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    True Romance
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    True Romance
    Von Ulrich Behrens

    Zwischen Reservoir Dogs (1992) und Pulp Fiction (1994) legte Quentin Tarantino ein Drehbuch vor, aus dem Tony Scott („Enemy of the State“, 1998; Spy Game, 2001) eine wahre Liebesromanze zauberte, so wahr, dass man es kaum glauben kann. Da kämpft sich ein Paar durch die Unbill des Lebens, zwischen Kugelhagel und Kokain, fast schon kindlich naiv – und siegt am Schluss über alle Widrigkeiten und Widerstände, als ob das Leben nichts anderes mit ihm vorgehabt hätte: true romance. Klischees über Klischees begleiten Clarence (Christian Slater) und die Prostituierte Alabama (Patricia Arquette) auf ihrem Weg zur glücklichen Familie, als ob Hollywood die abgestandenen Standards seiner romantischen Komödien und seiner Crime-Storys mit einer seltenen Form von Geschmacksverfeinerung zu einem modernen Märchen gemixt hätte, das sehr wohl mundet, so dass – selten genug der Fall – die hauseigenen Abziehbilder und gängigen Stereotypen zu einem Gala-Diner der feinen Art modifiziert werden. Schmackhaft.

    Scott geht auf Nummer Sicher und trifft den Publikumsgeschmack, wenn er den Einzelgänger Clarence, der auf Kung-Fu-Filme steht und Comics verkauft, auf die gerade mit ihrer „Karriere“ als Call-Girl beginnende Alabama treffen lässt, als wenn es nichts wäre, nichts als love at first sight. Sie kamen, sie sahen sich, sie siegten – respektive ihre Liebe. Nicht nur das: Sie halten fortan zusammen wie Pech und Schwefel, ohne sich gegenseitig in irgendeine Form von emotionaler oder sonstiger Abhängigkeit gefangen zu halten. Glorious! Nichts kann den beiden im Wege stehen, niemand kann ihnen etwas anhaben. Auch nicht Drexl Spivey (Gary Oldman), Drexl the Pimp, Alabamas Zuhälter, den Oldman in bekannter Manier spielt, mit langen Haaren, einem lila Hemdchen auf der Brust, gewalttätig, eklig, zynisch – einfach genial. Allerdings muss er für seine egozentrische Art, seine Umgebung voll und ganz in moderner Sklaverei zu halten, mit dem Leben bezahlen. Denn Clarence, der Alabamas Sachen bei Drexl abholen will, kennt kein Pardon. Er will Alabama auslösen – mit einem leeren Briefumschlag. Schon jetzt ist Alabama für ihn unbezahlbar, und Drexl bleibt die Luft im Umschlag, aber keine Luft mehr zum Leben. Clarence Worley hat sich Mut gemacht. Sein Alter Ego, Elvis, sein Mentor (Val Kilmer), ein Geist, der ihm des öfteren leibhaftig erscheint, hat ihm Mut gemacht: Töte Drexl, hat er ihm gesagt. Elvis kümmert sich ...

    Alabama ist kurz entsetzt, doch dann entzückt, dass ein Mann für sie tötet. Nicht nur das: Der Koffer, in dem Clarence Alabamas Habe vermutete, ist randvoll mit Kokain im Wert von fünf Millionen Dollar. Was tun, sprach Zeus. Spuren verwischen, was sonst. Und da Clarence Vater, ein Wachmann, früher Polizist, noch immer Beziehungen zu seinen Ex-Kollegen hat, macht sich das Paar auf zu Clifford Worley (Dennis Hopper), der seinen Sohn seit Jahren nicht mehr gesehen hat. Clifford soll herausbekommen, ob die Polizei irgendeinen Verdacht gegen das Paar hegt, was selbstverständlich nicht der Fall ist. Denn die Polizei glaubt an eine Mafia-interne Auseinandersetzung. Was die beiden allerdings nicht wissen: Der Mafiosi Vincenzo Coccotti (Christopher Walken), dem die wertvolle Fracht gehört, hat neben der Leiche des Pimps Drexl Clarence Ausweis gefunden. Schnell haben er und seine Lakaien Clifford gefunden, der ihnen verraten soll, wohin sich Clarence und Alabama aus dem Staub gemacht haben. Die sind unterwegs nach Los Angeles, um über Clarence alten Kumpel Dick Ritchie (Michael Rapaport) das Kokain zu verkaufen. Der kennt nämlich einen Filmproduzenten (Saul Rubinek) samt Angestelltem (Bronson Pinchot), der das Zeug möglicherweise kaufen würde. Inzwischen allerdings sind auch die Cops Dimes und Nicholson (Chris Penn, Tom Sizemore) dem wertvollen Stoff und seinen Besitzern auf die Spur bekommen. Und Coccottis Leute, allen voran Virgil (James Gandolfini) treffen in Hollywood ein ...

    Je näher sich die Geschichte Hollywood nähert, desto deutlicher werden die Bezüge zum allseits bekannten Schmelztiegel der Filmbranche. Wir treffen auf zwei Klischee-Cops, auf Brad Pitt, den faulen Freund Dicks namens Floyd, der sich praktisch nur auf der Couch herum fläzt, auf Gangster, die den Crime-Storys der 40er Jahre entsprungen zu sein scheinen, auf einen standardisierten Mafiosi, der von Christopher Walken – wenn auch nur in einem kurzen Auftritt, bei dem Clarence Vater mit seinem Leben wegen seines Schweigens bezahlen muss – grandios verkörpert wird, auf einen ebenso stereotypen Filmproduzenten und seinen ängstlichen, leicht naiven Gehilfen. Und natürlich auf einen entschlossenen Clarence, den Christian Slater als das verkörpert, was er ist: als großen Jungen, der seine Träume endlich erfüllt.

    „True Romance“ – das sind die visualisierten Träume eines Heranwachsenden über Heldenmut und Opfergeist, über Reichtum und Romantik, über Liebe und Stärke, über Gut und Böse, wie sie eigentlich nur Quentin Tarantino niederschreiben kann. Der Höhepunkt ist eine Szene, in der sich Gangster, Cops, Clarence, Alabama, Donowitz, Blitzer und Dick in einem Hotelzimmer allesamt gegenüberstehen. Die Polizisten schreien die Gangster an: „Waffen runter.“ Die Gangster schreien die Cops an. Alle schreien, alle haben Angst, alle wollen siegen, keiner will sterben. Der Rest steht zwischen den Fronten. Dann kracht es – und man rate, wer sich dem ganzen Spektakel mit heiler Haut entziehen kann – true romance.

    Scott lässt keine Langeweile aufkommen. Spritzig, einfallsreich, agil, mit viel Energie führt uns der Regisseur mit seiner Schauspielerschar zwei Stunden durch eine komische, traurige, mal actionreiche, mal ruhige Geschichte, die – was wir uns (fast) alle erträumen – mit einem Happyend schließt. Christian Slater und Patricia Arquette sind die Helden unserer Träume. Funny.

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