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    Sliver - Gier der Augen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Sliver - Gier der Augen
    Von Tobias Diekmann

    Sharon Stone war in den Neunzigern kurzzeitig so etwas wie die Gallionsfigur des erotischen Thrillers, was mit Sicherheit an ihrer Hauptrolle im hervorragend inszenierten und für damalige Verhältnisse mutigen Basic Instinct (1992) lag. Fortan galt sie als der Inbegriff von sexy, irgendwie verrucht und undurchsichtig. Um dieses Image des „Sexvamps mit Stil“ auch in Zukunft ausschlachten zu können, dachte sich wohl der Stab ihrer Berater, dass es sicher ausreichen würde, nach diesem Welterfolg schnell einen Film hinterher zu schicken, der sich mit ähnlichen Schlagwörtern Marke „sex sells“ gut verkaufen lässt. Ein großer Fehler, wie sich herausstellen sollte, und bei einem Blick auf den weiteren Verlauf von Stones Karriere dieser Versuch der „Imagepflege“ untermauert wird. Denn der nach einer Romanvorlage inszenierte Erotik-Thriller „Sliver“ des australischen Regisseurs Phillip Noyce vereint all das, was „Basic Instinct“ ein Jahr zuvor erfolgreich umschiffen konnte. Platte Dialoge, ein schlechtes Drehbuch und angestaubte Erotik können als erste grobe Referenzpunkte dienen, um diesen belanglosen Film zu umschreiben, der sehr viel besser hätte werden können.

    Die attraktive Lektorin Carly Norris (Sharon Stone) zieht in ein neu erbautes Hochhaus namens Sliver an der Madison Avenue in Manhattan. Nach einiger Zeit erzählt ihr ein älterer Bewohner, dass ihre Vormieterin, der sie sehr ähnelte, unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen sei. Carly macht indes schnell Bekanntschaft mit weiteren Leuten des Hauses, so zum Beispiel mit dem undurchsichtigen und erfolglosen Buchautor Jack Lansford (Tom Berenger) und Zeke Hawkins (William Baldwin), dem das Hochhaus gehört und der darüber hinaus unbemerkt in einem speziell gesicherten Raum über zig Bildschirme das Treiben in den Wohnungen durch kleine Kameras beobachten kann. Zeke baut langsam eine Beziehung zu Carly auf und beide beginnen ein leidenschaftliches Verhältnis miteinander, wobei Zeke sie nach und nach in seine Welt des Voyeurismus entführt, die sich ihrerseits fasziniert und abgestoßen zugleich seinem sexuellen Machtspiel hingibt. Doch nachdem es zu weiteren rätselhaften Todesfällen in dem Hochhaus kommt und Lansford als ein Hauptverdächtiger verhaftet wird, reift in Carly bald der Verdacht, dass auch Zeke etwas mit den Morden zu tun haben könnte und seine Weste nicht so rein ist, wie es zunächst den Anschein hat.

    Dass Sharon Stone (Casino, Broken Flowers) mittlerweile munter dabei ist, ihren Ruf als eine solide Schauspielerin zu demontieren, ist spätestens seit ihrem letztjährigen gescheiterten Comebackversuch mit Basic Instinct 2 kein großes Geheimnis mehr. Umso tragischer ist es zu sehen, was sie bereits im Jahre 1993 für enttäuschende Leistungen abgeliefert hat. „Sliver“ ist ein wirklich durch und durch vorhersehbarer Thriller von der Stange, der es weder schafft großartig Spannung aufzubauen, noch den Erotikaspekt sinnvoll in den Rest der Handlung einzubauen vermag.

