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    Küss mich, Dummkopf
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Küss mich, Dummkopf
    Von Andreas R. Becker

    „Küss mich, Dummkopf“ ist eine von Manche mögen´s heiß-Autor Billy Wilders unbekannteren Komödien, die nicht nur in der Kritik und an den Kinokassen ein Misserfolg war, sondern auch ihrem Erschaffer selbst nicht recht gefallen wollte: Jack Lemmon, den Wilder ursprünglich für die Hauptrolle vorgesehen hatte, konnte nicht, Peter Sellers, zweite Wahl, erlitt nach vier Wochen einen Herzanfall, sodass schließlich Ray Walston (Der Clou, Das Appartement) die Rolle des Orville Spooner erhielt.

    Orville lebt als Klavierlehrer in dem kleinen Kaff Climax, Nevada (dessen Name natürlich noch in mehrfacher Hinsicht Programm wird), und ist verheiratet mit der viel jüngeren und sehr attraktiven Zelda, seinem „Lämmchen“ (Felicia Farr, „Opa Kotch“, „Der große Coup“). In regelrecht pathologischen Anfällen rasender Eifersucht vermutet Orville wahlfrei hinter jedem x-beliebigen Mann einen vermeintlichen Angreifer auf sein eheliches Glück: Vom Milchmann über den 14-jährigen Klavierschüler bis zum Zahnarzt Dr. Sheldrake (einer von Wilders Lieblingsnamen, siehe Boulevard der Dämmerung und Das Appartement) bekommen alle ihr Fett weg, einer mehr zu recht, der andere weniger. Neben seinen Verpflichtungen als Klavierlehrer, Beethoven-Fan und Othello schreibt Orville mit seinem Freund Barney (Cliff Osmond), seines Zeichens Nachbar und Tankstellenbetreiber, noch schmissige, aber erfolglose Schlager.

    Wie es jedoch der Zufall will, hält eines Tages der erfolgreiche Sänger Dino (Dean Martin, „Der Prügelknabe“, Rio Bravo, „Die jungen Löwen“) in Climax an, um seinen schnittigen Straßenkreuzer an Barneys Tanke neu zu befüllen: Schnell wittert Barney die Chance zum Erfolg und eine „mysteriöse“ Panne zwingt Dino zu einem Übernachtaufenthalt in Climax, natürlich in Orvilles Haus. Als dieser bei der Rückkehr seiner Angetrauten feststellt, dass sie ein riesiger Fan des inzwischen im Gästezimmer schlafenden Chauvinisten ist, ergreift ihn die blanke Panik. In einer aberwitzigen Aktion tauscht er seine Frau gegen das leichte Mädchen Polly the Pistol (Kim Novak, „Der Mann mit dem goldenen Arm“, Vertigo) aus, um sich mit dem Feilbieten seiner „Ehefrau“ den Weg aus der Erfolglosigkeit zu erschachern. Natürlich laufen die Dinge längst nicht so, wie das unbeholfene Songwriter-Duo sie geplant hat und es kommt zu einem unerwarteten Twist vor’m erwarteten Happy End...

    Gemessen an den Maßstäben des Erscheinungsjahres 1963, geht Wilders flott-frivole Komödie mit den Themen Sex, Ehebruch und käufliche Liebe erstaunlich offen und leichtfüßig um und hält dem prüden Amerika seine Doppelmoral vor die Nase (die, wie die neuen MTV-Formate „Dismissed“, „Room Raiders“ usw. wunderbar belegen, auch im 21. Jahrhundert noch lange kein Schnee von gestern ist). Die Strafe für die mutige Direktheit gab’s dann an der Kinokasse und – natürlich – auch von der katholischen Kirche: Trotz einer geschnittenen Liebesszene (die übrigens in der europäischen Kinofassung enthalten war und auf der aktuellen DVD leider fehlt) wurde der Film als obszön verurteilt.

    Ebenfalls fortschrittlich geht Wilder mit der Rolle der Frau in „Küss mich, Dummkopf“ um: Während die Männer allesamt an Erfolgssucht leiden und individuell Zeichen krankhafter Eifersucht (Orville), leichter bis mittelschwerer Debilität (Barney) oder haltloser Arroganz und Selbstverliebtheit (Dino) aufweisen, zeigt Frau sich auf intelligente Weise überlegen. Orvilles unbeholfenen Versuchen gegenüber, einen Ehestreit anzuzetteln, um Zelda aus dem Haus zu ekeln, erweist sich letztere als tolerant, selbstkritisch und humorvoll. Sie zeigt ihre Liebe (die natürlich gemäß dem filmischen Klischee keine Schmälerung aufgrund des fehlenden Erfolgs ihres Gatten erleidet), ohne dabei unterwürfig zu sein, ebenso ihre sexuelle Selbstbestimmtheit. Auch Polly, gespielt von der entzückenden Kim Novak (die übrigens mit ihrem Dekolleté der Zensur einen weiteren Knochen hinwarf) hat die Fäden in der Hand. Wilder vermeidet es tunlichst, sie in die Rolle der zu bemitleidenden und unterdrückten Bordsteinschwalbe zu drängen. Vielmehr gibt auch Polly sich als eine schlagfertige, junge Frau, die – wie ihre Kolleginnen im „Belly Button“ – um ihre Wirkung genau Bescheid weiß und die Männer spielerisch im Griff hat (wenngleich auch sie, so scheint es, tief in ihrem Inneren doch auf der Suche nach Liebe und Geborgenheit ist, wie sich am Abend mit Orville zeigt).

    Auch wenn sich der Film, vielleicht auch der zum Teil missglückten Besetzung wegen, nicht ganz mit dem Kaliber eines Eins, zwei drei, „Manche mögen´s heiß“ oder „Das Appartement“ messen kann, ist Wilder mit „Küss mich, Dummkopf“ eine unterhaltsame Komödie gelungen. Zwar entstehen in den zwei Stunden, auch aufgrund der gedehnten Exposition, einige kurze Längen, und auch Walston und Osmond überspannen den Bogen mit ihren teilweise etwas arg theatralischen Mimiken manchmal. Dennoch: Dean Martin gibt in der Rolle des Dino ein ironisches Bild von sich selbst ab, Felicia Farrs und Kim Novaks Charaktere sind intelligent und bezaubernd, die Dialoge und Gags originell und witzig und auch die Gassenhauer, verfasst von George und Ira Gershwin, sind schmissig bzw. romantisch, ohne – wie so oft – ins Nervtötende abzurutschen.

    Dem kritischen Bild Wilders von seinem eigenen Werk kann ich hier also nur äußerst bedingt zustimmen: „Küss mich, Dummkopf“ ist eine unterhaltsame, witzige und auch ein bisschen subversive Komödie und in jedem Falle sehr sehenswert.

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