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    The Soul of a Man
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The Soul of a Man
    Von Susanne Picard

    Wim Wenders hat einen Dokumentarfilm über Musik gemacht. Das ist natürlich per se nichts Neues, immerhin ist „The Soul Of A Man“ die dritte Dokumentation über Musik, die der in Amerika lebende Deutsche gefilmt hat. Diesmal ist es nicht die kubanische Volksmusik wie in „Buena Vista Social Club“ oder die kölnische mit BAP, sondern eine der wenigen Volksmusikrichtungen, die die USA hervorgebracht haben: der Blues der Südstaaten. Gehört hat die Bezeichnung Blues schon jeder. Welcher moderne Musiker zum Beispiel würde nicht von sich behaupten, seine musikalischen Wurzeln seien unter anderem auf den Blues zurückzuführen? Eine Universalmusik also?

    So sieht es zumindest Wenders in dem Film und beschreibt das Leben der drei Musiker Blind Willie Johnson (vermutlich 1902 bis 1949), Nehemiah „Skip“ James (1902 bis 1969) und J. B. Lenoir (1929 bis 1967). Selbst für Bluesfans dürften diese Namen sicher nicht ganz oben auf der Liste der bekanntesten Vertreter dieses Musikgenres stehen wie zum Beispiel John Lee Hooker. Bleibt also die Frage, warum gerade diese drei? Eigentlich wird das erst am Ende des Films so richtig klar. Wim Wenders widmet sich der Musik und nicht den Namen dahinter. Im Gegensatz zum Beispiel zu „Standing In The Shadows Of Motown“ will er nicht das Leben oder das Wirken dieser Musiker beschreiben, sondern stellt den Blues selbst in den Mittelpunkt seiner Dokumentation oder Erzählung, wie es auch im Sinne des Projektes ist, in dessen Rahmen dieser Film entstand. Martin Scorsese hat im amerikanischen Jahr des Blues sieben Regisseure, darunter Clint Eastwood, Mike Figgis oder auch sich selbst dazu verpflichtet, Filme über dieses Genre der Musik zu machen, die wohl wie keine andere amerikanisch ist und dabei doch wohl so etwas wie Weltgültigkeit hat.

    Die Musik ist also der Mittelpunkt von „The Soul Of A Man“. Ein kleiner Wermutstropfen in diesem Film ist das deshalb, weil seine Protagonisten, an denen sich die Dokumentation entlang aufbaut, seltsam blass bleiben. Manche mögen das als eine wohltuende Distanz empfinden, allerdings hinterlässt gerade bei denen, für die der Film eigentlich gedacht war, nämlich den Neugierigen, die etwas mehr über den Blues wissen wollen, als ihnen bisher bekannt war, diese Distanz eine gewisse Leere. Man hätte gern mehr erfahren über diese drei Männer, die sich selber offenbar als ein Werkzeug der Musik, die sie machten, begriffen: Was hat sie dazu getrieben, diese und keine andere Musik zu machen, was motivierte sie? Da bleiben die Stücke selbst eine eher kärgliche Antwort. Über diesen Punkt lässt sich allerdings sicher streiten; immerhin bringt der Film es so fertig, dass sich der Zuschauer in der Tat eher auf die Musik konzentriert als auf sensationelle Enthüllungen oder platte psychologische Erklärungen.

    Die Distanz zeigt sich bereits in der Eröffnungssequenz. Da ist die Erde aus dem Weltall zu sehen, denn immerhin ist Blind Willie Johnsons „Dark Was The Night“ neben Werken von Bach und Mozart eines der wenigen Musikstücke, die die Voyager 1977 auf ihre Reise ins Weltall mitnehmen durfte. Immer wieder kehrt die Kamera ins Weltall zurück, wie um den gewünschten Abstand wiederherzustellen. Aber immerhin geht es ja um Musik und nicht um Personen. Und da es von Skip James und Blind Willie Johnson kaum Bildmaterial gibt, hat Wenders sich Schauspieler engagiert und eine Handkamera organisiert, mit denen er gedachte und imaginäre Szenen nachgestellt hat: Die Plattenaufnahmen von Skip James, die ersten Pennies, die sich Blind Willie Johnson auf der Holzveranda des Drugstore verdient, der in einem typischen Alabama-Kaff auf der Hauptstraße steht, die Entstehungsgeschichte von Songs wie „Cherry Balls“, die auf nichts weiter als die hübschen, roten Kirschohrringe der Sekretärin anspielen. Diese Szenen und kurze Sequenzen historischer Bilder wechseln sich ab mit Material schwedischer Hobbyfilmer, die in den Sechzigern eine Art Dokumentation von JB Lenoir gedreht hatten und das Wim Wenders bei seinen Recherchen in die Hände fiel.

    Auf der Tonspur ist diese Zeit über nur die Bluesmusik zu hören, meist im Originalton uralter, elend zerkratzter Schellackplatten oder in Neuinterpretationen so moderner Musiker aller Couleur wie Bonnie Raitt, Nick Cave, Lou Reed oder auch Cassandra Wilson. Nur streckenweise kommt das altgewordene schwedische Hippie-Pärchen zu Wort oder die lakonische Stimme Laurence Fishbournes, die Blind Willie Johnson „geliehen“ wurde. Scheinbar wahllos werden diese Fragmente zusammengewürfelt und erst nach einigem Nachdenken über den Film kommt einem zu Bewusstsein, dass er das Kunststück fertigbringt, den Blues mit einem knappen Jahrhundert amerikanischer Geschichte zusammenzubringen. Über die Lieder aus dem Off legen sich Bilder von baumwollpflückenden Schwarzen, der Prohibition, Ku-Klux-Clan-Aufmärschen, Martin-Luther-King-Reden, dem Vietnamkrieg und letztendlich wieder den Szenen der Voyager-Sonde im All. Damit wird ausgedrückt, was der Blues eigentlich ist: Etwas ganz allgemeingültiges, das in der Menschheitsgeschichte noch lange Wirkung haben wird. The Soul of a Man eben.

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