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    Day of the Fight
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Day of the Fight

    Eine Liebeserklärung an die Boxer-im-Kino-Rolle schlechthin: den Underdog!

    Von Björn Becher

    Wenn ein Schauspieler sein Regiedebüt gibt, dann fällt es ihm in der Regel deutlich leichter, bekannte Kolleg*innen für Rollen zu begeistern als einem völligen Newcomer – und das gilt natürlich doppelt, wenn der eigene Großvater dazu auch noch die Regielegende John Huston ist: So konnte Jack Huston („Ben-Hur“) für sein Boxer-Drama „Day Of The Fight“ nicht nur seine „Boardwalk Empire“-Co-Stars Michael Pitt und Steve Buscemi gewinnen. In einer kleinen Nebenrolle gelang ihm sogar ein echter Casting-Coup: Der sich eigentlich schon im Ruhestand befindende Joe Pesci hat nicht nur den Part des Vaters des Protagonisten übernommen, sondern sich zudem auch noch als Produzent und Sänger des Titelsongs beteiligt.

    Aber die Besetzung von Pesci hat sicherlich nicht nur damit zu tun, dass Huston und er in „The Irishman“ zusammen gespielt haben. Vielmehr ist „Day Of The Fight“ eben auch eine unverhohlene Verbeugung vor dem Genre des Boxfilms – und das hat Pesci mit seiner Rolle in Martin Scorseses „Wie ein wilder Stier“ natürlich ganz maßgeblich mit geprägt: Mit dem Meisterwerk über den Aufstieg und Niedergang von Jake LaMotta hat Hustons Regiedebüt zwar die Schwarz-Weiß-Fotografie gemeinsam. Doch inhaltlich gibt es einen entscheidenden Unterschied: Wo Scorsese noch Dekaden abdeckte, spielt der vom gleichnamigen Stanley-Kubrick-Kurzfilm inspirierte „Day Of The Fight“ nur an einem einzigen Tag...

    Mit seinem Trainer (Ron Perlman) an seiner Seite steigt Mickey (Michael Pitt) noch einmal in den Ring.

    Seit zehn Jahren stand der von allen nur „Irish“ genannte Boxer Mickey (Michael Pitt) nicht mehr im Ring. Aber heute Abend wird der Ex-Weltmeister sein Comeback feiern – direkt mit einem Titelkampf im Maddison Square Garden. Zuvor hat er in den Straßen seines Heimatviertels Brooklyn allerdings noch eine Menge zu erledigen. Er schaut bei seiner Stamm-Frühstücks-Bude vorbei, besorgt sich bei einem väterlichen Freund (Steve Buscemi) Geld, um beim lokalen Buchmacher (Anatol Yusef) alles auf seinen Sieg zu setzen. Er besucht seinen besten Freund aus Schulzeiten, der inzwischen Priester (John Magaro) geworden ist, und spricht nach vielen Jahren erstmals wieder mit seiner Ex-Frau (Nicolette Robinson).

    Natürlich stattet er auch seinem Trainer (Ron Perlman) einen Besuch ab, um letzte Vorbereitungen für den Kampf zu treffen. Auch zu seinem dementen Vater (Joe Pesci) führt ihn der Weg. Währenddessen erinnert er sich immer wieder an seine Kindheit, eine Zeit im Knast und vor allem jenen einschneidenden Tag vor zehn Jahren, als er sein ganzes Leben wegwarf. So wird schnell klar, dass es einen ganz bestimmten Grund hat, warum er all diese Menschen noch ein (letztes) Mal besucht...

    Auf den Schultern eines Kubrick-Kurzfilms

    Bevor er zur Regie-Legende wurde, beobachtete Stanley Kubrick in seinem 1951 veröffentlichten ersten Kurzfilm „Day Of The Fight“ den irisch-amerikanischen Mittelgewichtsboxer Walter Cartier am Tag der Vorbereitung auf einen Kampf. Als Huston den Film sah, inspiriert ihn dieser zum Drehbuch für sein Regie-Debüt. Daraus macht er auch (abseits der Wiederverwendung des Titels) gar keinen Hehl: So ist sein Mickey nicht nur ebenfalls ein irisch-amerikanischer Mittelgewichtsboxer, auch einige Stationen (Frühstück, Kirche, der Gang durch die Straßen) des Originals hat Huston übernommen. Zugleich hat er die Kampfvorbereitungen mit dem ganz großen Drama aufgeladen – was zumindest in dieser existenzialistischen Breite womöglich gar nicht nötig gewesen wäre.

