Schöne neue KI-Welt
Von Michael MeynsWer kennt das nicht: Da bekommt man in seiner Facebook-Timeline auf einmal eine Werbung zu einem Thema angezeigt, nach dem man zwar online noch nicht gesucht, aber ein paar Tage vorher mit jemandem gesprochen hat. Belauscht einen etwas das eigene Handy? Natürlich nicht, behaupten all die Tech-Firmen unisono, wir respektieren selbstverständlich die Privatsphäre. Zweifelt man trotzdem daran, wirkt man schnell paranoid. Aber können wir uns wirklich sicher sein? Mit diesem wachsenden Gefühl der Ungewissheit, gerade angesichts der immer unbegrenzteren Möglichkeiten moderner Technologien, spielt Yann Gozlan in seinem KI-Thriller „Dalloway“.
Cécile de France („High Tension“) spielt darin die Schriftstellerin Clarissa, die früher mal mit Young-Adult-Romanen erfolgreich war und nun versucht, nach einem schweren Schicksalsschlag ihr Leben und ihre Arbeit wieder in den Griff zu bekommen. Ein Stipendium in einer komplett von KI unterstützen Künstlerresidenz in Paris scheint die perfekte Chance dafür zu sein. Aber schon bald kommen Clarissa Zweifel über die Absichten der womöglich doch gar nicht so kunstliebenden Geldgeber. Zumal sich die Stiftung auch noch selbst „Ludovico Foundation“ nennt – und damit zufälligerweise (?) genauso heißt wie das die Gedanken kontrollierende Anti-Gewalt-Verfahren in „Uhrwerk Orange“.
So lässt es sich leben: Ein modern eingerichtetes Appartement in einem architektonisch spektakulären Hochhaus auf einem Hügel mit Blick über ganz Paris. Dazu eine fortschrittliche KI, die einen morgens mit Wellengeräuschen weckt, den Kaffee zubereitet, E-Mails beantwortet – und einem sogar noch produktive Tipps für die kreative Arbeit bietet. Für Clarissa ist das Schreiben nach dem Selbstmord ihres Sohnes zur Qual geworden, auch ihre Ehe ist daran gescheitert.
Aber nun hat sie tatsächlich dieses Arbeitsstipendium in der Künstlerresidenz bekommen. Deren Leiterin Dewinter (Anna Mouglalis) wirkt jovial, aber auch ähnlich kontrollierend wie die KI, die Clarissa praktisch rund um die Uhr im Auge behält. Nur der undurchschaubare Matthias (Lars Mikkelsen), ein Komponist, lässt sich von der schönen neuen KI-Welt nicht komplett einlullen – und stellt Fragen, die in Clarissa zunehmend das Gefühl heraufbeschwören, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht…
Viel ist in den vergangenen Jahren über die rasanten Entwicklungen von KI geschrieben worden. Zwischen Warnungen, dass hier eine potenziell existenzielle Bedrohung für die Menschheit entsteht, bis zu Beschwichtigungen, dass die Chancen natürlich die Risiken überwiegen würden, verläuft da normalerweise die Diskussion. Yann Gozlan nimmt in „Dalloway“ allerdings eine eindeutige Position ein. Verständlich, denn für Sci-Fi-Paranoia-Thriller wäre es ja auch etwas unspektakulär, wenn sich eine KI mal wirklich friedlich verhalten würde und nicht irgendwann eine verstörende Eigendynamik entwickelt.
Dieses Konzept kennt man seit „2001: Odyssee im Weltraum“. Und zuletzt spielte etwa auch ein Horrorfilm wie „Companion“ durch, was passieren könnte, wenn Android*innen allzu lebensecht werden. Dabei fangen diese Filme immer erst einmal damit an, die Möglichkeiten der Technik zunächst noch positiv zu schildern: Dass eine KI selbstständig Lebensmittel bestellt, Drohnen direkt vor die Haustür liefern, man sich um viele lästige Dinge des Alltags nicht mehr selbst kümmern muss – wer könnte da etwas dagegen haben? Doch für diese Annehmlichkeiten zahlen wir einen Preis. Und der besteht nicht länger nur aus unseren Daten, sondern umfasst wie in „Dalloway“ auch unsere tiefsten Gefühle, intimsten Geheimnisse, festsitzendsten Traumata, also quasi unsere komplette Persönlichkeit.
Wird der Mensch am Ende womöglich komplett ersetzbar? „Dalloway“ deutet zumindest an, wie die auf Clarissa persönlich zugeschnittene KI immer nützlicher wird, sie immer besser kennenlernt, bald nicht nur praktische Fragen stellt, sondern auch psychologische. Wer am Ende den Schreibprozess bestimmt, ob Clarissa aus ihren Erinnerungen schöpft oder es doch die KI ist, die mehr und mehr die Oberhand gewinnt, wird immer schwerer zu beurteilen. Die große Stärke des Films liegt darin, wie nah er an der Realität bleibt: Zwar spielt „Dalloway“ in einer unbestimmten Zukunft, in der extreme Hitzewellen die Gesundheit belasten und eine neue Pandemie ständige Tests notwendig macht.
Insgesamt jedoch wirkt das alles fast wie unsere Gegenwart. (Hyper-)Modern zwar, aber nicht viel anders – außer eben die allgegenwärtige KI mit ihren Monitoren, die ganze Wände einnehmen, dazu Abstrichtests mit Wattebausch direkt nach dem Aufstehen im eigenen Badezimmer. Futuristisch, ja, aber man darf vermuten, dass im Silicon Valley schon deutlich weiter in die Zukunft gedacht wird, noch viel extremere Methoden der Überwachung angedacht werden. „Dalloway“ wirkt auch deshalb so verstörend, weil man sich kaum von der Vorstellung losmachen kann, dass das alles (oder zumindest sehr vieles davon) nicht weit in der Zukunft, sondern schon um die nächste Ecke lauern könnte.
Diese Diskussionen über Möglichkeiten und Gefahren von KI bilden allerdings nur den Subtext von „Dalloway“, der im Kern ein am Ende doch etwas konventioneller Paranoia-Thriller ist, der vor allem von der Frage angeleitet wird, ob Clarissa dabei ist, hinter die Fassade eines großen Komplotts zu blicken oder nicht vielleicht doch einfach nur ihre Tabletten nicht genommen hat. Schon mit dem Namen des Unternehmens Ludovico Foundation wird dabei wie gesagt ein kaum zu übersehender Hinweis geliefert – aber auch sonst wird wohl niemand im Publikum daran zweifeln, wo die Sache (zumindest ungefähr) hinläuft. Dennoch hält Yann Gozlan in seinem KI-Thriller noch einige Überraschungen parat, vor allem ein Ende, das man in dieser desillusionierenden Konsequenz in einem Hollywood-Film mit ähnlicher Thematik eher nicht erwarten würde.
Fazit: Yann Gozlans Sci-Fi-Film „Dalloway“ wirkt hochaktuell – und gerade das schraubt den Verstörungsgrad des KI-Paranoia-Thrillers vermutlich mehr in die Höhe als seine insgesamt doch sehr konventionelle Dramaturgie und Machart.
Wir haben „Dalloway“ beim Cannes Filmfestival 2025 gesehen.