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    Kritik zu Netflix' "Der dunkle Kristall" : Düsteres, verstörend-schönes Fantasy-Epos

    Die „Der dunkle Kristall“-Prequel-Serie „Ära des Widerstands“ ist ein gewaltiges Fantasy-Epos, mit dem Netflix seinen Status als Plattform für schräge und besondere filmische Juwelen zementiert.

    Netflix

    Jim Hensons und Frank Oz‘ Fantasy-Abenteuer „Der dunkle Kristall“ von 1982 gehört wie auch Hensons „Die Reise ins Labyrinth“ und „Hexen hexen“ zu einer Art von Kinderfilm, wie man sie heute eigentlich nicht mehr sieht: Groß und düster, immer auf dem schmalen Grat zwischen ernst und albern und mit Szenen, deren unheimlicher Ton nicht nur den Kleinsten unter uns einen Schauer über den Rücken jagt. Obwohl der Film mittlerweile vor allem im englischen Sprachraum zum Kult avancierte, wirkt der Gedanke einer Prequel-Serie zu dem Puppen-Fantasy-Epos immer noch abwegig, so speziell und schräg war der Film damals und so vollkommen abseits von den Interessen des modernen Streaming-Publikums wirkt er heute. Dennoch bringen „Der unglaubliche Hulk“-Regisseur Louis Leterrier und Netflix mit „Der dunkle Kristall: Ära des Widerstands“  genau das an den Start – und damit auch die schaurige Grausamkeit des Originals zurück in die Kinderzimmer.

    Darum geht’s in "Der dunkle Kristall: Ära des Widerstands"

    Thra, die Welt, in der „Der dunkle Kristall“ und „Ära des Widerstands“ angesiedelt sind, liegt im Sterben. Ein kataklystisches Ereignis namens „The Darkening“ droht, alles Leben auf dem Planeten zu verschlingen. Die Skekse, große vogelartige Kreaturen, die von der weisen, naturverbundenen Aughra (Stimme: Donna Kimball / Puppenspiel: Kevin Clash) vor Äonen damit beauftragt wurden den namensgebenden Kristall, Sinnbild für alles Leben auf Thra, zu bewachen, haben die Zeichen bereits erkannt, vertuschen oder leugnen den Verfall der Welt jedoch voreinander und vor ihren treu ergebenen Verbündeten, den Gelflingen.

    Die Skekse spüren, dass auch sie schwächer werden und ihnen der baldige Tod bevorsteht und beginnen, die Macht des Kristalls für ihre Zwecke zu korrumpieren, um ewiges Leben zu erreichen. Der Skeks-Wissenschaftler skekTek (Mark Hamill / Olly Taylor) findet einen Weg, den Kristall dazu zu verwenden, die Lebensessenz aus Kreaturen zu ziehen und für den Konsum zu destillieren. Fortan nutzen die Skekse die Gelflinge als Quelle frischer Lebensenergie. Als der Soldat Rian (Taron Egerton / Neil Sterenberg) seine Herrscher bei dem Ritual und damit dem Mord an einem Gelfling beobachtet, wird er als Verräter denunziert und ihm das Verbrechen angehängt. Auf der Flucht verbündet er sich nach und nach mit anderen Gelflingen, die die Wahrheit über die Skekse erkannt haben und formt eine Revolte ...

    Gewaltiges, gewaltsames Fantasy-Epos

    … bis es soweit kommt, sind jedoch schon einige Episoden der Serie ins Land gezogen. „Der dunkle Kristall: Ära des Widerstands“ lässt sich nämlich reichlich Zeit, bis der Plot so richtig Fahrt aufnimmt. In der ersten Hälfte der zehnteiligen Staffel liegt der Fokus vornehmlich auf den politischen, familiären und philosophischen Hintergründen der einzelnen Hauptfiguren. Neben Rian sind das die gebildete Prinzessin Brea (Anya Taylor-Joy / Alice Dinneman), die aus dem reichen Gelfling-Clan der Vapra stammt, sowie Grottan-Gelfling Deet (Nathalie Emmanuel / Beccy Henderson), deren sensibles Volk unter der Erde in einem Höhlensystem haust. Das bedeutet jedoch nicht, dass in diesen Episoden keine Spannung aufkommt.

