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    Familia rodante
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Familia rodante
    Von Christoph Petersen

    Zumindest die argentinischen Filme der letzten Jahre, die den Weg über den Atlantik in unsere Kinos gefunden haben, waren zumeist unerträglich-depressive Kunstprodukte. Beiträge wie „Tan De Repente“, „El Abrazo Partido“ und zuletzt „Extrano“ waren dabei so destruktiv-prätentiös, dass man fast schon Angst vor neuen Filmen aus diesem Land mit der großen Kinogeschichte hatte. Deshalb ist es umso erfrischender, dass sich Autor und Regisseur Pablo Trapero nun mit seinem Road-Movie „Familia Rodante“ gegen diesen negativen Trend stellt und seine Geschichte neben aller Dramatik hoffnungsvoll und schnörkellos erzählt. Trotz Schwächen ist der Film so ein Muss für jeden Fan des süd-amerikanischen Kinos und ein durchaus empfehlenswerter Einstieg für alle Interessierten.

    Die Familie der 84-jährigen Emilia (Traperos eigene Großmutter Graciana Chironi in ihrer ersten Filmrolle) aus Buenos Aires kommt eigentlich nur noch zu Familienfesten zusammen, ansonsten haben sich die einzelnen Mitglieder weit voneinander entfernt. Als Emilia an ihrem Geburtstag einen überraschenden Anruf erhält, muss die Familie aber im wahrsten Sinne des Wortes wieder zusammenrücken. Emilia soll als Trauzeuge zur Hochzeit ihrer Nichte in ihren Geburtsort nah der brasilianischen Grenze kommen. Also muss sich die 11-köpfige Sippe in Oscars (Bernardo Forteza) kleines Wohnmobil quetschen und die 1200 km lange Strecke in Richtung Norden bei brühender Hitze hinter sich bringen. Bis sie endlich angekommen sind und sich bei der trinkfreudigen Folklore-Hochzeit erholen können, müssen aber zunächst noch einige absurde Begegnungen, unzählige Mosquito-Attacken, eine Autopanne und eine Menge Familienstreitereien überstanden werden…

    Schon in der Eröffnungssequenz, dem Geburtstag von Oma Emilia, kann man Traperos unglaublich differenziertes Verständnis des Lebens und der Familie bewundern. Oberflächlich betrachtet sind alle Gäste glücklich und ausgelassen, aber immer wieder zeigt sich in kleinen Gesten oder Blicken, dass die Fröhlichkeit zumindest zum Teil nur aufgesetzt ist, verborgene Konflikte kurz vor dem Ausbruch stehen. Das ganze Eitel-Sonnenschein-Gehabe ist möglich, weil sich die Familie nur selten versammelt. Aber die Situation ändert sich dann natürlich schlagartig, als Emilias Wunsch zur Hochzeit ihrer Nichte zu fahren, die Familie für ein ganzes Wochenende auf den engen Raum eines Wohnmobils zusammenpfercht. Uralte Beziehungsprobleme brechen wieder auf und neue kommen hinzu. Besonders gelungen, weil ungemein leichtfüßig und lebendig in Szene gesetzt, ist dabei die Episode um das Teenie-Trio Yanina (Marianela Pedano), Nadia (Leila Gomez) und Gustavo (Raul Vinona). Gustavo und Yanina sind Cousin und Cousine, Nadia ist als Freundin von Yanina mit auf die Reise gekommen. Zunächst bändeln Gustavo und Yanina an, ihm kommt aber ein Verhältnis zwischen Verwandten irgendwie komisch vor und wechselt zu Nadia. Yanina ist zuerst todunglücklich, nimmt dann aber mit dem süßen Kellner vorlieb. Selten wurde das Teenie-Dasein, in dem es bei jeder Beziehung um Leben und Tod geht, so angemessen-ernsthaft, aber trotzdem treffend-amüsant beschrieben.

    Es scheint Trapero scheinbar spielend zu gelingen, kleine große Bilder für seine Geschichte zu entdecken. Gerade noch hat er mit wackeliger Kamera eine Streiterei in dem engen Wohnwagen gefilmt, muss nur einer der Protagonisten seinen Kopf aus dem Fenster strecken und schon hat man als Kontrast wunderschöne, abwechslungsreiche Landschaftsaufnahmen. Sowieso ist die Wahl eines Wohnwagens als Schauplatz für ein Familiendrama absolut genial. Wenn der Tross wegen einer Zollkontrolle, Panne oder Pinkelpause anhalten muss, kann Trapero ohne Hindernisse zwischen intensivem Kammerspiel und auflockernden, helleren Szenen hin und her springen, so geschickt die Tempi variieren. Auch kann man durch Zufallsbegegnungen nicht zu aufdringliche Aussagen über das Land und seine Mentalität einbauen. So wird der Wohnwagen am Nationalfeiertag während der Dämmerung von Fahnen schwingenden Reiter „attackiert“, die verspielt mit ihren Macheten auf die Kühlerhaube einschlagen. Oder das Ersatzteil, das Oscar unbedingt besorgen muss, ist zwar beim Mechaniker zu bekommen, nur hat der es bisher als Blumentopf benutzt.

    Leider gibt es ein großes Problem, für das Trapero keine befriedigende Lösung gefunden hat. Aufgrund der hohen Anzahl an gleichberechtigten Figuren und den schnellen Wechseln zwischen den Episoden ist es für den Zuschauer unheimlich schwierig, auch emotional an der Geschichte teilzunehmen. Er bleibt so nur ein unbeteiligter Beobachter, für den es aber mehr als genug zu entdecken gibt: Die Mischung aus lakonischem Alltags-Humor und fein dosierten Dramen funktioniert einfach. Außerdem merkt man „Familia Rodante“ stets an, dass sein Regisseur all seine Figuren ins Herz geschlossen hat oder zumindest Verständnis für ihre Schwächen aufbringt. So führt Trapero seine Protagonisten nie vor, sondern erzählt ihre kleinen Geschichten auf eine faire und deshalb besonders angenehme Art.

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