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    Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia
    Von Ulrich Behrens

    SPOILER-Warnung: Wer diesen Film nicht gesehen hat und ihn noch anschauen möchte, sollte die Kritik erst nach dem Gucken lesen.

    Man zählt zum Schluss ca. 25 Tote. Der erste war ein Unfall, alle anderen nicht. Wie in einer Lotterie, einem Glücksspiel – oder sollte man lieber sagen: Unglücksspiel? – rollen die Kugeln, hier die Köpfe und Körper – in den Tod. Es geht um etwas heiliges Unheiliges, etwas unheimlich Heimliches. Ist es in Sam Peckinpahs The Wild Bunch das Pferd, das die Akteure vorantreibt auf ihrem Weg, ist es in „Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia“ die alte Karre, ein rotes, verbeultes altes Auto, das den Loser Bennie (Warren Oates) auf die Straße treibt. Bennie träumt in den falschen Bahnen – von Reichtum, Glück, Liebe, von allen guten Dingen des Lebens –, in den falschen Bahnen des Todes.

    Bennie spielt in irgendeiner Bar in Mexiko auf dem Piano. Und eines Tages tauchen zwei Amerikaner auf, Sappensly (Robert Webber) und Quill (Gig Young), die einen gewissen Alfredo Garcia suchen. Für jede Information wollen sie zahlen. Was sie nicht sagen: Der reiche Mexikaner El Jefe (Emilio Fernández) sucht Garcia, weil der seine Tochter Theresa (Janine Maldonado) geschwängert hat. Er will Garcias Kopf – lieber tot als lebendig – und hat dafür eine Belohnung von einer Million Dollar ausgesetzt. Alle, die kriminell sind, Amerikaner und Mexikaner, schwärmen aus, nur eines im Kopf: den Kopf, der das Geld bringt. Bennie kennt Alfredo, und seine Freundin Elita (Isela Vega), die drei Tage und drei Nächte mit Alfredo verbracht hat, weiß, dass der in besoffenem Zustand mit dem Auto in den Tod gerast und irgendwo in Mexiko begraben worden ist.

    Bennie, dem die amerikanischen Gangster in ihren Standardanzügen maximal 10.000 Dollar versprochen haben, wenn er ihnen Alfredos Kopf präsentiert, kennt nur noch eines: raus aus dem Loser-Dasein, raus. Alfredos Kopf finden, und wenn er begraben ist, ihm eben den Kopf abtrennen und kassieren.

    Widerwillig lässt sich Elita darauf ein, mit Bennie in seinem heruntergekommenen roten Auto die Spur des Alfredo Garcia aufzunehmen – verfolgt und beobachtet von allerlei Gangstern. Elita kann Bennie nicht davon abhalten, diesen Frevel zu begehen, ein Grab zu öffnen. Sie würde lieber sofort heiraten und irgendwo eine Bar eröffnen, in der sie singt. No chance! „Was ist heilig an einem Loch?” fragt Bennie. „Was ist heilig an dir oder an mir?” Ein Liebespaar macht sich auf den Weg, das Heiratsversprechen auf den Lippen, ein Picknick unter einem Baum, der Traum von einem besseren Leben in Kopf und Herz. Man findet das Grab von Alfredo Garcia, und in der Nacht macht sich Bennie daran, es zu öffnen, um den Kopf vom Rumpf zu trennen ...

    Da steht einer auf, packt eine Gelegenheit, eine Chance. Das Geld wird zum einzig Heiligen, alles andere ist es nicht mehr. Wenn Bennie und Elita unter einem Baum sitzen auf dem Weg zu Alfredos Grab, dann werden die unterschiedlichen Lebensentwürfe der beiden so deutlich, wie sie kaum deutlicher werden können. Elita will singen, eine Bar eröffnen, sich langsam, aber sicher und allen Risiken und Problemen trotzend eine Existenz aufbauen. Bennie will den Kopf und das Geld – koste es, was es wolle. Und es kostet viel. Es kostet zwei amerikanischen Motorradfahrern das Leben, die Elita vergewaltigen wollen. Es kostet Elita das Leben und es kostet etlichen anderen Mexikanern und Amerikanern das Leben.

    Und je mehr Menschen es das Leben kostet, desto mehr tritt bei Bennie noch etwas anderes ins Blickfeld: die Rache für die Ermordung Elitas, die Rache für die Ermordung der Familie Alfredos. Den falschen Weg allerdings, den Bennie geht, verlässt er bis zum Schluss nicht. Dieser falsche Weg, den Peckinpah hier an Bennie demonstriert, ist ein zweischneidiger, was die Person Bennies anbetrifft, und ein ebenso zweischneidiger, was den american way of life betrifft. Auch wenn der Film in Mexiko spielt: Peckinpah zeigt die Entwicklung seines eigenen Landes. Er demonstriert die Jagd als ein Grundelement dieser Kultur, die Jagd „nach oben”, an der alle teilnehmen: die skrupellosen, anonymen Amerikaner ebenso wie einige Mexikaner, und Bennie, dem wir in einer Mischung aus Wohlgesonnensein und kritischer Distanz folgen. Das Ziel ist ein Heilsversprechen, Geld, das glücklich machen soll.

