Mehr "Hausaufgabe als Spaß": Marvel-Boss kritisiert das eigene MCU - "Thunderbolts*", "Daredevil" und Co. als Auftakt einer neuen Strategie
Björn Becher
Björn Becher
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Seit mehr als 20 Jahren schreibt Björn Becher über Filme und Serien. Hier bei FILMSTARTS.de kümmert er sich um "Star Wars" - aber auch um alles, was gerade im Kino auf der großen Leinwand läuft.

„Thunderbolts*“ begeistert viele MCU-Fans mit einem frischen Ansatz für das Marvel-Universum – und das nicht ohne Grund. Es ist wohl Ende eines alten und Anfang eines neuen Kapitels, mit dem Kevin Feige auch die Probleme seines MCU adressiert.

Disney und seine verbundenen Unternehmen

Als Marvel-Boss Kevin Feige Regisseur Jake Schreier mit „Thunderbolts*“ beauftragte, soll er diesem eine Sache mitgegeben haben: Er möge bitte alles anders machen als es bei bisherigen MCU-Filmen war. Denn auch das Mastermind hinter dem MCU soll festgestellt haben, dass es bei Fans eine gewisse Marvel-Müdigkeit und -Übersättigung gibt.

Marvel habe zu viele Filme und Serien veröffentlicht, die dann auch noch zu viele Verweise aufeinander haben. Laut dem Wall Street Journal soll Feige in einer internen Runde gesagt haben, dass das Anschauen aller MCU-Produktionen sich mehr wie Hausaufgabe als Unterhaltung und Spaß anfühle.

Auch andere Marvel-Führungskräfte sollen ihm da beigepflichtet haben. Es sei intern gesagt worden, dass man einen „Keine neuen Fans“-Club erschaffen habe. Damit ist ein Zustand gemeint, in dem das MCU keine neuen Fans mehr finden kann, weil niemand mehr mit einer Neuveröffentlichung in das Universum einsteigen kann. Denn schaut man nun in einen neuen MCU-Titel rein, hat man keine Ahnung, was da überhaupt vor sich geht.

Das ist angeblich Marvels neue Strategie

Laut Informationen von unter anderem dem Wall Street Journal sowie den gut vernetzten Brancheninsidern Matt Belloni und Jeff Sneider gebe es bei Marvel jetzt die Marschrichtung: „Weniger ist mehr“. Und das betreffe sowohl Filme als auch Serien

1. Weniger Filme im Kino: Sneider rechnet zum Beispiel damit, dass man in Zukunft fünf Marvel-Filme in zwei Jahren erwarten solle, also zwei Starts im einen Jahr, drei dann im nächsten oder umgekehrt.

2. Weniger Serien auf Disney+: Auch bei den Serien wolle man sich in Zukunft auf eins bis zwei Live-Action-Serien pro Jahr beschränken. Laut Belloni und Sneider sei das auch der Hintergrund des viel diskutierten, reduzierten Gehaltsangebots an Jeremy Renner für „Hawkeye“ gewesen. Bei Marvel will man die Serie gar nicht fortsetzen. Statt sie selbst abzusetzen, kann man so aber darauf verweisen, dass es leider wegen der Absage von Renner nicht weitergehen könne.

3. Mehr Eigenständigkeit für die Serien: Zudem wolle man bei den Produktionen für Disney+ auch einen eigenen Ansatz verfolgen. Hier soll – wie zum Beispiel zuletzt bei „Daredevil: Born Again“ – mehr auf Geschichten gesetzt werden, die losgelöst vom großen MCU sind und so für Fans einfacher zu verstehen sind. Laut Jeff Sneider werde die kommende MCU-Serie „Vision Quest“ daher die letzte Produktion auf Disney+ mit einem „Kinohelden“ im Mittelpunkt.