    Netflix

    „Ära des Widerstands“ bietet, sobald man sich an die Mischung aus CGI-Hintergründen, plastischen Sets und Puppenspiel gewöhnt hat, fantastische Schauwerte, behandelt ernste, komplexe Themen (darunter Ausbeutung, Umweltkatastrophen, Krieg und die Unvermeidbarkeit des Todes) unterhält durch Action, Witz und Dramatik und ist am Ende episches, pro Folge rund 50-minütiges kompromissloses Fantasy-Puppentheater, das zumindest dem Schreiber dieser Zeilen wie keine andere Sendung vor Augen geführt hat, wie schön es wäre, noch einmal ein Kind zu sein und die Serie mit kindlichem Blick sehen zu können.

    Unbedingt für alle Kinder geeignet ist „Ära des Widerstand“ deshalb aber nicht. Vor allem, wenn die durchtriebenen Skekse im Mittelpunkt einer Szene stehen, kann diese nämlich auch schon mal in Richtung Horror abdriften. Wenn die großen, hässlichen Kreaturen sich bei einem orgiastischen Festmahl an Augen und Eingeweiden delektieren oder ihre Feinde und ihresgleichen im Kerker foltern und verstümmeln, dann wird das teilweise in erschreckend expliziten Bildern eingefangen. Netflix empfiehlt die Serie Jugendlichen ab 12, ob sie auch für den jüngeren Nachwuchs geeignet sein könnte, sollte daher lieber jeder selbst überprüfen. Sensible oder zartbesaitete Kinder könnten von den gezeigten Grausamkeiten leicht Albträume bekommen.

    Wunderschön hässlich

    Das Design der Puppen wurde 1:1 aus dem Original übernommen, was sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich bringt. Einerseits ist die Liebe zum Detail, mit der die Crew Jim Hensons Welt neu erschaffen hat, bewundernswert, andererseits ziehen sich jedoch auch ein paar wenige Altlasten durch die Produktion. So sind Aussehen und Mimik der Gelflinge stark gewöhnungsbedürftig, vor allem die Mitglieder des Vapra-Clans, dem Brea und ihre Schwestern angehören, wirken leblos und austauschbar. In einer Szene erwähnen die Skekse sogar, dass sie nicht in der Lage sind, die einzelnen Figuren auseinanderzuhalten – ein rarer, selbstreferenzieller Moment.

    Netflix

    Das Skekse-Hauptquartier und seine Hausherren sind auf der anderen Seite ein klares animationstechnisches Highlight in „Ära des Widerstands“. Die Antagonisten sind einfach so herrlich ekelhaft, kantig, fleischig und böse, von der Hollywood-Besetzung wundervoll vertont (insbesondere Simon Pegg als skekSil ist nicht wiederzuerkennen, er klingt hier fast genau wie der Originalsprecher Barry Dennen) und so einzigartig in ihren Bewegungen zum Leben erweckt von den Puppenspielern, dass einem schier die Kinnlade herunterklappen kann.

    Letztere, die auch im Abspann direkt neben den prominenten Sprechern (u.a. Lena Headey, Benedict Wong, Helena Bonham CarterAlicia Vikander und Jason Isaacs) gelistet werden, hatten eine Mammutaufgabe vor der Brust und verdienen gesondertes Lob für ihre Leistung. Speziell in Szenen, in denen es im Vorder- und im Hintergrund vor Charakteren nur so wimmelt, zeigt sich, wie schön diese klassische Form der Animation sein kann und wie viel greifbarer und lebendiger die Orte und Figuren in „Der dunkle Kristall“ durch sie wirken. Obwohl man zu jeder Zeit weiß, dass es sich um Puppen handelt, wirken die Figuren wesentlich „realer“ als vergleichbare CGI-Charaktere in so manchem Hollywoodfilm.

    Fazit:

    Netflix hat mit „Der dunkle Kristall“ etwas Schräges und Besonderes im Programm, das in dieser Form vielleicht nirgendwo anders eine Heimat gefunden hätte. Ambitioniert, komplex und ohne einen Hauch von Ironie präsentiert sich „Ära des Widerstands“ nicht nur als das seltene Prequel, das das Original sinn- und respektvoll erweitert, sondern übertrifft dieses sogar in seiner Erschaffung und Charakterisierung der originellen, geschichtsträchtigen Fantasy-Welt.

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