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    An "Spuk in Hill House" muss sich Horror künftig messen: So großartig ist die neue Netflix-Serie

    Netflix läutet allmählich die Halloween-Zeit ein und bringt mit „Spuk in Hill House“ nicht nur eine wirklich unheimliche, sondern vor allem auch eine unheimlich gute Serie an den Start, die weit mehr zu bieten hat als plumpe Schockeffekte.

    Netflix

    Dass Horror längst nicht mehr der großen Leinwand vorbehalten ist, sondern sich auch immer mehr Serien voll und ganz dem schaurigen Genre verschrieben haben, ist keine Neuigkeit. Während im TV-Bereich gerade teils legendäre Mystery-Formate wie „Twilight Zone“ oder „Akte X“ schon vor Jahrzehnten regelmäßig mit Horror-Elementen oder ganzen Horror-Folgen angereichert wurden, ist die Zahl der Serien, die durchweg wenig zimperlich verschiedene Auswüchse des Genres bedienen, in jüngerer Vergangenheit merklich gestiegen, woran sicherlich auch die bezeichnend betitelte Erfolgsserie „American Horror Story“ oder der blutige Zombie-Hit „The Walking Dead“ entscheidenden Anteil gehabt haben dürften. Doch hat in diesen Gefilden kaum eine Serie einen solchen Eindruck hinterlassen wie nun die Netflix-Produktion „Spuk in Hill House“, der ein wahrlich meisterlicher Spagat zwischen furchteinflößendem Geister-Horror und rührendem Familien-Drama gelingt.

    Darum geht's in "Spuk in Hill House"

    Im Jahr 1992 verbringt die Familie Crain nur einige Wochen im stattlichen Hill House, einem alten Anwesen, das Vater Hugh (Ex-„E.T.“-Kinderstar Henry Thomas) über die Sommerferien wieder auf Vordermann bringen will, um es danach gewinnbringend zu verkaufen. Doch die Zeit in der schummrigen Villa, die später den Ruf als berühmtestes Geisterhaus der USA genießen wird, verändert das Leben der Familienmitglieder für immer. Auch 26 Jahre später haben die Kinder von Hugh und seiner Frau Olivia (Carla Gugino) auf jeweils eigene Weise an dem verstörenden Hill-House-Aufenthalt zu knabbern.

    Die jüngste Tochter Nell (Victoria Pedretti) treiben die Geister, die sie noch immer heimsuchen, letztlich gar zurück zum Haus, wo sie offenbar Selbstmord begeht. Das bringt auch ihre Geschwister Steve („Game Of Thrones“-Star Michiel Huisman), Shirley (Elizabeth Reaser), Theo (Kate Siegel) und Luke (Oliver Jackson-Cohen) wieder zusammen und dazu, sich noch einmal mit ihrer mysteriösen Vergangenheit auseinanderzusetzen, um zu ergründen, was genau damals eigentlich Schreckliches in der Nacht ihrer überstürzten Abreise vorgefallen ist. Bald steht fest: Hill House ist noch nicht fertig mit ihnen...

    Horror-Hoffnungsträger

    Mit Filmen wie „Oculus“, „Before I Wake“ und „Ouija 2: Ursprung des Bösen“ hat Autor und Regisseur Mike Flanagan zwar keine rundum gelungenen Werke abgeliefert, sich aber gerade im Hinblick auf originelle und effektive Horror-Inszenierung in den vergangenen Jahren als Hoffnungsträger des Genres empfohlen. Mit „Spuk in Hill House“ (nach der Stephen-King-Adaption „Das Spiel“ nun schon Flanagans zweite Netflix-Arbeit) zementiert der Filmemacher diesen Status jetzt eindrucksvoll (was uns nur noch mehr Lust auf seine 2020 kommende „Shining“-Fortsetzung „Doctor Sleep“ macht). Flanagan, der die Serie selbst entwickelt, teilweise geschrieben und komplett inszeniert hat, ruht sich nicht auf gängigen Haunted-House-Klischees aus, sondern variiert sie gekonnt und nutzt sie auf diese Weise stets im Sinne seiner Erzählung. Einmal mehr widmet er sich dabei einer Prämisse, die auf dem Papier nur allzu vertraut ist, schließlich dient als Vorlage auch der 1959 erschienene genrebestimmende Roman-Klassiker „Spuk in Hill House“ von Shirley Jackson, der mit „Bis das Blut gefriert“ aus dem Jahre 1963 und „Das Geisterschloss“ von 1999 zudem schon zweimal verfilmt wurde. Doch bedient sich Flanagan hier nur bei einzelnen Elementen und Figuren und kombiniert diese auf clevere Weise völlig neu, um seine ganz eigene Geschichte zu erzählen.

