleicht schon bekannt, wie zum Beispiel, dass sich Krähen versammeln, um sich untereinander auszutauschen, so wie Tratschtanten. Doch der Film bietet eine Unmasse zusätzlicher Informationen – jede Menge geballtes Wissen zum Thema, und das Ganze wird in faszinierenden, sorgfältig komponierten Bildern serviert, die über mehrere Kontinente und Jahreszeiten vom Leben der Rabenvögel, von ihrer Intelligenz und ihrer symbiotische Beziehung zum Menschen erzählen. Dabei zeigen sich – ganz und gar nicht zufällig – immer mehr Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Krähe: Hier wie dort gibt es Neugier und Misstrauen, und junge Krähen sind wie kleine Kinder extrem lernfähig, was auch bedeutet, dass sie spielen können. Ihre Individualität ist ihnen ebenso wichtig wie der Schutz der Gemeinschaft. Letztlich lautet die Essenz von Martin Schilts Film: Wir Menschen können von den Krähen lernen. Sie zeigen uns, wie man genau beobachtet, zuhört und dabei immer klüger wird. Und sie sind überall ...

    Fazit: In herrlichen Bildern serviert Martin Schilt ein Kaleidoskop der Beziehung zwischen Mensch und Krähe. Von den knallbunten Fahrgeschäften des Wiener Praters über die dampfenden Müllhalden Mumbais bis in die schneebedeckte Wildnis Kanadas reicht das Spektrum dieses handwerklich gut gelungenen Dokumentarfilms, der Rabenvögel rund um die Welt zeigt und ebenso unterhaltsam wie informativ über ihr Verhalten und ihre besonderen Fähigkeiten berichtet.

     

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