Meisterwerk oder Mogelpackung: KI-Kontroverse überschattet einen der meistgefeierten Filme 2024 – Oscar-Chancen in Gefahr?
Patrick Fey
Patrick Fey
-Feier Autor
Patrick Frey ist Freier Autor und in dieser Funktion unter anderem auch als Filmkritiker für FILMSTARTS.de tätig.

Brady Corbets Oscar-Anwärter „Der Brutalist“ mit Adrien Brody bleibt in aller Munde. Der jüngsten Kontroverse um den Einsatz von KI-Technologien wäre er allerdings wohl lieber aus dem Weg gegangen...

Voll des Überschwangs war FILMSTARTS-Chefredakteur Christoph Petersen, als er Brady Corbets „Der Brutalist“ in der Weltpremieren-Vorstellung bei den Filmfestspielen von Venedig zu Gesicht bekam und in seiner Kritik schließlich die vollen 5 von 5 Sterne zückte. Und damit fand er sich in trauter Runde, stieg Corbets dritter Spielfilm doch schnell zu einem Favoriten der Award-Season auf. Erst kürzlich empfahl sich „Der Brutalist“ mit dem Gewinn als Bestes Drama bei den Golden Globes für weitere Auszeichnungen bei den Oscars. Vielerorts zum Meisterwerk des visionären Geschichtenerzählens geadelt, gießt eine aktuelle Kontroverse um den Einsatz von generativer künstlicher Intelligenz nun etwas Wasser in den allzu vollmundigen Wein.

Im Schaffensprozess des dreieinhalbstündigen Epos kam KI in gleich zwei zentralen Bereichen zum Einsatz, wie ein Interview mit „Der Brutalist“-Cutter Dávid Jancsó für Redshark zutage förderte. Zum einen wurde KI genutzt, um die ungarische Aussprache der Schauspieler*innen, insbesondere Adrien Brodys und Felicity Jones‘, zu optimieren (Ungarisch gilt weithin als eine der am schwierigsten erlernbaren Sprachen). Hierfür kam die Software Respeecher zum Einsatz, die die Stimmen der Schauspieler*innen analysierte, um bestimmte Vokale und Laute zu präzisieren. Cutter Dávid Jancsó, seines Zeichens selbst ungarischer Muttersprachler, lieferte ebenfalls Audiomaterial, um die Aussprache zu perfektionieren.

Zum anderen wurde generative KI verwendet, um eine Sequenz am Ende des Films zu gestalten, die architektonische Zeichnungen und Gebäude im Stil des fiktiven Architekten László Tóth (gespielt von Adrien Brody) zeigt. Angesichts der Prämisse des Films ist insbesondere dieser Umstand von beißender Ironie. Zur Erinnerung: „Der Brutalist“ erzählt von einem jüdischen Bauhaus-Architekten, der im Zuge der Nazi-Machtübernahme aus Europa in die USA flieht, um dort von Neuem zu beginnen. Sein einzigartiges Talent und Verständnis für die Architektur öffnet ihm schon bald die Türen in die obersten Zirkel Pennsylvanias und führt ihn in die Arme des von Guy Pearce gespielten Mäzen Lee Van Buren.

Moralische Entrüstung weit und breit – doch ist sie auch gerechtfertigt?

Es steht zu bezweifeln, dass sich Dávid Jancsó der Sprengkraft seiner Aussagen bewusst war, als er die KI-Einsätze bei „Der Brutalist“ bestätigte. Schlagartig entzündete sich online eine emotional geführte Debatte über die ethischen Implikationen von KI in der Filmkunst. So wird vielerorts etwa angemahnt, dass die KI-generierten Architekturmodelle die menschliche Kreativität und das künstlerische Handwerk untergraben.

Es handele sich hier um eine, wortwörtlich wie im übertragenen Sinne, billige „Abkürzung“, die den Geist und die Integrität des Filmes schmälere. Wurde in der bisherigen Berichterstattung immer wieder mit Staunen auf das geringe Produktionsbudget von „Der Brutalist“ hingewiesen (es wird von 10 Millionen Dollar ausgegangen), so kratzen diese Enthüllungen nun ein wenig am Nimbus des epischen Low-Budget-Projektes.

