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    Der Kaufmann von Venedig
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Der Kaufmann von Venedig
    Von Carsten Baumgardt

    Er ist bis heute der meistgespielte Dramatiker der Welt: William Shakespeare (1564-1616). Verwunderlich, dass einer seiner großen Bühnen-Klassiker, „Der Kaufmann von Venedig“, in der Stummfilmzeit das letzte Mal für das Kino verfilmt wurde. Orson Welles plante einst eine Adaption des Stoffes, ließ sie aber wieder fallen, weil die Herausforderung der Umsetzung zu gewaltig war. Die Produzenten Barry Navidi und Cary Brokaw scheuten sich aber nicht davor und holten mit Michael Radford einen exzellenten Regisseur an Bord. Ihre klassisch angelehnte und nur dezent modernisierte Leinwand-Version des Dramas besticht durch gute Schauspieler, eine berauschende Photographie und außergewöhnliche Produktionswerte.

    Venedig, 1596: Der junge Aristokrat Bassanio (Joseph Fiennes) ist ein Ehrenmann, aber durch seinen verschwenderischen Lebenswandel hoch verschuldet. Um das Herz seiner Angebeteten Portia (Lynn Collins) zu erobern, benötigt Bassanio 3.000 Dukaten für die Mitgift. Der Kaufmann Antonio (Jeremy Irons) bietet seinem besten Freund Hilfe an und bürgt beim jüdischen Geldverleiher Shylock (Al Pacino) für einen Schuldschein. Die Brisanz: Zahlt er das Geld nicht pünktlich zurück, darf ihm Shylock, den Antonio zuvor als Juden beschimpft, bespuckt und verachtet hatte, 500 Gramm Fleisch nahe des Herzens herausschneiden. Da der Kaufmann sehr wohlhabend ist, rechnet niemand damit, dass er das Geld nicht in drei Monaten zurückzahlen kann. Doch das Schicksal meint es nicht gut mit ihm. Die meisten seiner Schiffe erreichen den heimatlichen Hafen nicht und die Zeit verrinnt...

    Lange Jahre wollte Al Pacino („Der Einsatz“, „An jedem verdammten Sonntag“, „Der Pate“, „Insider“, „Heat“), Jahrgang 1940, den Shylock spielen, aber er sah sich noch nicht in dem passenden Alter. Als Regisseur Michael Radford („B. Monkey“) nun anfragte, war die Schauspiellegende gleich Feuer und Flamme. Dustin Hoffmann wollte die Rolle ebenfalls spielen, kam jedoch zu spät, da Pacino schon unterschrieben hatte. Geschadet hat es dem Film nicht. Pacino nutzt „Der Kaufmann von Venedig“ zu einer ausgiebigen Zurschaustellung seines Potenzials. Der Shylock zählt zu den komplexesten Charakteren, die Shakespeare kreiert hat. Er ist einerseits als Jude im Venedig zu Ende des 16. Jahrhunderts getrieben, verfolgt und gedemütigt worden, andererseits nutzt er seine finanzielle Macht aus, um Rache zu üben. Trotz mildernder Umstände wird Shylock als Bösewicht gezeichnet. Das gibt Pacino Gelegenheit zu zwei überragenden, begeisternd gespielten Monologen, in denen er aufdreht, ohne Rücksicht auf mögliches Overacting, das wohl nur Spötter oder Pacino-Gegner sehen werden. Erscheint der New Yorker auf der Leinwand, gehört sie ganz ihm und auf alle anderen fällt nur ein Schatten.

