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    Braindead
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Braindead
    Von Johannes Pietsch

    So wie manche Kulturkritiker in Sergio Leones Spiel mir das Lied vom Tod von 1968 die Vollendung des Westerns betrachteten und in allen Nachfolgern des Genres nur noch Epigone, genauso wurde auch Peter Jacksons „Braindead“ (1992) zeitweilig zum Gipfel und zum nicht mehr zu überbietenden Schlussstein in der Geschichte des Splatterfilms erklärt. Nach „Braindead“ schien zum Thema Zombie, Gore und Splatter alles gesagt, eine weitere Steigerung nicht mehr möglich, das Kapitel somit abgeschlossen zu sein.

    Auch wenn heute dieses Urteil überholt sein mag – der Hardcore-Horror ist mitnichten so tot, wie man ihn nach „Braindead“ sehen wollte, sondern feiert mit Regisseuren wie Alexandre Aja (The Hills Have Eyes, High Tension) fröhliche Urständ – so stellt der dritte Film des damals noch nahezu unbekannten Neuseeländers eine markante Zäsur dar in der Geschichte des Splatterfilms, jenes allzu oft in Verruf geratenen Subgenres also, in dem die explizite Darstellung von Verletzungen und Verstümmelungen im Mittelpunkt steht und dessen monströses Personal sich überwiegend aus psychopathischen Schlächtern, Kannibalen und lebenden Toten rekrutiert.

    Splatter, das bedeutet, dem Zuschauer en detail und in ausufernder Länge genau das zu präsentieren, was der klassische Horrorfilm gerade zwischen den Bildern geschehen und damit der möglichst morbiden Fantasie der Zuschauer überließ. Den Beginn machte 1968 George A. Romero mit seinem Schwarz-Weiß-Klassiker Die Nacht der lebenden Toten, in der er erstmals lebende Tote in Großaufnahme Menschenfleisch fressen ließ. Wie Romeros Erstling holten auch die Splatter-Pioniere Wes Craven mit „Last House On The Left“ (1972) und Tobe Hooper 1974 mit Texas Chainsaw Massacre den Horror aus den düsteren, spinnwebverhangenen viktorianischen Geisterschlössern und platzierten ihn inmitten der amerikanischen Gesellschaft: Statt fremdartiger, dämonischer Kreaturen aus den finstersten Abgründen der Hölle erschien die Bedrohung auf einmal in Gestalt scheinbar normaler Mitbürger, die sich entweder als psychopathische Massenmörder entpuppten oder sich – post mortem – in menschenfressende Zombies verwandelten. Romero fügte seinem Schwarz-Weiß-Erstling 1978 mit Zombie - Dawn Of The Dead das visionäre Meisterwerk hinzu, welches zu Recht bis heute als die Referenz für den Zombiefilm schlechthin gilt.

    In Italien stürzten sich derweil B- und C-Filmer wie die unsäglichen Joe D’Amato, Umberto Lenzi, Marino Girolami und Ruggero Deodato oder der etwas talentiertere Lucio Fulci auf die amerikanischen Vorbilder, um sie gründlich auszuschlachten. Das Gebot der Stunde war, sich im Brechen von Tabus so hemmungslos wie möglich zu überbieten, was in Machwerken wie „Man Eater“ (1980), „Zombies unter Kannibalen“ (1980), „Ein Zombie hing am Glockenseil“ (1980) oder den noch abgründigeren reinen Kannibalenfilmen gipfelte. Während der 80er Jahre markierten in Amerika Regisseure wie Sam Raimi mit dem wegweisenden Tanz der Teufel (1982) und der Fortsetzung Tanz der Teufel 2 (1987) sowie Dan O’Bannon mit „Return Of The Living Dead“ (1985) die ersten Schritte zum Fun-Splatter.

