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    Wir sprechen mit dem "Sonne und Beton"-Regisseur David Wnendt über Sequel-Pläne, "Problem-Rentner" in Gropiusstadt & die Arbeit mit Felix Lobrecht
    Stefan Geisler
    Stefan Geisler
    -Redakteur
    Stefan liebt Film. Er vermisst die wöchentlichen Besuche in der Videothek, denn das ziellose Umherirren in den Gängen hat ihm Seherfahrungen wie "Donnie Darko" oder "Fear and Loathing in Las Vegas" beschert.

    Wir hatten die Möglichkeit zum Kinostart von „Sonne und Beton“ mit Regisseur David Wnendt über den Film zu sprechen. Dieser verrät uns u.a. warum es keine gute Idee ist, in Berlin-Neukölln Drohnen-Aufnahmen machen zu wollen.

    Am 02. März 2023 ist „Sonne und Beton“ in den Kinos gestartet – und der Film zum Beststeller von Comedian und Podcast-Größe Felix Lobrecht wurde mit viel Hype erwartet – so war beispielsweise die gesamte Kinotour zum Start innerhalb von Stunden ausverkauft! Wir finden, verdientermaßen – „Sonne und Beton“ ist hervorragendes Genre-Kino aus Deutschland, das sich erfrischend authentisch präsentiert.

    FILMSTARTS-Redakteur Stefan Geisler konnte den Filmemacher David Wnendt zum Kino-Start von „Sonne und Beton“ zum Interview treffen und hat mit ihm u.a. über die Zusammenarbeit mit Felix Lobrecht, Vermeidung von Stereotypen in Filmen, Erfahrungen mit „Problem-Rentnern“ in Gropiusstadt und die Liebe zu „La Haine“ gesprochen

    Unser Interview mit David Wnendt

    FILMSTARTS: Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit Felix Lobrecht?

    David Wnendt: Großartig! Es war wirklich eine sehr, sehr gute Erfahrung. Es gibt zwei Möglichkeiten mit Buchautoren zu arbeiten: Entweder der Autor sagt „Ich lass dir da freie Hand“ oder er schreibt das Drehbuch richtig mit. Beides ist cool. Was nicht funktioniert ist alles dazwischen. Wenn ein Autor oder Autorin sagt: „Macht mal“ aber dann eine halbe Woche später vorbeikommt und alles mikromanagt – das geht schief.

    Felix war es wichtig sein „Baby“ nicht ganz aus der Hand zu geben. Er wollte mitschreiben und das fand ich vollkommen fein. Wir haben uns getroffen und uns erst einmal etwas kennenlernen müssen. Das Schreiben lief dann aber erstaunlich gut – er hat ein feines Gespür für Sprache und hat viel an den Dialogen gearbeitet. Wir mussten für das Drehbuch neue Dialoge erfinden, die im Buch nicht vorkommen. Ich hab mehr an der Struktur und Szenengestaltung gearbeitet.

    Constantin Film
    David Wnendt & Felix Lobrecht

    FILMSTARTS: Apropos Szenengestaltung: Da das Ganze auch auf seinen Erinnerungen beruht, hat er da auch versucht, ein bisschen Einfluss auf die Gestaltung zu nehmen? Euch da auch in eine bestimmte Richtung zu lenken?

    David Wnendt: Sonne und Beton“ basiert auf Geschichten, die Felix selbst erlebt hat, oder die Kumpels erlebt haben. Aber es ist keine Autobiografie. Es ist ein eigenständiges, künstlerisches Werk. Felix war es wichtig, dass die Glaubwürdigkeit und der Realismus stimmen – vor allem bei der Sprache.

    Die Schauspieler mussten das auch verkörpern. Er wollte da nicht „Udo aus Baden-Württemberg“, sondern Jungs aus Neukölln. Ich selbst wollte als Vorbereitung etwas in Felix' Vergangenheit eintauchen. Ich hab zusammen mit Jörg Hartmann [Anm. d. Red.: spielt in Film Matthias, den Vater von Lukas] Felix Vater besucht. Wir haben uns alte Fotos von damals angeguckt. Felix' Bruder hatte noch so ganz alte pixelige Handyvideos aus der U-Bahn und aus der Schule, die haben wir natürlich benutzt. Insgesamt wollten Felix und ich beide, dass der Film so authentisch wie möglich wird.

    Man muss den Jungs den Slang glauben

    FILMSTARTS: Habt ihr beim Casting-Prozess auch ein bisschen auf den Hintergrund der vier Jungen geachtet, dass die vielleicht auch selber gewisse Parallelen zu den Figuren mitbringen?

    David Wnendt: Wir haben viel Zeit in das Casting investiert und versucht, ein „großes Netz“ auszuwerfen. Ich hab mir bei jeder Rolle überlegt, was der Schauspieler für sie können muss. Dann hab ich die Castingszenen dementsprechend gestaltet. Alle vier Jungs mussten mit der Sprache umgehen – dass man ihnen den Slang glaubt.

