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    L'Auberge Espagnole - Barcelona für ein Jahr
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    L'Auberge Espagnole - Barcelona für ein Jahr
    Von Carsten Baumgardt

    Noch bevor US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld anno 2002 den unsäglichen Spruch vom „Alten Europa“ in die Welt posaunte, hatte der in Frankreich als Sozialfilmer etablierte Cédric Klapisch („Und jeder sucht sein Kätzchen“) die passende Antwort abgedreht. Und zwar in Form seiner spritzigen, höchst sympathischen Komödie „L’Auberge Espagnole“. Seine Betrachtungen zu einer chaotischen multi-europäischen Wohngemeinschaft in Barcelona ist einer der positiven Überraschungen des Kinojahres und kommt jetzt endlich auch in die deutschen Kinos.

    Der französische Wirtschaftsstudent Xavier (Romain Duris) hat einen lukrativen Job in Aussicht. Das Problem: Er soll sich intensiv mit der spanischen Wirtschaft befassen und die Sprache möglichst perfekt lernen. So beschließt er, für ein Jahr nach Barcelona zu gehen. Nachdem die Formalitäten erledigt sind und er am europäischen Austauschprogramm Erasmus teilnehmen kann, nimmt er Abschied von Freundin Martine (Audrey „Amelie“ Tautou) und macht sich auf den Weg in die spanische Metropole. Schon am Flughafen findet er Anschluss. Der Neurologe Jean-Michel (Xavier De Guillebon) und seine bildschöne Frau Anne-Sophie (Judith Godrèche) nehmen den zunächst wohnungslosen Xavier bei sich auf. Nach ein paar Wochen findet er endlich eine Bleibe. Xavier kommt in einer multi-europäischen Chaos-WG unter. Neben ihm wohnen dort noch die Spanierin Soledad (Cristina Brondo), der Italiener Allesandro (Federico D’Anna), der Deutsche Tobias (Barnaby Metschurat), die Engländerin Wendy (Kelly Reilly), der Däne Lars (Christian Pagh) und später auch noch die Belgierin Isabelle (Cécile De France). Xavier gewöhnt sich schnell an das WG-Leben, liegt aber mit zunehmender Zeit im Dauerstreit mit seiner Freundin Martine, die sich zuhause in Paris vernachlässigt fühlt. Deshalb zieht es ihn immer häufiger zu Anne-Sophie, mit der er vieles unternimmt, weil ihr Mann nie Zeit für sie hat...

    Schon beim Einstieg geht Regisseur Cédric Klapisch sehr geschickt vor. Er präsentiert seine Geschichte als Nacherzählung des turbulenten Jahres seiner zentralen Figur Xavier, der die Handlung als steter Off-Erzähler mit trockenem Kommentar begleitet. Nach einer witzigen Hatz durch die Behördenkorridore in Paris kommt er mitten im prallen wie chaotischen Leben der WG-Bewohner an. In der multi-europäischen Truppe bekommt jeder Charakter Eigenheiten und –arten des jeweiligen Landes auf den Leib geschrieben. Das sind durchaus Klischees, diese werden aber nicht um der Klischees Willen benutzt, sondern um sie mit einem ironischen Unterton leise zu persiflieren. Ein herrlicher Kunstgriff Klapischs. Und genau daraus bezieht „L’Auberge Espagnole“ auch einen Großteil seines Witzes. Wenn zum Beispiel Kevin Bishop als Wendys Bruder zunächst den tumben Engländer in Reinkultur verkörpert, opfert er sich später in einer Szene in wahrhaft heldenhafter Manier für seine Schwester auf und gewinnt noch so etwas wie Sympathie hinzu. Ein Seitenhieb auf die USA darf natürlich in einem französischen Film nicht fehlen. So ist der Amerikaner Bruce (Olivier Raynal) nur als „No Woman, no cry“-dudelnder und im Bett grunzender Primitivling zu sehen – viel mehr Textzeilen hat er nicht. Very funny.

    Kelly Reilly ist als Engländerin Wendy zunächst etwas verklemmt, Barnaby Metschurat als Deutscher gewissenhaft und ordentlich, Federico D’Anna als Italiener ein Chaot, während Christian Pagh als Däne kühl und zurückhaltend ist und Cristina Brondo als Spanierin vor Temperament und Nationalstolz sprüht. Romain Duris macht als französischer Repräsentant dagegen eine Veränderung durch und gewinnt zunehmend an Gelassenheit und Coolness. Die Episoden, die die Bewohner in dem Jahr durchmachen, sprühen nur so von Authentizität, Charme und Witz. An dieser Stelle beweist sich Klapisch erneut als versierter Regisseur. Auch in „L’Auberge Espagnole“ geht es um Sex, Kiffen und Saufen, aber im Gegenteil zu amerikanischen Pubertäts-Komödien wird immer die Balance gehalten – es wirkt nichts übertrieben oder konstruiert. Trotz der stattlichen Spielzeit von zwei Stunden verliert der Zuschauer nicht das Interesse an den Figuren. Im Gegenteil: „L’Auberge Espagnole“ macht von Minute zu Minute mehr Spaß.

    Entgegen der üblichen Praxis läuft „L’Auberge Espagnole“ auch in Deutschland nur im Original mit Untertiteln. Dabei hat der Tobis-Verleih eine sympathische Weitsicht bewiesen. Denn ohne das babylonische Sprachengewirr würde der Film einen Großteil seines Charmes verlieren. Der Off-Erzähler erklingt in Deutsch (mit leichtem französischen Akzent sogar), sonst wird zumeist in Französisch geredet, wenn es um Xavier geht, innerhalb der WG wird Englisch gesprochen, bei Episoden in der Stadt Spanisch und an der Uni Katalanisch. Der Geist des Films bleibt so erhalten. Wenn Wendy sich zum Beispiel köstlich über das französische Wort „fac“ (=Uni) amüsiert („Guys, I’m going to fac“), hätte das in der deutschen Übersetzung niemals funktioniert.

    Klapisch bündelt in seinem Film geschickt einen Mikrokosmos über die Menschen und das Zusammenleben in Europa, garniert seine Handlung mit Seitenhieben auf die jeweiligen Kulturen und erzählt nebenbei eine spritzige, warmherzige Geschichte, dessen Charme ansteckt und für ein stetes Grinsen in den Zuschauerreihen sorgt. Die weitgehend unbekannten Darsteller, die allesamt in hervorragender Spiellaune auftreten, tragen ihr übriges zum Gelingen des Films bei. Einen kleinen Wehrmutstropfen gibt es dennoch: Eigentlich wäre „L’Auberge Espagnole“ die perfekte Sommerkomödie, aber auch im Spätherbst wird sie in Deutschland noch eine Menge Spaß verbreiten. In Frankreich war sie jedenfalls der Sommerhit und zog drei Millionen Franzosen in die Kinos.

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