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    TV-Tipp: In diesem Science-Fiction-Thriller treffen "Black Mirror"-Zukunftsvisionen auf Heist-Movie-Action
    Sidney Schering
    Sidney Schering
    -Freier Autor und Kritiker
    Sein erster Kinofilm war Disneys „Aladdin“. Schon in der Grundschule las er Kino-Sachbücher und baute sich parallel dazu eine Film-Sammlung auf. Klar, dass er irgendwann hier landen musste.

    In einer Welt, in der Zeit zum Zahlungsmittel wurde, brechen ein Mann aus dem Ghetto und die Tochter eines Reichen auf, um den Wohlstand umzuverteilen: Heute Abend im TV: die Sci-Fi-Ganovenposse „In Time“ mit Amanda Seyfried und Justin Timberlake.

    +++ Meinung +++

    Obwohl „Black Mirror“ regelmäßig in TV-Bestenlisten auftaucht, hat uns das Serien-Phänomen eine neue Beleidigung beschert: „Das fühlt sich an wie eine 'Black Mirror'-Folge“, ist eine häufig genutzte Floskel in Filmkritiken – und dabei fast immer negativ gemeint. Ein Kuriosum, über das man eine „Black Mirror“-Folge machen sollte! Bis dahin empfiehlt sich ein (erneuter) Blick auf einen Film, in dem Justin Timberlake und Amanda Seyfried als (weniger selbstzerstörerisches) „Bonnie & Clyde“-Doppel zu sehen sind: Der Sci-Fi-Action-Thriller „In Time – Deine Zeit läuft ab“ ist heute, am 15. Oktober 2022, ab 20.15 Uhr bei VOX zu sehen und spielt in einer Welt, die eine „Black Mirror“-Folge füllen könnte.

    Diesem Vergleich ist er im Kino noch knapp entgangen, da er kurz vor dem Serienstart anlief. Stattdessen wurde er an vorherigen Arbeiten seines Regisseurs und Autors gemessen – oftmals negativ, allerdings gab es auch positive Ausnahmen wie die FILMSTARTS-Kritik. Der kann ich nur beipflichten, insbesondere jetzt, nachdem die Dystopie elf Jahre Zeit hatte, zu reifen: „In Time“ vereint eine klare Vision mit dem Pepp einer Ganovenposse im Stil von „Ocean's Eleven und anderen Heist-Movies! 

    "In Time": Der richtige Biss zur falschen Zeit

    Der Menschheit ist es gelungen, den Alterungsprozess zu stoppen. Allerdings gilt mehr denn je: Zeit ist Geld. Dienstleistungen, Nahrung und Luxusgüter zahlt man allesamt mit Lebenszeit, weshalb Privilegierte nahezu unsterblich sind. Wer dagegen weiter unten auf der sozialen Leiter rangiert, lebt in ständiger Angst vor dem Tod. Als der im Ghetto lebende Will Salas (Justin Timberlake) wegen einer Banalität seine Mutter (Olivia Wilde) verliert, und alsbald fälschlicherweise des Mordes beschuldigt wird, fasst er einen verzweifelten Plan:

    Er entführt die Bankierstochter Sylvia Weis (Amanda Seyfried), um sich Zeit und Macht zu erkämpfen. Will landet einen Glückstreffer: Sylvia ist ein die Dinge hinterfragender Dickschädel. Aus den Beiden wird ein Gangsterpärchen, das plant, mit Raubzügen den Reichen Zeit zu nehmen und sie den Armen zu geben. Dabei stehen ihnen Sylvias Vater (Vincent Kartheiser) und Zeitpolizist Raymond Leon (Cillian Murphy) im Weg...

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    Als Macher der beklemmenden Dystopie „Gattaca“ und Autor der emotionalen, medienkritischen Dramödie „Die Truman Show“ musste sich Andrew Niccol lange Zeit enormen Erwartungen stellen. Jedes neue Projekt wurde danach abgeklopft, wie vielsagend und mitreißend es ist, Leichtigkeit schienen einige Kritiker*innen von ihm nicht zu wollen. Vor diesem Hintergrund hatte es „In Time“ schwer, sich gegenüber der US-Filmpresse zu behaupten, wird darin doch aus einer dramatisch-düsteren Zukunftsvision eine schmissige Räuberpistole.

