Bring Her Back
Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
4,5
hervorragend
Bring Her Back

Harte Kost selbst für Horror-Profis

Von Christoph Petersen

Wer das Meisterwerk „Hereditary – Das Vermächtnis“ von „Midsommar“-Mastermind Ari Aster gesehen hat, erinnert sich natürlich noch an die Enthauptung am Lampenmast. Schließlich gab es in den vergangenen Jahren wohl keine zweite Szene, deren Wirkung einem ungebremsten Schlag in die Magengrube derart nahekommt. Solche Momente, in denen der Horror über die bloße Mechanik des Filmemachens hinausgeht, man den Schmerz und den Schock selbst als ausgewiefter Genre-Fan am eigenen Leib zu spüren bekommt, sind ein seltenes Gut. Oder besser gesagt: Sie waren es.

Denn nachdem sie in ihrem gleichermaßen abgefeierten wie erfolgreichen Debüt „Talk To Me“ noch die Kunst des Jumpscares perfektioniert haben, setzen die australischen Brüder Danny Philippou und Michael Philippou in ihrem heißerwarteten Nachfolger – für den sie sogar die Regie des neuen „Street Fighter“-Kinofilms abgesagt haben – auf puren Terror: „Bring Her Back“ verbindet eine manische Performance von Sally Hawkins, körnige Aufnahmen eines mysteriösen kannibalischen Rituals auf zerschlissenen VHS-Tapes sowie wiederholte Gewalteruptionen, die sich garantiert nicht einfach so weglachen lassen, zu einem Triumvirat der totalen Verstörung.

Dass mit Oliver (Jonah Wren Phillips) etwas nicht stimmt, liegt eigentlich von Anfang an auf der Hand… Sony Pictures Germany
Dass mit Oliver (Jonah Wren Phillips) etwas nicht stimmt, liegt eigentlich von Anfang an auf der Hand…

Nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters müssen die blinde Piper (Sora Wong) und ihr älterer Stiefbruder Andy (Billy Barratt) in die Obhut einer Pflegemutter – zumindest bis Andy in drei Monaten 18 Jahre alt wird und dann die Vormundschaft für seine Schwester selbst beantragen kann. So landen die Geschwister im Haus von Laura (Sally Hawkins), einer ehemaligen Jugendtherapeutin, die sich seit dem Ertrinkungstod ihrer eigenen Tochter bereits um einen stummen Pflegejungen namens Oliver (Jonah Wren Phillips) kümmert. Laura interessiert sich zwar viel mehr für Piper als für ihren fast volljährigen Bruder, aber das ist angesichts der Umstände verständlich.

Doch irgendwann wird zumindest Andy klar, dass hier etwas ganz und gar nicht mit rechten Dingen zugeht – die Hinweise darauf sind schließlich wenig subtil, wenn Oliver etwa so lange auf einem Küchenmesser kaut, bis die Hälfte der Zähne in seinem blutgefüllten Mund abgebrochen sind. Aber obwohl Andy seiner Pflegemutter körperlich klar überlegen ist, lässt Laura sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen, das offensichtlich etwas mit den alten VHS-Bändern zu tun hat, die sie sich wie eine Bedienungsanleitung immer wieder in ihrem Schlafzimmer ansieht…

So tut der Horror gleich doppelt und dreifach weh

Noch vor ihrem eigenen Regiedebüt haben Danny und Michael Philippou am – neben „Wolf Creek“ – wohl berühmtesten australischen Horrorfilm der jüngeren Kinogeschichte mitgearbeitet: Bei „Der Babadook“ von Jennifer Kent haben sich die Brüder aber nicht nur die technischen Fähigkeiten angeeignet, sondern offensichtlich auch verstanden, dass Horror vor allem dann besonders tief ins Mark trifft, wenn er nicht nur grausam, sondern auch emotional fundiert ist. Ihr Debüt „Talk To Me“ hat sich ja auch deshalb zum internationalen Horror-Hit entwickelt, weil eben nicht nur die Jumpscares perfekt sitzen, sondern zur Abwechslung mal eine Teenager-Gruppe im Zentrum steht, für deren Schicksale man sich ehrlich interessiert.

Auch in „Bring Her Back“ benötigen die Brüder nur wenige Szenen, um uns das unzertrennbare Band zwischen den Stiefgeschwistern näherzubringen. Ihr Umgang wirkt dabei längst nicht nur deshalb so authentisch, weil Newcomerin Sora Wong genau wie ihre Figur sehbehindert ist, es gibt auch immer wieder kleine Einfälle, die ihr Miteinander ebenso glaubhaft wie berührend gestalten: So beschreibt Andy seiner jüngeren Schwester Dinge – wie etwa den Vater, der sich vor seinem Tod selbst noch vollgekotzt hat – bewusst etwas positiver, als sie wirklich sind. Aber es gibt ein Codewort, „Grapefruit“, und wenn das ausgesprochen wird, dann zählt danach nur noch die ungeschminkte Wahrheit. Natürlich wird das später auch noch für den Plot wichtig, aber vor allem verleiht es der Beziehung eine gerade im Horrorgenre seltene Spezifität.

Die bereits zweifach oscarnominierte Sally Hawkins liefert in „Bring Her Back“ eine der besten Leistungen ihrer Karriere! Sony Pictures Germany
Die bereits zweifach oscarnominierte Sally Hawkins liefert in „Bring Her Back“ eine der besten Leistungen ihrer Karriere!

Selbst bei Laura ist man hin und wieder geneigt, ihr und ihrem ganzen angestauten Schmerz mit Verständnis zu begegnen. Aber vor allem liefert Sally Hawkins (oscarnominiert für „Blue Jasmine“ und „Shape Of Water“) eine gnadenlos enthemmte Performance, die nur noch mehr verstört, weil sie eben so klein und zierlich und zumindest Andy körperlich offensichtlich unterlegen ist. Genau wie bei Toni Collette in „Hereditary“ könnte man auch hier wieder nach einer Oscar-Nominierung verlangen – aber selbst wenn sich die Academy langsam für das Horrorgenre öffnet, dann gilt das eben weiter nur für Filme wie „Get Out“ oder „Blood & Sinners“, aber immer noch nicht für echte Schocker.

Und apropos Schocker: Wir können jetzt gar nicht so viele davon nennen, ohne zu viel vom Plot zu verraten. Aber schon die eröffnenden VHS-Aufnahmen, in denen nackte, teilweise schwer übergewichtige Menschen in weißen Kreisen irgendwelche Rituale abhalten, während sie in einer eigens für den Film erfundenen Sprache reden und singen, erzeugen auf Anhieb eine wahnsinnig ungemütliche Atmosphäre. Und wer darauf hofft, dass der ständige Regen irgendwann dem Sonnenschein weicht, der hat noch immer nicht verstanden, mit welch gnadenloser Kompromisslosigkeit die Philippou-Brüder ihr Schauer-Handwerk betreiben!

Fazit: Ein von der ersten bis zur letzten Sekunde zutiefst verstörender – und im selben Moment erstaunlich berührender – Schocker der besonders fiesen Sorte, mit dem Danny und Michael Philippou beweisen, dass ihr gefeiertes Horror-Debüt „Talk To Me“ offensichtlich kein One-Hit-Wonder war.

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