Upper statt Downer!
Von Christoph PetersenPark Chan-wooks „Oldboy“ ist fraglos ein Meisterwerk – und einer der niederschmetterndsten Filme aller Zeiten. Für seine US-Version mit Josh Brolin, Elizabeth Olsen und Samuel L. Jackson fiel Regisseur Spike Lee allerdings nicht viel mehr ein, als die Vorlage zu entschärfen, ohne ihr im Gegenzug etwas wirklich Eigenständiges hinzuzufügen. Deshalb war durchaus Skepsis angebracht, als der „Do The Right Thing“-Schöpfer ausgerechnet ein Remake von Akira Kurosawas noch größerem, mindestens ebenso niederschmetternden Meisterwerk „Zwischen Himmel und Hölle“ („High And Low“) ankündigte. Aber die Sorgen waren unbegründet. Denn in „Highest 2 Lowest“ schert sich Lee deutlich weniger um den Plot oder den Ton der Vorlage, bringt dafür aber eine unverkennbare persönliche Handschrift mit, zu der – unter anderem – ein gehöriges Maß guter Laune gehört.
Im schwarz-weißen Original aus dem Jahr 1963, das wiederum auf dem US-Krimi „King’s Ransom“ von Ed McBain basiert, steht der wohlhabende Kingo Gondô (Toshirô Mifune) nicht nur im Zentrum des Films, er thront mit seinem großen Haus auf einem Hügel auch regelrecht über Yokohama. Hier setzt er alles auf eine Karte, um sich durch einen vertrackten Businessdeal den nötigen Einfluss zu sichern, um weiterhin hochwertige Schuhe produzieren zu können (während seine Konkurrenten im eigenen Unternehmen auch mit billigem Schund vorlieb nehmen würden). In der Neuauflage verkörpert Denzel Washington nun den Musikproduzenten David King, der in Zeiten der KI-Konkurrenz sein eigenes Label zurückzukaufen versucht und von seinem Penthouse aus ganz Manhattan überblicken kann.
Was beide Versionen gemein haben, ist eine zentrale Verwechslung: Erpresser haben geplant, Davids Sohn Trey (Aubrey Joseph) zu entführen, aber aufgrund einer Verwechslung schnappen sie sich stattdessen Kyle (Elijah Wright), Treys besten Freund und Sohn von Davids Fahrer Paul (Jeffrey Wright). Während die Polizei noch auf der Stelle tritt, muss der Musikmogul entscheiden, ob er auch für seinen Patensohn die geforderten 17,5 Millionen Dollar in Schweizer Franken zu zahlen bereit ist. Zumal die Summe dafür sorgen würde, dass er sein Label wohl endgültig verliert...
Die (doppel-)moralischen Diskussionen, ob man das Geld auch für einen anderen Jungen zahlen sollte oder nicht, spielen sich in „Zwischen Himmel und Hölle“ fast ausschließlich in einem Wohnzimmer ab. Trotz dieser kammerspielartigen Anmutung werden diese Sequenzen aber nicht von ungefähr in Filmschulen rauf und runter gelehrt: Allein wie Kurosawa seine Figuren in den vor Anspannung regelrecht berstenden Cinemascope-Bildern anordnet, ist eine einzige Masterclass in Sachen Regie.
Lee hegt solche hohen inszenatorischen Ansprüche nicht mal im Ansatz. Das macht er schon mit dem neuen Logo deutlich, das mit seinem Graffiti-Look kaum weiter von Kurosawas Strenge entfernt sein könnte und so eher an eine Hip-Hop-Komödie aus den Neunzigern erinnert. Manchmal grenzt „Highest 2 Lowest“ mit seinen Hochglanzbildern und seinem Klavierscore sogar an eine melodramatische Soap. Zusammengehalten wird dieser Part deshalb vor allem von einigen spannenden Ideen, wie sich der bekannte Plot durch die Existenz Sozialer Medien wohl heutzutage anders gestalten würde, sowie der ultracharismatischen Performance von Denzel Washington.