    Wenn man die Sci-Fi-Posse jedoch für sich stehend betrachtet, tickt sie sogleich ganz anders. Ebenso, wenn man sich daran erinnert, dass nicht jede Dystopie durchweg niederschmetternd sein muss. Mahnen und dabei mit Hoffnung zum Handeln anzuregen, hat ebenso seinen Wert. Das erkannte auch „Black Mirror“, das in späteren Staffeln mit vereinzelten, positiven Folgen das Konzept auflockerte – aber anders als „In Time“ zu einem Zeitpunkt, zu dem Sehnsucht nach dieser Herangehensweise bestand.

    Aufgewecktes Rebellentum raubt dir keine Zeit

    „In Time“ nutzt die zeitlose Fantasie ewiger Jugend als Sprungbrett für eine genauso offensichtliche wie konsequente Systemkritik: Sie fasst hervorragend eine Gesellschaft zusammen, in der die Einen im Überfluss leben und die Anderen mit erzwungener Opferbereitschaft dafür sorgen, dass es woanders Überfluss gibt. Denn wer Geld hat, hat Einfluss und kann delegieren – hat Zeit. Wer kein Geld hat, rackert sich ab – und hat viel zu oft nicht nur kaum Freizeit, sondern obendrein weniger Lebenszeit.

    Man sagt zwar, dass man sich vor lauter Nichtstun zu Tode langweilt. Aber dass sich Menschen zu Tode arbeiten, weil sie Geist und Körper schinden, das passiert tatsächlich. Diese ungleiche Verteilung von Geld, sozialer sowie wirtschaftlicher Sicherheit und damit auch Lebensqualität, direkt in Lebenszeit zu übertragen, ist als filmische Prämisse simpel wie genial. Und seien wir ehrlich: Sollte die ewige Jugend erfunden werden, würde man definitiv nach Wegen suchen, um ungleich verteiltes Kapital aus ihr zu schlagen!

    Dass Niccol keine Zeit verschwendet, um aus der „In Time“-Grundidee eine Mischung aus „Bonnie & Clyde“, „Robin Hood“ und „Ocean's Eleven“ zu formen, ist daher anspornendes Wunschdenken: Ein vitales Räuberpärchen im ewig jungen „Teens hängen sich ihren Starschnitt über's Bett!“-Look, das Ausbeutern Zeit stiehlt, um sie denen zu geben, denen sie durch Ungerechtigkeit gestohlen wurde? Wer will da schon „Nein!“ sagen?

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    Niccol lotet diese Gerechtigkeitsfantasie flott, mit kecken Dialogen und unterhaltsamen Heist-Movie-Versatzstücken aus – aber leider lotet sie nicht voll aus. Für sich betrachtet sind Timberlake und Seyfried beispielsweise gut besetzt. Im Zusammenspiel mangelt es ihren Rollen aber aufgrund Skript, Regieführung und Darsteller-Chemie am gewissen Funken Etwas – sei es Gefahr, Leidenschaft, schmachtende Romantik oder gerissene Komplizenschaft. Daher stiehlt ihnen „Batman Begins“-Schurke Cillian Murphy mehrmals die Show.

    Auch ästhetisch geht Niccol zwischendurch der Zunder aus: Während eingangs unablässig neue Details ins Auge stechen, die die Filmwelt und ihre Implikationen ausloten, wird die Filmwelt später etwas monoton. Dabei bieten die Luxus-Inseln in einer sonst spröden wäre-gern-schön-neuen Welt so viele Möglichkeiten – für Sci-Fi-Spielereien, Gesellschaftskommentar und/oder Gaunerspaß.

    Dessen ungeachtet: „In Time“ ist als kurzweiliger Sci-Fi-Film mit Hintersinn einfach eine gute Zeit. Und elf weitere Jahre des durchweg beschleunigenden Kapitalismus später ist er es heute sogar noch mehr als schon 2011!

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