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    Hereafter - Das Leben danach
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Hereafter - Das Leben danach
    Von Andreas Staben

    Eine Teenagerin wird ermordet aufgefunden. Der an den Tatort geeilte Vater schreit seine Verzweiflung heraus. In diesem Moment tiefster Trostlosigkeit schwenkt die Kamera nach oben und blickt für einen kurzen Augenblick in den leeren, grauen Himmel. Es ist als würde die Frage nach der Existenz Gottes und der Zweifel an ihm in dieser Schlüsselszene von „Mystic River" direkt auf die Leinwand gezeichnet. Ein Echo dieser Einstellung findet sich nun in „Hereafter", der neuen Zusammenarbeit von Regisseur Clint Eastwood und Kameramann Tom Stern: Auch hier stirbt ein Kind einen grausamen Tod, auch hier wird die Perspektive mit dem Kamerablick nach oben auf das Jenseits gelenkt. Die grundlegenden Fragen nach Leben und Tod sowie die Sehnsucht nach Erlösung sind in vielen von Eastwoods Filmen der vergangenen Jahre zunehmend in den Vordergrund gerückt. Im episodischen Drama „Hereafter – Das Leben danach" beschäftigt sich der Regieveteran nun mit dem Hinterher, mit Nahtod-Erfahrungen, der Kommunikation mit Verstorbenen und dem Leiden der Hinterbliebenen. Der düstere Tonfall von Filmen wie „Mystic River", „Million Dollar Baby" oder „Der fremde Sohn" weicht allerdings diesmal nach und nach einer leisen Zuversicht. Eastwood hält seine breit gefächerte Erzählung und ihre vielfältigen thematischen Aspekte zusammen, indem er die Nöte seiner Figuren stets ernst nimmt und sich esoterischer Überhöhung enthält: „Hereafter" ist ein entschieden diesseitiges Werk großer Menschlichkeit.

    Südostasien: Die französische Fernsehjournalistin Marie Lelay (Cécile de France) sucht kurz vor ihrer Abreise aus dem Urlaub auf einem Markt nach Geschenken, als eine riesige Welle auf die Küste zurollt, die alles mit sich reißt. Marie hat keine Chance. Die Helfer wollen nach der Katastrophe schon von ihr ablassen, da kehrt sie doch ins Leben zurück. Nach ihrer Rückkehr nach Paris benötigt sie erstmal eine Auszeit, in der sie ein Buch schreiben will. San Francisco: George Lonegan (Matt Damon) kann eine geistige Verbindung zu Verstorbenen herstellen, empfindet seine Fähigkeit jedoch als Fluch und hat einen Job als Fabrikarbeiter angenommen. Nun drängt ihn sein Bruder Billy (Jay Mohr) wieder als Medium zu arbeiten. London: Die Zwillinge Marcus und Jason (Frankie und George McLaren) leben bei ihrer drogensüchtigen Mutter Jackie (Lyndsey Marshal) und wollen auf keinen Fall, dass das Jugendamt sie von ihr wegholt. Doch dann passiert ein schrecklicher Unfall und alles verändert sich. In der britischen Hauptstadt kreuzen sich schließlich die Wege der Protagonisten...

    Was geschieht nach dem Tod mit uns? Gibt es eine Verbindung zum Jenseits? Diese Fragen haben die Menschen stets umgetrieben und sie haben natürlich auch im Kino vielfältige Spuren hinterlassen. Der oft so abrupte Tod wird in so unterschiedlichen Filmen wie „Ghost - Nachricht von Sam", „The Sixth Sense" oder „Rendezvous mit Joe Black" in einen tröstlichen Zusammenhang, Unerledigtes zum guten Abschluss gebracht. Dabei ist ein wesentlicher Aspekt, dass die Schwelle zum Tod für einen Moment überwunden und die verschlossene Tür wenigstens einen Spalt geöffnet wird. Genau diese Verbindung ist es, die in den einzelnen Episoden von „Hereafter" im Mittelpunkt steht. Dabei geht es Eastwood aber nicht darum, Antworten oder Gewissheiten abzubilden, religiöse Untertöne, wie sie selbst in seinen alten Western wie „Ein Fremder ohne Namen" oder „Pale Rider" so deutlich waren, spielen in „Hereafter" kaum eine Rolle. Die weltanschauliche Ausdeutung überlässt der Filmemacher jedem Zuschauer selbst, so bebildert er die Nahtod-Erfahrung der Journalistin genauso wie Georges Visionen sehr zurückhaltend. Auch wissenschaftliche Erklärungen, für die in erster Linie Marthe Keller in einem kuriosen Gastauftritt zuständig ist, werden nur gestreift – Eastwood konzentriert sich konsequent auf seine Hauptfiguren, seine Spiritualität ist die Menschlichkeit.