    Der Schauspieler des Julius musste extrovertiert sein und von himmelhoch jauchzend bis total betrübt spielen können. Lukas müssen die Zuschauer nahekommen können. Er musste etwas Kindliches an sich haben. Es sollte weh tun ihn mit Zigarette im Mund zu sehen. Am Ende sollte jeder Darsteller perfekt zu seiner Figur passen. Bei manchen hat es sich so ergeben, dass sie privat der Figur ähneln: Der Schauspieler von Lukas [Anm. d. Red.: Levy Rico Arcos] kommt beispielsweise aus der Nähe der Gropiusstadt, Sanchez [Aaron Maldonado-Morales] kommt aus Kreuzberg und hat wie seine Rolle kubanische Roots. Vincent und Raffael kommen aus Nordrhein-Westfalen, sie waren vorher noch nie in Gropiusstadt. Trotzdem hatten sie das gewisse Etwas, das für ihre Rollen genau richtig war. Da habe ich dem Casting-Prozess vertraut.

    Constantin Film
    Julius, Lukas, Gino und Sanchez

    Ist "Sonne und Beton" politisch?

    FILMSTARTS: Wie politisch ist „Sonne und Beton“?

    David Wnendt: Es geht um realistische Probleme, um ein realistisches Milieu, eine Lebenswirklichkeit, die viele Tag für Tag erleben. Viele Zuschauer können sich mit dem Inhalt identifizieren – dadurch wird der Film dann relevant oder eben politisch. Zum Glück ist der Film aber auch sehr unterhaltsam. Ich war mit Felix in Schulen in Gropiusstadt, wo er das Buch vorgestellt hat. Und da gab es auch einige Kinder, die gesagt haben „Ich hab noch kein Buch gelesen, aber DAS Buch, das habe ich verschlungen.“ Es war für sie eine Geschichte aus ihrem Leben. Das sollte der Film genauso erreichen: Diesen Menschen das Gefühl geben, dass sie wirklich gesehen werden.

    FILMSTARTS: Hast du Angst – gerade nach den Vorfällen in der Berliner Silvesternacht – dass der Film politisch fehlinterpretiert werden könnte, der falschen Seite „Nahrung“ liefert?

    David Wnendt: Ich glaube, wenn man in die Tiefe geht und bei dem Film genau hinguckt, dann lässt sich das schwer instrumentalisieren. Diese Frage kommt natürlich öfter – ich habe einen Film über Hitler gemacht, einen Film über Neonazis und immer stand die Frage im Raum, was machst du, wenn die falsche Seite applaudiert? Diese Möglichkeit lässt sich nicht komplett vermeiden – Leute benutzen oder kritisieren teilweise etwas, ohne den Film gesehen zu haben. Du kannst auch einen Shitstorm haben von Leuten, die den Film gar nicht gesehen haben. Ich stehe zu allem, was im Film zu sehen und zu hören ist. Ich kann alles verteidigen.

    ALLSTAR/POLYGRAM
    "Hass" ist eines der Vorbilder von "Sonne und Beton"

    FILMSTARTS: Welche filmischen Vorbilder besitzt „Sonne und Beton“? Ich meine Filme wie „La Haine“ (dt. Titel: „Hass“) oder „Lola rennt“ erkannt zu haben.

    David Wnendt: „La Haine“ ist so monumental und ein unerreichbares Vorbild. Es gibt ja auch ein, zwei richtige „La Haine“-Zitate im Film. Ich liebe „La Haine“, weil der trotz der Härte einen großen filmischen Humor hat. „La Haine“ ist nicht mit Handkamera gefilmter Trübsinn. Der Film ist richtig verspielt, was die Musik, die Schnitte und Effekte angeht und entwickelt daraus eine filmische Poesie. Es ist gut, sich solche Klassiker zum Vorbild zu nehmen – ich kann auf sehr vielen Ebenen von ihnen lernen.

    Kommt "Sonne und Beton 2"?

    FILMSTARTS: Im Falle des erwartbaren Erfolgs: Ist „Sonne und Beton 2“ eine Möglichkeit? Und worum könnte es in einer Fortsetzung gehen?

    David Wnendt: Also das musst du Felix fragen. Zurzeit findet er bestimmt keine Ruhe zum Schreiben, weil wir ihn für die Filmpromotion brauchen. Zum Glück mag er den Film und kämpft gemeinsam mit uns, um die Leute ins Kino zu locken. Ich würde mich freuen, wenn er einen zweiten Teil schreibt. Es ist dann ganz sein Geheimnis, wie der aussehen würde.

    FILMSTARTS: Warum werden Millieustudien in Deutschland schnell zu einem Klischee – und was muss man als Filmemacher beachten, um nicht in diese Klischeefalle zu geraten?