Bei Marvel sei man sich insgesamt einig, dass es einfach viel zu viel Content gegeben habe. Die Strategie sei einfach nur noch „Expansion, Expansion, Expansion“ gewesen, hat eine Person, die früher bei der Comic-Schmiede gearbeitet hat, dem Wall Street Journal verraten. Anlass war der Wunsch von Disney, den hauseigenen Streamingdienst Disney+ mit möglichst viel exklusiven Inhalten attraktiver zu machen. Feige habe zuletzt intern eingestanden, warum er dem Plan zugestimmt habe. Es sei der Eifer gewesen, mehr Geschichten zu erzählen, und der Wunsch zu zeigen, dass er ein „vorbildlicher Angestellter ist“. Doch am Ende sei das ein Fehler gewesen.

Auch Kevin Feiges Zeit ist ein Problem

Stattdessen soll Kevin Feige jetzt entlastet werden. Eine andere Führungskraft werde künftig die Serien betreuen, sodass sich das MCU-Mastermind auf die Filme konzentrieren kann. Gerade die fehlende Zeit von ihm sei nämlich das größte Problem gewesen. Feige habe bislang das letzte Wort bei allen kreativen Entscheidungen. Wenn man aber nicht mehr nur ein paar Stunden Kinofilme, sondern Dutzende Stunden Streaming-Content pro Jahr herstellt, nimmt die Anzahl dieser Entscheidungen rasant zu.

Das Wall Street Journal erfuhr von Leuten, die Anfang der 2020er an Marvel-Titeln beteiligt waren, dass es oft eine Herausforderung war, Zeit für das Feedback von Feige zu finden. Das habe dazu geführt, dass über Wochen an etwas gearbeitet wurde, das sich plötzlich als irrelevant erwiesen habe. Als Feige dann Feedback gab und alles ganz anders haben wollte, war nicht nur alte Arbeit für die Tonne, sondern es blieb auch kaum Zeit, um die neuen Änderungen zu realisieren.

Bei Marvel hat Last-Minute-Arbeit System

Eine vollständige Kehrtwende sollte man trotz der Strategie-Änderung aber natürlich nicht erwarten. Auch bei „Thunderbolts*“ ist es von Vorteil, wenn man all die verschiedenen Figuren, die da zusammenkommen, schon kennt. Und bei einem „Avengers: Doomsday“ wird es durch das Mitmischen von angeblich über 60 Figuren aus diversen Filmen und Serien noch schlimmer. Es wird wohl ein langsam voranschreitender Prozess, dass weniger neue Dinge passieren, die man kennen und aufholen muss – weil halt weniger Filme und Serien erscheinen und letztere dann öfter für sich stehen.

Dass Marvel-Produktionen oft ein wenig Chaos begleitet, wird sich aber womöglich ebenfalls nicht ändern. Denn auch wenn in den vergangenen Jahren vermehrt über Nachdrehs und Last-Minute-Umplanungen negativ berichtet wurde und diese dem Studio als Planlosigkeit ausgelegt wurden, hat das System.

Umfangreiche Nachdrehs waren bei Marvel von Anfang an der Standard. Denn Feige selbst ist beim Dreh kaum vor Ort. Er ist laut dem Wall Street Journal stark in die Entwicklung des Films, also gerade den Drehbuchprozess, involviert (wobei es auch bekannte Fälle wie „Iron Man“ gibt, wo der Dreh sogar ohne vollständiges Skript gestartet wurde). Dann mischt sich das MCU-Mastermind vor allem im Schneideraum wieder ein, wo er auch gerne Sachen ändert und neue Szenen bestellt. Feiges langjährige rechte Hand Louis D’Esposito soll so den Satz geprägt haben: „Wir können jeden Film reparieren, indem wir ihn noch mal drehen.“

Falls ihr euch für den eingangs erwähnten „Thunderbolts*“ interessiert, haben wir hier noch folgenden Artikel zum Titel-Twist für euch:

Marvel macht den neuen (!) Titel von "Thunderbolts" offiziell: Der Avengers-Twist erklärt
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