    Selbst unerfahreneren Zuschauer*innen dürfte nämlich bereits nach wegen Minuten klar sein, was damals Schreckliches passiert ist und warum der neue Kampf für Mickey ein besonders hohes (sprich: fast sicher tödliches) Risiko darstellt. Dass uns Huston trotzdem mit weiteren Erinnerungsschnipseln immer mehr Details liefert, ist deshalb eigentlich gar nicht nötig. Dass er am Ende die Geschehnisse von vor zehn Jahren sogar noch einmal zeigt, ist sogar völlig überflüssig. Aber das schadet seiner dahingleitenden Liebeserklärung an Underdogs und ihre Solidarität untereinander kaum.

    Joe Pesci hat sich eigentlich aus der Schauspielerei zurückgezogen – hier tritt er noch mal auf und zwar nicht nur in dieser Rolle…

    Huston gelingt es von Anfang eine ganz besondere Atmosphäre zu erschaffen, wenn Mickey durch die Straßen eines eher trostlosen New Yorks Ende der Achtziger läuft. Mit einem obdachlosen Fan hält er einen kurzen Plausch – und obwohl er selbst nichts hat, überlässt er ihm seine Zigaretten. In dieser Welt hilft man sich – und so zelebriert Huston diese Gemeinschaft von Menschen, deren Leben nicht immer die richtige Abbiegung genommen hat, die aber dennoch zusammenstehen und sich nicht übers Ohr hauen. Ist es wirklich nötig, dass Joe Pesci das alles am Ende noch einmal zusammenfasst? Natürlich nicht! Aber weil der Star, der eigentlich ja gar nicht mehr vor der Kamera auftritt, hier noch einige herzerwärmende Dialogzeilen bekommt, lohnt sich die Szene trotzdem.

    Es sind ohnehin die so hochkarätigen wie überzeugenden Schauspieler*innen, die „Day Of The Fight“ so sehenswert machen und über kleinere Längen oder ein paar etwas zu platte Stellen hinweghelfen. „Sons Of Anarchy“-Star Ron Perlman ist als raubeinig-fluchender Trainer voll in seinem Element. Steve Buscemi („The King Of Staten Island“) und John Magaro („Past Lives“) vermitteln ihre einfachen, optimistischen Lebensweisheiten mit der nötigen Gravitas. Und Nicolette Robinson („The Affair“) berührt mit einer unter die Haut gehenden Gesangsnummer.

    Ein Loser mit Kanten zum Gernhaben

    Doch vor allem ist natürlich Michael Pitt („Die Träumer“) zu erwähnen. Sein Loser Mickey, der nicht mal die Ansprache auf einer Karte an seine entfremdete Tochter fehlerfrei schreiben kann und mit seiner Katze in einer fast leeren Wohnung haust, ist der König der Gescheiterten. Sichtlich vom Leben gezeichnet, nuschelt er sich durch all die Begegnungen, dabei immer sichtlich um die richtigen Worte ringend.

    Pitt, der vor seiner Schauspielkarriere selbst semi-professionell als Boxer unterwegs war, ist dabei voll in seinem Element und spielt diese nur auf den ersten Blick so einfach gestrickte Figur unter der Oberfläche sehr facettenreich. Wenn im Finale der Boxkampf tatsächlich stattfindet, wird jeder diesem eigentlich so chancenlosen Underdog trotz all seiner Kanten und schrecklichen Fehler aus der Vergangenheit die Daumen drücken – wie es das Genre des Boxfilms („Rocky“ lässt grüßen) natürlich auch gebietet.

    Fazit: Jack Huston gelingt mit „Day Of The Fight“ kein Klassiker des Boxkinos wie einst seinem Großvater John Huston mit „Fat City“ oder Martin Scorseses mit „Wie ein wilder Stier“. Doch das melancholische Schwarz-Weiß-Drama über einen Tag im Leben eines heruntergekommenen Kämpfers ist trotzdem eine sehenswerte, weil wunderbar tragisch-optimistische und in den besten Momenten herzerwärmende Geschichte.

    Wir haben „Day Of The Fight“ beim Filmfestival Venedig 2023 gesehen, wo er außer Konkurrenz in der Reihe Orizzonti seine Weltpremiere gefeiert hat.

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