    Um deren Schrecken zu illustrieren, setzt er kaum auf billige Schockeffekte, sondern erzeugt mit jeder Menge Einfalls- und Abwechslungsreichtum vielmehr ein konstant unbehagliches Gänsehaut-Gruseln, das sich über die Dauer der zehn Folgen allerhöchstens minimal abnutzt. Gemeinsam mit seinem Stammkameramann Michael Fimognari beweist Flanagan Mut zu ungewöhnlichen Kameraperspektiven sowie langen Einstellungen und Fahrten, um Stimmung und Spannung aufzubauen. Zudem lässt er das Grauen oftmals nur (oder zumindest zunächst nur) unheilvoll im Hintergrund auftauchen oder vorbeihuschen, ohne darauf noch einmal aggressiv mit plötzlichem lautem Musikeinsatz aufmerksam zu machen. Und wenn sich Flanagan dann doch mal für einen der wohldosierten Jump Scares entscheidet, kommen diese durch den Verzicht auf die oft genreimmanente vorhersehbare Vorbereitung meist völlig unerwartet und dadurch mit umso größerer Wucht – für ein Wegschauen ist es hier jedenfalls meist zu spät.

    Großes Horror-Kino

    Möglich wird das Ganze auch dank der durchweg fantastischen Schnittarbeit. Gerade die zwei verschiedenen Zeitebenen, zwischen denen permanent hin und her gesprungen wird, werden mit derart fließenden Übergängen und eleganten Gegenüberstellungen verknüpft, dass die Geschichte trotz des großen Zeitsprungs und der vielen unterschiedlichen Figuren (sowie wechselnden Schauspielern), stets nachvollziehbar bleibt und völlig wie aus einem Guss erscheint. Der Höhepunkt all dieser inszenatorischen Finessen wird zweifellos mit der sechsten Folge „Zwei Gewitter“ erreicht, die als absolutes Highlight aus einer ohnehin fantastischen Serie (und sogar dem ganzen Genre) heraussticht.

    Wenn viele der zuvor etablierten Konflikte beim Aufeinandertreffen der Hauptfiguren in der Gegenwart offen ausbrechen, setzt Flanagan das sowohl in dieser Zeitebene als auch in der das Geschehen sinnvoll ergänzenden Vergangenheit in virtuos aufgebauten Plansequenzen um, die jeweils zwischen fünf und 15 Minuten dauern und nicht nur zum Horror, sondern vor allem auch zu den Figuren, die diesem ausgesetzt sind, eine fesselnde Unmittelbarkeit und Nähe aufbauen. (Sichtbare) Schnitte gibt es abgesehen von der allerletzten Szene nur beim Übergang von einer Zeitebene zur anderen (und selbst dann nicht immer!). Das ist großes Horror-Kino im Serien-Format!

    Figuren an erster Stelle

    Ebenjene Highlight-Folge unterstreicht auch eine weitere große Stärke der Serie noch einmal gesondert: die nahezu perfekte Balance zwischen Grusel- und Familiengeschichte. Die Figuren kommen in „Spuk in Hill House“ stets an erster Stelle, aus ihnen heraus entwickelt Flanagan erst die unheimlichen Elemente. So handelt es sich bei den Geistererscheinungen auch nicht immer um tatsächliche, bisweilen todbringende Gespenster, sondern oftmals um (nicht minder schaurige) Hirngespinste, die Ausdruck schwerer Traumata, privater Probleme oder von „Wünschen“ sind, wie es in der Serie selbst heißt. Behutsam werden die Mitglieder der gebeutelten Familie Crain eingeführt und nach und nach ihr über die Jahre teils stark in Mitleidenschaft gezogenes Verhältnis zueinander beleuchtet.

    In den einzelnen Folgen wird der Fokus meist jeweils auf eine Figur des Ensembles gelegt, sodass wir jeden der sieben sehr unterschiedlichen Protagonisten näher kennenlernen. Der häufige Wechsel der Erzählperspektive lässt dabei bereits angeschnittene Geschehnisse regelmäßig in einem neuen Licht erscheinen, wodurch sich erst Stück für Stück das gesamte abgründige Hill-House-Puzzle zusammensetzt. Dass auf diesem Wege ein Gefühl für das Schicksal jedes Einzelnen vermittelt wird (auch wenn manche Schicksale etwas interessanter als andere sind), verleiht der Geschichte überhaupt erst Gewicht und dient so auch als Grundlage für einige starke, von durchweg einnehmenden Darstellerleistungen getragene emotionale Momente, die man so in einer Horror-Serie vielleicht nicht unbedingt erwartet. Am Ende überspannt Flanagan hier den Bogen eventuell etwas zu sehr in Richtung Kitsch, weswegen dem Spuk im Hill House auf den letzten Metern dann doch ein wenig der Horror-Atem ausgeht. Dennoch fügt sich der recht endgültige Abschluss stimmig in das Gesamtbild ein.

    Fazit

    Ernsthafte Konkurrenz für „Conjuring“ und Co.: „Spuk in Hill House“ gehört dank der wirkungsvollen Inszenierung mit zum Besten, was es in Sachen Geistergrusel in den vergangenen Jahren zu sehen gab. Die Netflix-Serie ist aber auch deswegen so stark, weil sie nicht nur auf der Horror-Ebene allein überzeugt, sondern uns auch sorgfältig ausgearbeitete, toll gespielte und sich gegenseitig perfekt ergänzende Figuren präsentiert. Das Ergebnis ist äußerst gruselig und zugleich zutiefst bewegend.

    Alle zehn Folgen von „Spuk in Hill House“ können ab sofort bei Netflix auf Deutsch und Englisch abgerufen werden.

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