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    Für ein paar Dollar mehr
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Für ein paar Dollar mehr
    Von Ulrich Behrens

    „Where life had no value ...“

    „Where life had no value,

    death, sometimes, had it’s price.

    That is why the bounty killers

    appeared.“

    Die Bibel eröffnet den Reigen. Ein Mann im Zug liest in ihr. Doch, wie im Verlauf der Geschichte deutlich werden wird, sicherlich nicht in der Bergpredigt. Eher im Alten Testament, wo es heißt „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Die Religion wird auf das Maß gestutzt, das ihr scheinbar gebührt. Der Mann steigt aus, nachdem er den Zug gewaltsam zum Halten gebracht hat – an einem Bahnhof, an dem er normalerweise nicht hält. Ein Pferd, eine Reisetasche. Der Mann trägt einen Umhang, und kurz darauf erschießt er einen steckbrieflich Gesuchten. Col Douglas Mortimer (Lee van Cleef) ist ganz offenbar ein Kopfgeldjäger, einer der wenigen vornehmen, vornehm gekleidet, vornehm im Auftreten, vornehm in den Worten, die er wählt. Lee van Cleef spielt diesen Mortimer gelassen, kühl, aber doch immer mit dem Schein eines Lächelns im Gesicht.

    White Rocks. Ein Nest wie jedes andere. Ein Mann mit Stoppelbart, Poncho, der auf seinem Zigarillo mehr kaut, als ihn zu rauchen, erschießt einen anderen steckbrieflich gesuchten Halunken und kassiert die Belohnung beim Sheriff. Das Mann heißt Monco (Clint Eastwood), und er verlässt White Rocks so rasch, wie er den Flecken betreten hat.

    Währenddessen wird ein anderer Gesetzloser aus dem Gefängnis befreit, El Indio (Gian Maria Volonté), auf den immerhin 10.000 Dollar Belohnung ausgesetzt sind. Er tötet Frau und Kind des Mannes, der ihn in das Gefängnis gebracht hat, vor 18 Monaten, dann auch den Mann selbst, der mit dem Kopfgeld für den „Verrat“ eine Familie gegründet hatte. Religion hat hier keine praktische Bedeutung mehr, Familie ebensowenig. Das Töten ersetzt als Ritual die in amerikanischen Western viel beschworene Ordnung, die im Verlauf der dortigen Handlungen wiederhergestellt werden muss, um angeblich das Leben zu schützen. Das Ritual der Be-weihräucherung des Gewaltmonopols des Staates und der moralischen Verachtung des und der Gesetzlosen ersetzt Leone durch eine Welt, in der egoistische Motive herrschen und sich gesellschaftlicher Zusammenhang nicht aus einer wohlgeordneten, ethisch und religiös fundierten Ideologie ergibt, sondern in der Gewalt – um einen Satz von Friedrich Engels abzuwandeln – alleiniger Geburtshelfer von Zusammenhang geworden ist.

    Sergio Leone lässt sich in diesem Sequel von „Für eine Handvoll Dollar“ Zeit, sehr viel Zeit, bevor er die eigentliche Geschichte erzählt. Nach rund zwanzig Minuten treffen die beiden so unterschiedlichen Kopfgeldjäger in El Paso aufeinander. In einer Art Duell lernen sich beide kennen. Während Monco Mortimers Hut am Boden beschießt und Mortimer dadurch hindert, ihn aufzusetzen, schießt Mortimer Moncos Hut durch den nächtlichen Himmel. Dann trinkt man im Hotelzimmer und schließt einen Vertrag: Da beide hinter El Indio her sind, wollen sie sich das Kopfgeld für ihn und seine etwa 14 Köpfe zählende Bande teilen. Monco soll sich in die Bande einschleichen und durch Befreiung eines ihrer Mitglieder, Sancho Perez (Panos Papadopulos), aus dem Gefängnis El Indios Vertrauen gewinnen.

    Das gelingt auch. El Indio plant einen Überfall auf die Bank in El Paso und will die Behörden dadurch von seinem Vorhaben ablenken, dass vier seiner Leute in Santa Cruz Unruhe stiften und so die Aufmerksamkeit des Sheriffs auf sich zu ziehen. Monco jedoch erschießt auf dem Weg nach Santa Cruz die drei Männer, mit denen er dieses Ablenkungsmanöver durchführen sollte. Aber der Plan Moncos und Mortimers, El Indio während des Bankraubs auszuschalten misslingt ...