    Klar, hier geht es auch um Voyeurismus, versteckte Kameras und William Baldwin (Backdraft, Flatliners, Der Tintenfisch und der Wal) als Gott der Bildschirme. Aber zuallererst stehen immer Sharon Stone, ihr Körper sowie das Abhandeln ihrer Lust im Mittelpunkt des Geschehens. Die Figur der Carly wird eingeführt als sexuell frustrierte Frau, die sich im Bad selbst befriedigt (dabei selbstverständlich gefilmt wird) und es darüber hinaus vermeidet, in den Spiegel zu schauen. Der Spiegel als Symbol ihres unterdrückten Verlangens nach Nähe eines aufrichtigen Partners und gleichzeitig der Hass auf den eigenen Körper. Dann Auftritt Baldwin: Seine Figur Zeke begehrt vom ersten Augenblick Carlys Körper, lädt sie zum Krafttraining (!) ein, weil er sieht, dass es ihr gut tun würde. Er selbst mag Vulkane sehr gerne. Ja, alles klar. Der Vulkan als Symbol seiner gesteigerten und eruptiven Lust. Einige tolle symbolträchtige Aufhänger, um die beiden Protagonisten in unterschiedlichen Situationen hölzerne Dialoge aufsagen, aber eigentlich Sex haben zu lassen, um so dem Film den nötigen erotischen Touch zu verleihen. Der Dampfhammer in Form von Sexszenen wird immer wieder zwischen den Morden und zwielichtigen Gesprächen ausgepackt, um den Zuschauer stets daran zu erinnern, dass es sich hier um einen möglichst sexuell aufgeladenen extrem spannenden Thriller handelt, in dem man niemanden trauen sollte, außer Carly, die es ja sowieso nicht leicht hat, und sich völlig verständlich in die Arme des fragwürdigen Zeke stürzt, obwohl sie doch eigentlich den Mann fürs Leben sucht.

    Die sinnige Zusammenführung der unterschiedlichen Handlungsebenen gelingt nicht ein einziges Mal, sondern wirkt immer aufgesetzt und fügt sich in keinem Moment in das Gesamtbild eines spannenden Hochglanz-Thrillers ein, der er gerne sein würde. Stattdessen scheint alles ganz nach dem Motto: „Sex n‘ crime passt immer“ abzulaufen. Tut es jedoch leider nicht. Somit gerät auch die finale Auflösung der Motivationen einzelner Figuren zu einem halbgaren Vergnügen, das programmatisch für den gesamten Film stehen kann und extrem zusammengeschustert wirkt.

    Dabei wirft Regisseur Noyce (Das Kartell, Der stille Amerikaner, Catch A Fire) im Ansatz durchaus interessante Fragen auf, die mit den vorhandenen selbstreferenziellen Aspekten des Films hätten genauer verdeutlicht werden können. Zum Beispiel die Frage nach der Macht bzw. Machtlosigkeit durch virtuelle Teilhabe am Leben anderer, oder die Frage nach dem moralischen Gewissen, vor allem wenn man beachtet, dass „Sliver“ aus einer Zeit stammt, in der „Big Brother“ noch nicht in der 23. Staffel auf allen Kontinenten über den Bildschirm flimmerte und den Zuschauer an den voyeuristischen Blick längst gewöhnt hat. Nur in wenigen Szenen lässt Noyce Raum für solche Fragen zu. Wenn Carly im Aufzug mit einem Vater und seiner Tochter steht und sie durch Zekes installierte Kameras weiß, dass der Mann sich an seiner kleinen Tochter regelmäßig vergeht, wird diese Machtlosigkeit für einen kurzen Moment spürbar und zeigt, was vielleicht möglich gewesen wäre, wenn man diesen Aspekt sinnvoller in die Handlung rund um die Verbrechen in dem Hochhaus eingebaut hätte.

    Stattdessen entschied man sich jedoch für den Weg des sexuell motivierten Voyeurismus, was hier einfach nicht stimmig in das eh schon schwache Storyboard eingebunden wird. So bleibt „Sliver“ sowohl für Stone, aber vor allem für Phillip Noyce einer der Tiefflüge ihres kreativen Schaffens und kann getrost unter der Kategorie „misslungen“ verbucht werden.

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