    Jeremy Irons („Königreich der Himmel“, „Time Machine“, „Stirb langsam 3“) sollte Pacino als gutmütiger Kaufmann Antonio eigentlich ein adäquates schauspielerisches Gegengewicht bieten. Der Brite spielt auch höchst solide, bleibt aber in der schmählichen Opferrolle etwas hinter seinen großen Möglichkeiten zurück. Erst in der alles entscheidenden Verhandlung über sein Schicksal kann Irons durch Leidensfähigkeit glänzen. Joseph Fiennes („Shakespeare in Love“, „Luther“, „Enemy At The Gates“) passt sich als verliebter, edler, aber chronisch klammer Herzensbrecher an das gute schauspielerische Niveau an, ohne allerdings auf eine Stufe mit Al Pacino zu gelangen. Die Entdeckung des Films ist aber eindeutig Lynn Collins. Die junge, bildhübsche Texanerin, die bisher nur in kleinen Rollen in „30 über Nacht“ und „50 erste Dates“ aufgefallen war, ist als Bassanios Sweet Portia schlicht eine Offenbarung an Charme, Eleganz und Charisma. Sie spielt die reiche, intelligente junge Frau mit Anmut und Durchsetzungskraft.

    Der in Indien geborene und aufgewachsene Brite Michael Radford sorgte mit dem Romantik-Drama „Der Postmann“ für den Indie-Hit des Jahres 1995 und wurde zudem für einen Oscar nominiert wie auch der Film selbst sowie das Drehbuch. Der Score von Luis Enriquez Bacalov gewann schließlich eine goldene Trophäe. Für diesen klassischen Shakespeare-Stoff ist Radford exakt der richtige Mann. Er beweist ein feines Gespür für die Ausgewogenheit seiner Inszenierung. Die betörende Photographie des Franzosen Benoit Delhomme („The Winslow Boy“, „Sade“) und edle Dekors vor der originalen Kulisse Venedigs geben dem Film einen exquisiten Look, den Radford mit aller Konsequenz zuende denkt und dabei die Edel-Prostituierten Venedigs stilecht barbusig zeigt.

    Bei den Dialogen gab sich Autor Radford größte Mühe, der Vorlage treu zu bleiben und sie nur sehr umsichtig zu modernisieren, um dem heutigen Publikum den Zugang zu der schwermütigen, altertümlichen Sprache zu erleichtern. Allerdings halten sich diese Änderungen in Grenzen und lassen „Der Kaufmann von Venedig“ wesentlich näher am Geiste Shakespeares erscheinen als zum Beispiel postmoderne Versionen wie Baz Luhrmanns „Romeo und Julia“. Wovor auch Orson Welles zurückschreckte, war die unheimlich schwierige Reduktion der extrem komplexen Bühnenvorlage. Radford gelingt es in weiten Teilen, die Charaktere herunterzubrechen, doch in der B-Note muss er sich Abzüge gefallen lassen. Shylock und Antonio fallen trotz ihrer durchaus vorhandenen Ambivalenz zu sehr in ein Schwarz-Weiß-Raster von Gut und Böse. Die unrühmliche Unterdrückung und Geißelung der Juden lässt den Schein der venezianischen Edelmänner nicht verblassen. In dieser Nuance wirkt „Der Kaufmann von Venedig“ nicht mutig genug. Radford mag sich auf Shakespeare berufen, aber eine kleine zeitgemäßere Anpassung hätte dem Film mehr Spannungspotential gegeben, wenn Gut und Böse mehr ineinander verschwommen wären. Dies tritt besonders beim knapp halbstündigen, spektakelartigen Finale um die Urteilsverkündung zu Tage.

    Trotzdem präsentiert Michael Radford mit „Der Kaufmann von Venedig“ klassisches, großes, prächtiges Kino, das sich nicht als abgefilmtes Theater entpuppt, sondern die vollen Möglichkeiten einer Leinwandproduktion ausnutzt und mit viel Atmosphäre für Freunde gepflegten Programmkinos einiges zu bieten hat. Der Regisseur behält die Balance zwischen tiefgreifendem Drama und hingebungsvoller Romanze, streut dazu noch kleine komödiantische Elemente ein. Ob der große Cross-Over-Effekt, der durch die starke, prominente Besetzung auch Mainstreambesucher in den Film locken soll, eintritt, darf indes bezweifelt werden. In den USA stellte sich die 30-Millionen-Dollar-Produktion als Kassengift heraus und spielte weniger als fünf Millionen Dollar wieder ein.

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