    Mit Schauplätzen auf drei Kontinenten und vor allem mit drei separaten Erzählsträngen, die erst gegen Ende zusammengeführt werden, bewegt sich Clint Eastwood, der für seine schnörkellose und ökonomische Erzählweise bekannt ist, auf dramaturgisch ungewohntem Terrain. Selbst eine simple Rahmenhandlung gelang ihm in „Die Brücken am Fluss" nicht ganz überzeugend und die Qualitätsunterschiede zwischen seinen beiden Iwo-Jima-Filmen lassen sich nicht zuletzt auf die Erzählstruktur zurückführen. Und auf dieser Ebene hat dann auch „Hereafter" tatsächlich Defizite. Die Tricks und Kniffe des überfrachteten Drehbuchs von Peter Morgan („Die Queen", „Der letzte König von Schottland") sind unübersehbar, nicht zuletzt die Verbindung der einzelnen Ebenen am Ende erscheint als allzu willkürliches Konstrukt. Aber anders als bei anderen Episodendramen wie „L.A. Crash" oder „Babel", in denen die Inszenierung jedem Teil seinen festen Platz in einem Mosaik zuweist, interessiert sich Eastwood kaum für die Gesamtschau oder für die Verknüpfung erzählerischer Fäden, bei ihm kommt jede einzelne Szene in ihrem emotionalen Gehalt zu ihrem eigenen Recht und so wird aus dem potentiellen Thesenfilm ein atmosphärisch stimmiger Schauspielerfilm.

    Wenn ein verheerender Terroranschlag plötzlich zum effektvollen Hintergrund für eine schicksalhafte Wendung wird, dann streift das durchaus die Grenze zur Geschmacklosigkeit, manchmal bewahrt nur Eastwoods Beiläufigkeit die Morgansche Konstruktion vor dem Kollaps. Der gewohnt ruhige Tonfall der Inszenierung erweist sich schon ganz zu Beginn als besonders wirkungsvoll. Die Art wie der Altmeister die Tsunami-Katastrophe ohne jede Hektik in ihrer ganzen Unausweichlichkeit und Zerstörungskraft erfasst, ist atemberaubend und die Effekte sind oscarwürdig. Dieser Paukenschlag etabliert eine geisterhafte Atmosphäre von unterschwelliger Unruhe in gedämpften Farben, die sich bis zum Finale auf einer Buchmesse durch den ganzen Film zieht. Die exzellenten Darsteller vermitteln diesen inneren Aufruhr durch exzellente Leistungen: Cécile de France („Public Enemy No. 1") spielt die Karrierefrau, deren Gewissheiten buchstäblich mit einem Mal weggespült wurden und in ihren Augen stehen Hoffnung und Traurigkeit zugleich; die jungen McLaren-Zwillinge sind immer in Bewegung und nach dem Unglück wie aus der Welt gefallen.

    So ist „Hereafter" ein sehr erwachsener Geisterfilm über Menschen, die den Kontakt zu den anderen mehr und mehr verlieren. In seinem Zentrum steht Matt Damon, der nach „Good Will Hunting" und der „Jason Bourne"-Reihe einmal mehr unterstreicht, dass er sich besonders gut auf Außenseiterporträts versteht. Sein George ist eine Studie in Einsamkeit und wenn er im Bett seinen geliebten Dickens-Hörbüchern lauscht, dann ist es tatsächlich, als würde er Stimmen aus einer Geisterwelt hören. Sehr intensiv geraten die Szenen, in denen George bei einem Kochkurs zögerlich aus seinem Schneckenhaus hervorkriecht und sich mit einer anderen verlorenen Seele, gespielt von der sehr engagierten Bryce Dallas Howard („Das Mädchen aus dem Wasser"), anfreundet: Die übersinnliche Begabung des jungen Mannes droht den menschlichen Kontakt zu zerstören. Eastwood zeigt die Verzweiflung solcher Momente ungeschönt, aber er schafft es in seiner typischen Abgeklärtheit dennoch, Hoffnung aufrechtzuerhalten : Ein einziger Händedruck kann schließlich eine ganze Welt verändern.

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