    „Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia” ist wohl das kritischste Road Movie aller Zeiten, eine Art Anti-Road-Movie. Peckinpah macht die Straße, diese staubige, holprige Straße zum Sinnbild der Jagd und des Todes. Und Bennie, selbst völlig verhaftet in dieser Jagd, hat längst jegliches Gefühl für das wirklich Heilige verloren. Das allerdings betrifft nicht nur die Religion. Als Elita ihn fragt, ob beide noch in der Kirche heiraten könnten, wenn sie Grabschändung betrieben hätten, antwortet Bennie mit einem unumwundenen Ja. Aber nicht nur die Religion hat ihre Heiligkeit, Unantastbarkeit längst verloren. Bennie ist nichts heilig – vor allem nicht das Leben selbst.

    Und gleichzeitig liegt da der Kopf von Alfredo neben ihm auf dem Beifahrersitz. Welchen Preis hat er gezahlt? Elita fiel in Alfredos Grab, das Leben Elitas war der Preis. So, als wollte das Schicksal sagen: ein Leben für ein anderes. Aber hier ist es nicht einmal das Leben, sondern der verwesende, von Fliegen umschwirrte Kopf Alfredos. Und Bennie beginnt, mit dem Kopf zu reden, ihn in Eis einzupacken, um den Verwesungsprozess aufzuhalten und die Fliegen abzuhalten. Er spricht mit Alfredo, der doch sicher genauso aus dem Dreck raus wollte wie Bennie selbst. Er stellt den Kopf, eingehüllt in ein weißes Tuch, unter die Dusche und schreit laut: Alfredo ist duschen! Es ist dieser Wahnsinn, den Peckinpah zeigt. Der Wahnsinn, einen Totenkopf einzupacken, dafür zu sorgen, dass er noch erkennbar ist, um das Geld zu bekommen. Der Wahnsinn, den natürlichen Gang der Dinge aufzuhalten, um den künstlichen Gang der Dinge voranzutreiben.

    Der Tod wird zum Sinnbild allen Daseins. Mit dem Tod kann man reden, mit den Lebenden nicht – nicht mit den Verwandten Alfredos, die den Kopf wieder haben wollen, um ihn zu begraben; nicht mit den Amerikanern, die die Million wollen und sonst nichts. Nicht mit Elita, die ein anderes Leben wollte. Bennie jagt.

    Und doch können wir Bennie verstehen, denn er gehört nicht zu jenen Skrupellosen, die nie begreifen, die nie umkehren können – auch wenn Bennie erst zu spät begreift, auf was er sich eingelassen hat. Peckinpah zieht eine Blutspur durch die staubigen Straßen bis hin zur Hazienda El Jefes – und wen sollte es wundern, dass am Schluss nur noch die Rache zählt: die Rache Bennies für die Ermordung Elitas und die Rache Theresas an ihrem Vater.

    Wiederum gruppiert sich eine ganze Gesellschaft um die Jagd, die Macht, das Geld. Alles andere bleibt auf der Strecke. Der Kopf von Alfredo Garcia, einem Mann, der Leben spendete, das Baby Theresas, wird zum Boten des Todes. Alle Akteure, auf die wir treffen, sind tot. Am Leben sind Theresa und ihr Kind. Die Symbole sind nichts mehr wert, die Traditionen, einschließlich der Religion, sind ebenso wertlos. Die Riten, Bräuche, so positiv oder negativ wir sie auch sehen, sind wertlos. Sie dienen den Jägern – wenn überhaupt – nur noch als Ausrede, als Makulatur, als Mittel zum Zweck, um die eigenen Absichten zu verbergen – oder war auch immer. „Wert” wird gemessen in heiligem Dollar.

    Die Jagdsaison endet mit einem Gemetzel, war schon immer ein Gemetzel. Der Tod setzt die Grenzen, aber die Jagd wird von neuem beginnen, wo auch immer. Peckinpah zeigt dies in Bildern der Einsamkeit, des Elends und kontrastiert dies vor allem mit einer Szene: als Elita und Bennie unter dem Baum sitzen – die einzige Szene, die von etwas anderem künden könnte. Am Schluss künden nur Theresa und ihr Kind von etwas, was der Heiligkeit des Lebens entsprechen könnte – getränkt allerdings mit dem Blut ihres Vaters und vieler anderer.

    Warren Oates spielt diesen Bennie bedrückend gut, diesen Bennie mit Bärtchen und dunkler Sonnenbrille, diesen Loser, der immer wieder aufsteht, immer wieder nach einem Strohhalm greift, von dem er meint, er sei die große Chance seines Lebens, die Chance, die man auch nennen könnte „vom Tellerwäscher zum Millionär”, diese vermaledeite Illusion des american way of life. Isela Vega spielt eine Frau voller Sehnsüchte, voller Hoffnungen, voller Lebendigkeit, nicht zuletzt sichtbar und hörbar, wenn sie in dem alten roten Auto sitzt, Gitarre spielt und dazu „Bennies Song” singt.

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