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    Un/Dressed
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,0
    schlecht
    Un/Dressed

    Streaming-Seifenoper mit ein paar nackten Pobacken

    Von Jochen Werner

    Das populäre Kino und der Sex standen über weite Strecken der Filmgeschichte in einem überaus fruchtbaren Austausch – auch wenn die Produkte dieser Verbindung oft kontrovers bewertet wurden. Die Tabubrüche des frühen Films jedoch schrieben allesamt Kinogeschichte: der erste Leinwandkuss, die ersten nackten Tatsachen, die ersten Darstellungen homosexueller oder sonstiger nach damaligen Wertmaßstäben abweichender Sexualitäten. Und während die einen den Untergang des Abendlandes heraufbeschworen ob der öffentlichen Sichtbarmachung dessen, was vermeintlich unter die heimische Bettdecke oder doch am besten ganz verboten gehörte, feierten andere immer neue, mal kleinere und mal größere Schritte auf dem Weg zur sexuellen Befreiung.

    Von der war zuletzt, jedenfalls wenn man dem Gegenwartskino glaubt, nicht mehr viel übrig geblieben. Denn während die Hardcore-Pornografie sich im vergangenen Jahrzehnt zunehmend ausdifferenzierte und neue, feministische und queere Mainstreams entwickelte und am Markt etablierte, wurde die Sexualität als menschliche Triebkraft im narrativen Kino zunehmend unsichtbar. Das beißt sich nur scheinbar mit den allgegenwärtigen und gesellschaftlich heiß umkämpften Diskursen um die Spektren menschlicher Sexualitäten und der Notwendigkeit ihrer (selbstbestimmten) Repräsentation, denn schon Foucault wusste: Je mehr in einer Gesellschaft über Sex geredet wird, desto seltener wird er praktiziert.

    Wie ARD-Vorabendfernsehen mit ein paar entblößten Brüsten

    Seit kurzem aber scheint sich dieser Trend zu einem zunehmend asexuellen Gegenwartskino ein wenig umzukehren, und zumindest Ansätze einer Rückkehr des Erotischen ins aktuelle Filmschaffen sind zu beobachten. Sei es ein Streaming-Hit wie „Saltburn“, eine Ménage à trois im Tennismilieu wie „Challengers – Rivalen“ oder auch der Versuch, den Erotikthriller der 90er-Jahre in „Miller’s Girl“ wiederzubeleben. Über den Erfolg all dieser Versuche, im Gegenwartskino wieder über Sex zu sprechen, kann und muss man jeweils im Einzelfall streiten. Der allgemeine Trend liegt gleichwohl in der Luft. Und an den versucht jetzt mit dem deutschen Amazon-Prime-Original „Un/Dressed“ auch der bislang vor allem als Kinderfilmregisseur in Erscheinung getretene Tim Trachte („Benjamin Blümchen“) anzuknüpfen.

    Das mag lobenswert erscheinen, insbesondere dann, wenn man das aktuelle Streaming-Kino in der Nachfolge der Videopremieren der 90er-Jahre betrachtet, in denen allerlei kostengünstige und mehr oder weniger auf- und anregende Rip-Offs der großen Kino-Erotikthriller-Welle rund um Paul Verhoevens „Basic Instinct“ ihr Zuhause fanden. Leider funktioniert es aber wirklich überhaupt nicht, und an diesem Scheitern lässt sich auch nachvollziehen, warum dieser Vergleich zum Videothekenkino des ausgehenden 20. Jahrhunderts grundsätzlich hinkt. Denn „Un/Dressed“ hat so gar nichts mit der knalligen Wildheit der Wildwestjahre des Direct-to-Video-Filmemachens zu tun und erinnert ästhetisch wie formal eher ans öffentlich-rechtliche Vorabendprogramm.

    Amazon Prime Video
    Elle (Lena Meckel) plant bereits die Hochzeit mit Thilo (Gerrit Klein) – aber der scheint eine geheime Agenda zu verfolgen!

    Zwischen „Bianca – Wege zum Glück“, „Rote Rosen“ und ähnlicher Seifenopernware würde auch die ökonomisch-familiäre Intrigenspinnerei von „Un/Dressed“ nicht weiter auffallen: Die junge Elle (Lena Meckel) wird von ihrer Oma zur Alleinerbin eines Modeimperiums gemacht und muss zur Kenntnis nehmen, dass ihr zwielichtiger Verlobter Thilo (Gerrit Klein) die Finanzen des Unternehmens längst zum Geschäftemachen mit einem Gangsterclan nutzt. Nebenher beginnt sie eine Affäre mit dem Bodyguard Ben (Malik Blumenthal) – eine leidenschaftliche Affäre, so will uns der Plot jedenfalls glauben machen und hätte wohl gern, dass wir an Whitney Houston, Kevin Costner und „I Will Always Love You“ denken.

    In irgendeine Art von spürbarem erotischem Prickeln setzt sich das, was man dann zu sehen bekommt, aber überhaupt nicht um. Klar, ein paar Sexszenen gibt es, aber die sind derart prüde und keusch gefilmt und gespielt, dass sie auch im Vorabendprogramm nicht weiter auffallen würden. Wem freilich in „Sturm der Liebe“ zu wenig nackte Pobacken vorkommen, der könnte mit „Un/Dressed“ eventuell glücklich werden.

    Amazon Prime Video
    Elle lässt sich auf eine Affäre mit Bodyguard Ben (Malik Blumenthal) ein, aber auch der hat eine geheime dunkle Seite.

    Wer sich aber andererseits an platten, aufgesagt wirkenden Dialogen, hölzernem Schauspiel und pseudo-emotionalisierender, über alles drübergeklatschter Dudelmusik stört, der wird wenig Freude an dieser filmischen Vollkatastrophe haben. Ein Revival des Softsex-Thrillers bleibt weiter hochwillkommen, aber bitte nicht mit Filmen wie diesem, die weder Spannung noch Erotik zu bieten haben.

    Fazit: Das ging leider komplett daneben. Das Prime-Original versucht sich an einem deutschen Beitrag zum leider etwas in Vergessenheit geratenen Genre des erotischen Thrillers, kommt aber steril, prüde und komplett spannungsfrei daher. Miserabel inszeniert, geschrieben und gespielt gibt es hier wirklich nichts, weshalb wir „Un/Dressed“ guten Gewissens empfehlen könnten.

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