    David Wnendt: Also aktuell scheint es so ein Instinkt zu sein, dass man versucht, diese Klischeefalle zu vermeiden, indem man das Klischee ins Gegenteil verkehrt – das man sagt: „Okay, es ist doch irgendwie blöd, dass die Drogendealer im Park einen arabischen Hintergrund haben. Wie wäre es, wenn es stattdessen eine lesbische Mädchen-Gang aus Stuttgart wäre?“ Das Ergebnis hätte nichts mehr mit der Wirklichkeit zu tun, es wäre komplett absurd. Film muss sich meiner Meinung nach mit der Wirklichkeit auseinandersetzen. Film muss die Welt zeigen wie sie ist, nicht nur wie sie sein sollte.

    Constantin Film
    Man muss in die Tiefe gehen, um Klischee zu vermeiden

    Man kann das Klischee vermeiden, indem man in die Tiefe geht. In diesem Fall haben die Drogendealer vielleicht einen arabischen Hintergrund, aber wir geben den Figuren Raum. Der Zuschauer erlebt sie als vielschichtige Menschen. Nur so kann man über das Klischee hinweg kommen.

    Diese Figuren tragen einen ähnlichen Kampf wie die Hauptfiguren aus und werden in der Gesellschaft mit eigenen Problemen konfrontiert. Wenn dir die Lehrer gar nichts zutrauen und dich nur verwahren wollen, deutsche Boomer dich ständig anpöbeln und beschimpfen, dann fehlt dir jede Perspektive. Das haben wir übrigens selber so am Set erlebt. Jeder Mensch ungeachtet von Hautfarbe, Herkunft und Religion will doch eigentlich wachsen und etwas aus sich machen – und manche bekommen diese Chance einfach nicht.

    Gropiusstadt & die "Problem-Rentner"

    FILMSTARTS: Was macht die Gropiusstadt in Berlin-Neukölln so einzigartig?

    David Wnendt: Es gibt in vielen Städten auf der ganzen Welt problematische Viertel, wo Armut vorherrscht und auf engem Raum viele Leute zusammenwohnen. In einigen Häusern der Gropiusstadt wohnen 400 Leute im gleichen Gebäude – das ist sehr eng.

    Gropiusstadt ist aber kein Stadtteil, den man aufgegeben hat. Es ist keine Banlieue. Aktuell werden in Gropiusstadt viele Spiel- und Sportplätze neu gebaut. Es gibt Jugendklubs, Schulen werden neu gebaut oder renoviert. Trotzdem ist da immer noch so eine Aggressivität in der Luft. Es gibt sehr krasse Leute da und Armut – mit allen Begleiterscheinungen. In Berlin herrscht oft ein rauer Ton, in Gropiusstadt ist der nochmal extremer. Aber wir hatten nie Probleme mit den Jugendlichen da, sondern eher mit deutschen „Problem-Rentnern“.

    Constantin Film
    Ganz normal in Gropiusstadt

    FILMSTARTS: Wie waren denn die Dreharbeiten in Gropiusstadt? Hat man euch willkommen geheißen? Gab es Probleme?

    David Wnendt: Eigentlich beides. Ein Filmteam stört ganz von allein Leute in ihrem Alltag. Ein Filmteam nimmt Parkplätze weg, sperrt Wege ab, macht Licht und Lärm – das lässt sich nicht vermeiden. Wir haben Aufnahmen mit einer Drohne gemacht, da haben Leute Umzugskartons und Kissen aus dem Fenster geworfen, um die Drohne abzuschießen. Leute haben mit Vogelschreckmunition auf uns geschossen. Es wurde gefühlt eine Million Mal die Polizei gerufen. Oder wir wurden am Set angemeckert, weil wir abends mit Scheinwerfern gedreht haben und das ja „Stromverschwendung“ sei.

    So krass ist das in anderen Bezirken nicht. Trotzdem gab es auch viel Unterstützung, z.B. von den Jugendclubs vor Ort oder dem Neuköllner Bürgermeister Martin Hikel. Und gerade die Jugendlichen aus Gropiusstadt haben uns sehr geholfen.

    FILMSTARTS: In welches Milieu möchtest du denn als Nächstes filmisch tiefer eintauchen?

    David Wnendt: Irgendwo habe ich mal gelesen, dass es zwei Arten von Künstlern gibt. Die einen, wie zB Picasso, bleiben zu Hause und schöpfen alles aus sich selbst und ihrer Fantasie heraus. Das sind die Original Genies. Bei denen ist das Frühwerk meistens am spannendsten. Die anderen, wie zB. Cézanne müssen raus. Sie müssen erleben, recherchieren, rumfahren, mit Leuten reden, um daraus dann etwas zu schaffen. Sie brauchen viel mehr Anläufe und Versuche. Dafür ist hier meistens das Spätwerk interessanter. Ich gehöre 100% zu dieser zweiten Gruppe.

    Ich bin als Kind oft umgezogen. Vielleicht hab ich deswegen bis heute stets Hunger auf Neues. Ich war so konzentriert auf „Sonne und Beton“, dass ich erst langsam wieder das nächste Projekt anschieben kann. Ich werde das ganze Jahr schreiben und entwickeln.

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