    Wenn man so will, inszenierte Leone mit „Per qualche dollaro in più“ eine Art Dreiecksge-schichte. Drei Jäger – Monco, Mortimer und El Indio – jagen sich gegenseitig: El Indio will die beiden Kopfgeldjäger los werden, die er von Anfang an als solche erkannt hat. Mortimer will Monco neutralisieren respektive ihn für seine Zwecke einsetzen; deshalb schließt er einen Vertrag mit ihm. Monco jagt El Indio, während Mortimer ihm dabei im Weg ist. Doch alle drei irren sich bezüglich des Ausgangs der Jagd. Und Leone benutzt diese Jagd einmal mehr, um sowohl seinen Stil zu verfeinern, als auch um dem klassischen Western und seiner idyllischen Darstellung des Helden den Garaus zu machen.

    Die Unterschiede zwischen den drei Hauptfiguren scheinen nur gradueller Natur: El Indio ist ein gewalttätiger Psychopath, der sich beim Rauchen von Marihuana (zum ersten Mal wurde dies in einem Film gezeigt) daran erinnert, wie er den Geliebten einer jungen Frau erschoss – so, als ob er ahnte, dass ihn die Rache für diesen Mord irgendwann ereilt. Mortimer, der vordergründig als nichts anderes als ein in gute Kleider gesteckter Kopfgeldjäger erscheint, ist ein intelligenter, kühl kalkulierender Mann, der mit allen Mitteln sein Ziel verfolgt, das bis zum Schluss – dem entscheidenden Duell – verborgen bleibt. Monco ist einer, der angesichts der Brutalisierung einer Gesellschaft, in der ein Leben keinen Pfifferling wert ist, sein Glück im Jagen von Gesetzlosen sieht und dieses Ziel ebenso skrupellos verfolgt. Für alle drei scheint auf jede Art erzieltes Geld der einzige Lebenszweck zu sein.

    Die religiösen Motive, die der amerikanische Film, nicht nur im Western, zuhauf als tragende Säule der Gesellschaft wiederkäute, verkehren sich in „Per qualche dollaro in più“ in zynische Symbole – etwa wenn El Indio mit seiner Bande speist (Abendmahl) und kurz danach von einer wirklichen Kanzel einer allerdings verfallenen Kirche, in der die Bande haust, eine „Predigt“ hält („Jesus und seine Jünger“). Deren Inhalt: Er habe einen Mann im Gefängnis kennen gelernt, der ihm erzählt habe, wie man den gut gesicherten Safe der Bank in El Paso knacken könne. El Indio habe ihn ins Jenseits befördert, damit er diesen Plan in die Tat umsetzen kann. Brutale Gewalt und Geld stehen im Zentrum dieser Gesellschaft und offen-baren doch nur die Verlogenheit der Darstellung der Gesellschaft in den meisten klassischen Western.

    Zudem benutzt Leone fast schon skurril aussehende Personen, um einerseits zu demonstrieren, dass so gut wie jeder in dieser Gesellschaft hinterhältige Absichten verfolgt: den giftigen kleinen Hotelbesitzer (Kurt Zips), den von Klaus Kinski ganz in seiner gewohnten Art gespielten hoch neurotischen Wild, den Mortimer provoziert, indem er ein Streichholz an ihm anzündet, die rothaarige, rundliche und vollbusige Frau des Hotelbesitzers Mary (Mara Krupp), von der man nicht weiß, welche Absichten sich hinter ihren Blicken verbergen und nicht zuletzt den kauzigen alten Propheten (Josef Egger), der mit allerlei Sarkasmus seine Mit-menschen kommentiert.

    Zu den schönsten, ganz in Leones Stil gedrehten Szenen gehören u.a. das Scheinduell zwischen Monco und Mortimer, bei dem man zunächst nicht weiß, wie es ausgeht und dass es in einem Vertrag mündet, an den beide sich später nur vage halten; eine Szene, in denen sich beide durch ein Fernglas über die Straße aus ihren Hotels beobachten; die Schlussszene des Duells zwischen Monco, Mortimer und El Indio, die u.a. über Mortimers Motive der Verfol-gung von El Indio Aufschluss gibt.

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