    Spätestens Anfang der 90er, als der Hardcore-Horror längst den Mainstream gekapert hatte und seine Protagonisten vom Schlage eines Freddie Krueger oder Michael Myers zur Zeitgeist-Ikonen der Popkultur avanciert waren, war ein Punkt erreicht, von dem an eine Steigerung der filmischen Brutalität nur noch ins Absurde möglich erschien. Dies erkannte der Neuseeländer Peter Jackson, der schon zuvor durch äußerst schräge filmische Ideen aufgefallen war: Der zentrale Charakter von „Bad Taste“ – seinem ersten Film, der 1988 in Cannes gezeigt wurde - kann das aus dem Hinterkopf herausblubbernde Hirn nur mit einem schmuddeligen Gürtel zusammenhalten. In seinem Puppenfilm „Meet The Feebles“ (1990) entfesselte er eine rabenschwarze Fernsehshow der Tiere, einer Art düsenbetriebener Muppet-Show für die Zeiten der intelligenzverneinenden Soap-Operas.

    Mit „Braindead” legte er dann 1992 den Film vor, die das gesamte Zombie-Genre rekapitulierte, auf links drehte und durch den Fleischwolf zog. Die Story der wirklich irrwitzig zu nennenden Komödie siedelte Jackson im bieder-betulichen Vorstadt-Idyll einer Stadt seiner neuseeländischen Heimat an. Dort verliebt sich das schüchterne Muttersöhnchen Lionel Cosgrove (Timothy Balme) in die temperamentvolle spanischstämmige Paquita (Diana Penalver). Dummerweise wohnt Lionel noch bei seiner Mutter Vera Cosgrove (Elisabeth Moody), die ihn sogar bei seinen Ausflügen mit Paquita in den örtlichen Zoo nicht aus den Augen lässt. Dort wird die eifersüchtige Mama von einer bösartigen Affenkreatur gebissen, was aus der von Natur aus schon alles andere als sympathische Matrone binnen kürzester Zeit ein blutrünstiges Zombiegeschöpf macht, welches nichts anderes im Kopf zu haben scheint, als weitere Menschen mit dem Erreger zu infizieren.

    Was sich bis hierhin noch wie eine vergleichsweise biedere Horror-Komödie ausnimmt, mutiert von diesem Moment an zum blut- und eingeweidespritzenden Slapstick der nachtschwärzesten Art. Leonels verzweifelte Versuche, die untote Mama nebst ihrem ständig wachsenden Zombie-Gefolge vor der Außenwelt zu verstecken und mit Medikamenten ruhig zu stellen, ist ebenso absurd komisch wie grotesk. Kein noch so unglaublicher Tabubruch, kein noch so blasphemischer Gag wird ausgelassen, wenn Leonel beispielsweise die Zombiehorde um den Mittagstisch gruppiert, einen untoten Rocker ermahnt, mit dem Löffel zu essen und einer Zombie-Krankenschwester mal eben den kompletten Kopf nach hinten klappt, um sie mit Brei zu füttern.

    Auf Peter Jacksons Friedhöfen erheben sich keine geisterhaften Untoten aus nebelumwaberten Gräbern, sondern duellieren sich mit karatekämpfenden Pastoren: „Ich trete euch in den Arsch für den Herrn!“ Und wenn Zombie-Pastor und Zombie-Krankenschwester sich selbst im Eingeweide-Matsch ihrer Fleischeslust nicht erwehren können und ein zuckersüßes Zombie-Baby zeugen, das sich anschließend wie ein rasender Springteufel mit einer Familienpackung Speed im Blutkreislauf auf einem Spielplatz selbstständig macht, werden jegliche Geschmacksgrenzen hinweggesprengt.

    Der finale Showdown, in dem sich Leonel und Paquita gegen eine Hundertschaft von Zombies zur Wehr setzen müssen, fährt wirklich alles auf, was an magensprengenden Bad-Taste-Irrsinnigkeiten denkbar ist, vom Baby im Mixer bis zur Blondine als Glühbirne. Unheimlich ist an Peter Jacksons Untoten gar nichts: Seine Zombies sind pure Jahrmarktsfiguren, die sich nach Belieben durch die Luft schmeißen, zerlegen und verflüssigen lassen und damit treffsicher die anbrechenden 90er Jahre als das Jahrzehnt der Spaßgesellschaft analysieren, in der bislang festgefügte Werte zerplatzen, zerbrechen, zerfließen und von der Konsumgesellschaft – hier in Gestalt eines Rasenmähers - hinweggefegt werden. Hauptdarsteller Timothy Balme agiert dabei so slapstickhaft wie ein Harold Lloyd oder ein Buster Keaton, den es in die Rolle von Anthony Perkins aus Alfred Hitchcocks Psycho verschlagen hat. In einigen Szenen hat man geradezu den Eindruck, er würde wie eine Marionette an unsichtbaren Fäden zappeln, wenn er beispielsweise hinter dem renitenten Zombiebaby auf dem Spielplatz herhetzt oder wie eine lächerliche Eisprinzessin auf einer gigantischen Blutlache herumrutscht.