Neben der Entrüstung, die die Nachrichten in den sozialen Medien hervorriefen – die Prädikate reichten von einer „Schande“ bis hin zu „zutiefst unmoralisch“ – hat die Berichterstattung zum Thema vermutlich aber auch seine guten Seiten. Denn je mehr man sich darüber informiert, für welche Filme und auf welche Weise KI in der Vergangenheit bereits zum Einsatz kam, desto mehr muss man sich auch die Frage stellen, inwiefern sich die Praktiken bezüglich „Der Brutalist“ von Post-Produktionsprozessen unterscheiden, wie sie etwa beim Gesang Rami Maleks in „Bohemian Rhapsody“ vorgenommen wurden.

Corbets Verteidigung und die Auswirkungen auf die Preisverleihungen

Wenig überraschend verteidigte Regisseur Brady Corbet demonstrativ den Einsatz von KI in „Der Brutalist“. Wie er in einem an mehrere US-Medienhäuser gerichteten Statement mitteilte, seien die Leistungen seiner Schauspieler*innen „vollständig ihre eigenen“, nur in der Feinjustierung habe die KI unterstützend eingewirkt. Die Respeecher-Technologie habe man manuell angewendet, um die Authentizität der ungarischen Sprache zu gewährleisten.

Im Gegensatz dazu seien keine englischen Dialoge verändert worden. Zwar habe die Nutzung von KI zur Beschleunigung des Postproduktionsprozesses geführt, dies sei jedoch nicht anders als die Nutzung anderer gängiger Audio-Software. Was die Architektur-Modelle angeht, so seien diese bewusst so gestaltet, dass sie wie schlechte digitale Projektionen der 1980er Jahre aussähen. Ob man Corbets Ausführungen nun zustimmt oder nicht, es ist schwer vorstellbar, dass der Vorfall nicht seine Spuren hinterlassen und die Chancen von „Der Brutalist“ bei den Oscars schmälern wird, gerade wenn es um die Schauspielleistung des Hauptdarsteller-Favoriten Adrien Brody geht.

Der Brutalist
Der Brutalist
Von Brady Corbet
Mit Adrien Brody, Felicity Jones, Guy Pearce
Starttermin 30. Januar 2025
User-Wertung
3,7
Filmstarts
5,0
Vorführungen (232)

Im gleichen Atemzug mit der Kontroverse um den Film wurde übrigens auch bekannt, dass im Netflix-Hit „Emilia Pérez“ von Jacques Audiard ebenfalls KI eingesetzt wurde, um die Gesangsstimme von Karla Sofía Gascón zu optimieren. Laut dem Re-Recording-Mixer des Films, Cyril Holtz, habe man bei „Emilia Perez“ ebenfalls die Software Respeecher verwendet, um den Stimmumfang von Gascón zu erweitern und ihre Stimme mit der der französischen Popsängerin Camille zu mischen, die auch am Soundtrack des Films beteiligt war.

Diese Parallele zeigt, dass sich der Einsatz von KI in der Filmbranche nicht auf einzelne Fälle beschränkt. Vielmehr müssen wir uns zunehmend die Frage stellen, wie und in welchem Umfang die Filmindustrie in Zukunft mit KI-Technologien umgehen wird und umgehen sollte.

Einer, der auf diese Frage wohl allerhand Antworten hätte, ist „Avatar“-Schöpfer und Filmtechnik-Innovator James Cameron. Sein dritter Film aus Pandora soll bereits Ende dieses Jahres anlaufen und schickt sich an, Camerons Status als Box-Office-König einmal mehr zu zementieren. Nun versprach er den Fans, dass sie auch bei „Avatar 3: Fire and Ash“ mit einem Drei-Stunden-Epos rechnen können. Mehr dazu hier:

"Avatar 3: Fire And Ash": Regisseur James Cameron verspricht ein weiteres 3-Stunden-Action-Epos – und einige handfeste Überraschungen!

facebook Tweet
Ähnliche Nachrichten
Das könnte dich auch interessieren