Der Titel von „High And Low“ steht ja auch ganz geografisch dafür, dass die Habenden tatsächlich oben leben, während der Rest unten in der Stadt buchstäblich vor sich hinvegetiert. Aber bei dieser Gesellschaftsanalyse geht Lee in seiner Neuinterpretation schlicht nicht mit – und deshalb findet „Highest 2 Lowest“ völlig zu sich selbst, sobald die Lösegeldzahlung ansteht: Im Original ist es noch eine regelrecht prozedurale Sequenz, in der die Inszenierung jeder einzelnen Einstellung ebenso kalt und präzise ist wie der Plan der Kidnapper. Im Remake wiederum scheint sich Lee gar nicht besonders um den Thriller-Aspekt der Geldübergabe zu scheren. Stattdessen nutzt der New Yorker die vom Erpresser geforderte U-Bahn-Fahrt, um ein triumphales Feuerwerk für seine Heimatstadt – sowie ihre Sportteams und Communitys – abzufackeln:
Lee ist ja bekanntlich seit Jahrzehnten ein glühender Fan der New York Knicks (selbst bei der Cannes-Pressekonferenz zu „Highest 2 Lowest“ trug er ein entsprechendes Trikot und Cap). So ist die Fahrt durch die Stadt voll mit Anspielungen auf die Heimteams und ihre liebsten Fanrivalitäten. Außerdem schneidet er mittendrin zu einem Straßenfest für die puertoricanische Community, das bei jedem anderen Regisseur nur dazu dienen würde zu erklären, warum die Polizeiwagen nicht weiterkommen. Aber Lee holt nicht nur die Stars Rosie Perez und Anthony Ramos auf die Bühne – er lässt den legendären Latin-Jazz-Pianisten Eddie Palmieri auch ein ganzes Stück spielen. So stellt Lee der erdrückenden Desillusion des Originals gemeinsames Feiern und Anfeuern gegenüber.
Im Original glaubt man lange, dass sich hinter dem Kidnapper doch bestimmt eine Art Robin-Hood-Figur verbirgt, die aus Armut dazu gezwungen wurde, von den Reichen zu nehmen. Aber Pustekuchen – Kurosawa unterläuft diese Publikumserwartung auf eine Weise, dass es einem regelrecht den Boden unter den Füßen wegzieht (vor allem bei einer Szene in einer Drogenhöhle, in der der Täter seine Überdosis-Mixtur an einer völlig fertigen Prostituierten „austestet“). Lee steigt in „Highest 2 Lowest“ bei Weitem nicht ganz so tief in die menschlichen Abgründe hinab – und trotzdem hat er einen hervorragend funktionierenden Weg gefunden, um dieselben Themen auf eine moderne Art zu diskutieren.
Wir wollen hier gar nicht verraten, wie genau das abläuft, aber sie führt auf jeden Fall zu Lees persönlicher, von manch einem vielleicht sogar als etwas naiv-kitschig empfundenen, aber nach dem Film absolut verdienten Moral von der Geschichte: weniger Gangsta-Rap und mehr Aretha Franklin wagen…
Fazit: Spike Lee macht aus einem gnadenlosen Downer einen gutgelaunten Upper! Aber das nicht etwa, weil sich eine positive Botschaft in den USA einfach besser verkauft. Stattdessen zieht Lee hier – anders als bei seinem mehr schlecht als recht abgekupferten „Oldboy“-Remake – einfach von Anfang bis Ende sein ganz eigenes Ding durch. Ein echter „Spike Lee Joint“ eben – inklusive einer Performance seines „Malcolm X“-Stars Denzel Washington, die passend zu seinem Rollennamen David King tatsächlich über allem thront!
Wir haben „Highest 2 Lowest“ beim Cannes Film Festival 2025 gesehen, wo er außer Konkurrenz seine Weltpremiere gefeiert hat.