    Auf Grund seines exorbitant hohen Gore-Gehalts wird „Braindead“ aus heutiger Sicht fast ausnahmslos als orgiastischer Klimax bluttriefenden Anarcho-Klamauks betrachtet, wobei jedoch völlig übersehen wird, dass sich Peter Jackson bereits hier als profunder Geschichtenerzähler und Transporteur großer Emotionen beweist. Hinter all jenen tabubrechenden Brechreiz-Obszönitäten erzählt „Braindead“ nämlich die gefühlvolle Coming-Of-Age-Geschichte eines jungen Mann, der von seiner Mutter wie der verwunschene Königssohn von der bösen Fee gefangengehalten wird und durch den Kuss der schönen Prinzessin erlöst werden muss.

    Daneben zeigt Peter Jackson schon hier, also rund ein Jahrzehnt vor der Herr der Ringe - Trilogie und King Kong, seine Versessenheit aufs Detail. Mit liebevoller Freude an Ausstattung und Kulisse wird in „Braindead“ der spießig-kleinbürgerliche Vorstadt-Horror der 50er Jahre in Szene gesetzt. Straßenbahnen und langsam tuckernde Autos kennzeichnen das Straßenbild, die Damen tragen Petticoats, die Herren Elvis-Tollen, die Jugend rebelliert in Gestalt von Rocker-Gangs.

    Es war zu befürchten, dass die bundesdeutschen Zensurbehörden den kruden Humor des Neuseeländers nicht teilen würden. Bundesprüfstelle, Staatsanwaltschaften und Gerichte haben sich bei der Beurteilung von Horrorfilmen noch nie mit Ruhm bekleckert, aber so maßlos blamiert wie im Falle von „Braindead“ haben sie sich selten: Bis auf eine einzige, zur völligen Sinnlosigkeit verstümmelten FSK-16-Fassung wurden alle Versionen nach § 131 StGB bundesweit beschlagnahmt. Andernorts wurde der Film angemessener gewürdigt: Auf dem Amsterdam Fantastic Film Festival erhielt „Braindead“ 1993 den Silver Scream Award und beim Fantasporto International Fantasy Film Award die Auszeichnung als bester Film und für die besten Spezialeffekte. Weitere Trophäen regneten bei den New Zealand Film and TV Awards und beim Avoriaz Fantastic Film auf Peter Jackson herab.

    Der Werdegang des Neuseeländers weist deutliche Parallelen zu dem seines amerikanischen Kollegen Sam Raimi auf. Beide begannen ihre Karrieren mit amateurhaft produzierten, völlig übersteigerten Horror-Komödien. Der eine definierte 1982 mit „Tanz der Teufel“ das Subgenre des Fun-Splatter, der andere führte es 1992 mit „Braindead“ zur Vollendung. In beiden Fällen avancierten diese Werke zu Kultfilmen und gerieten – vor allem in Deutschland – ins Visier selbsterklärter Moralapostel und Sittenwächter. Und beide Regisseure enterten anschließend mit meisterhaften Trilogien den Hollywood-Olymp: Sam Raimi mit den Spider-Man-Filmen, Peter Jackson mit „Herr der Ringe“.

    Schaut man in Jackons großen Blockbuster-Erfolgen „Herr der Ringe“ und „King Kong“ genauer hin, so wird man nicht nur so manchen Darsteller aus seinen alten Filmen wieder entdecken (zum Beispiel Leonels Mama Elizabeth Moody als Hobbit Lobelia Sackville-Baggins oder Jed Brophy, den Darsteller des durchgeknallten Zombie-Rockers Void, als Orc), sondern in Kulissen, Optik, Stil und Atmosphäre bei Orcs, Hobbits, Balrogs, Sauriern oder Riesenaffen so manche unübersehbare „Braindead“-Inspiration.

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