Längst nicht so plump wie der deutsche Titel
Von Christoph PetersenIm italienischen Original heißt der neue Film von Gabriele Mainetti „La Città Proibita“, also „Die verbotene Stadt“. Der Titel bezieht sich auf das multikulturell geprägte Stadtviertel Esquilino, das eine der größten chinesischen Gemeinden Roms beherbergt, und dort insbesondere auf die Gegend um die Piazza Vittorio, von der das Büro des „Freaks Out“-Regisseurs gerade einmal 150 Meter entfernt liegt. Der deutsche Titel „Kung Fu In Rome“ hingegen kommt sehr viel hemdsärmeliger und weniger poetisch daher. Aber das hat zumindest einen großen Vorteil: So weiß fast jeder bereits nach dem Lesen des Titels, ob er sich den Film im Kino ansehen will oder nicht – und wahrscheinlich macht man mit dieser Art der Auswahl noch nicht mal viel falsch …
… schließlich bietet „Kung Fu In Rome“ sowohl knallharte Kampfkunst-Action als auch atmosphärische Aufnahmen der italienischen Hauptstadt. Aber selbst, wenn er den Inhalt auf den Punkt bringt, wird der deutsche Titel, über den man sich auch auf einer drittklassigen Direct-to-DVD-Veröffentlichung kaum weiter wundern würde, dem Film nicht wirklich gerecht: Gabriele Mainetti liefert nämlich nicht nur erstklassig inszenierte, gleichermaßen heftige wie augenzwinkernde Kung-Fu-Fights, sondern darüber hinaus auch noch eine unwahrscheinliche Liebesgeschichte mit erstaunlich viel Herz und Humor. Kein Wunder, dass der Film in seiner Heimat immer wieder als Bruce Lee trifft auf „Ein Herz und eine Krone“ („Roman Holiday“) beschrieben wurde.
Die Chinesin Mei (Yaxi Liu) hat sich extra verschleppen lassen, um in Rom nach ihrer verschwundenen Schwester Yun (Haijin Ye) zu suchen. Nun steht sie vor einer Triaden-Puffmutter, die darüber entscheiden soll, ob sie fortan entweder als Sklavin in einem Bordell oder in einer Küche schuften muss. Aber Mei versteht da gar keinen Spaß und zerlegt zur Begrüßung nicht nur das halbe Rotlicht-Etablissement, sondern im Anschluss auch noch direkt die Küche des Chinarestaurants von Triaden-Boss Mr. Wang (Shanshan Chunyu). Ohne ein Wort Italienisch zu beherrschen, findet Mei zunächst nur heraus, dass Yun offenbar mit einem verheirateten Römer gehobenen Alters durchgebrannt sein soll.
Und so landet sie im Restaurant von Marcello (Enrico Borello), der noch immer darunter leidet, dass sein Vater ihn und seine Mutter Lorella (Sabrina Ferilli) für eine chinesische Prostituierte hat sitzenlassen. Während sich Mei unbeirrt weiter zu ihrer Schwester durchzuprügeln versucht und dabei selbst etliches einstecken muss, finden die beiden verlorenen Seelen im sommerlichen Rom auch ohne eine gemeinsame Sprache zueinander. Allerdings lauert da noch ein tragisches Geheimnis, das ihnen beiden den Boden unter den Füßen wegziehen wird…
Als ob er damit gerechnet hat, dass das Publikum bei der Idee eines italienischen Martial-Arts-Knüppels erst einmal skeptisch reagiert, räumt Gabriele Mainetti gleich zu Beginn alle Zweifel aus dem Weg: Noch bevor wir erfahren, worum es in der stolze 17 Millionen Dollar teuren Produktion überhaupt geht, startet „Kung Fu In Rome“ mit einer gut zehnminütigen Sequenz, in der sich Mei durch Dutzende Gegner pflügt – erst mal knallhart-athletisch im Bordell, und dann augenzwinkernd-kreativ in der Küche. Das ist wahnsinnig beeindruckend – und es tut schon beim Zusehen weh, wenn sich die Gangster-Handlanger in siedendem Öl winden wie Fische auf dem Trockenen.
Sowas kriegt allerdings selbst ein bekennender Kung-Fu-Film-Fan wie Gabriele Mainetti nicht einfach so hin. Stattdessen wusste er aber, worauf es wirklich ankommt – und so suchte er zunächst nach einer Martial-Arts-Athletin und stieß so auf die spektakulären TikTok-Videos von Yaxi Liu, die bislang u.a. auch schon als Stunt-Double von Yifei Liu an der Disney-Realverfilmung „Mulan“ beteiligt war. Dass sie kein Wort Italienisch spricht? Egal, das passt ja eh zum Skript – und dann kamen auch noch der bulgarisch-stämmige Stunt-Choreograph Trayan Milenov-Troy („Mission: Impossible – Rogue Nation“) sowie weitere erfahrene chinesische Stuntmen hinzu. So entstanden ausgerechnet in Italien Kampfkunst-Sequenzen, die sich auch in einem zehnmal so teuren Hollywood-Blockbuster nicht verstecken müssten.
Seinen atemberaubenden Auftakt kann „Kung Fu In Rome“ anschließend tatsächlich nicht mehr übertreffen, selbst wenn auch die weiteren, angesichts einer Länge von zwei Stunden und 18 Minuten verhältnismäßig rar gesäten Konfrontationen in Sachen Choreografie und Inszenierung über jeden Zweifel erhaben sind. Stattdessen schafft Gabriele Mainetti etwas, das die meisten in diesem Genre nicht mal mehr versuchen: Mei und Marcello wachsen einem tatsächlich ans Herz – speziell bei einer Vespa-Fahrt durch die römische Nacht, bei der der Film dem zweiten Teil seines deutschen Titels wirklich alle Ehre macht und einige der schönsten Rom-Bilder seit langem bietet.
Fazit: Von einem italienischen Regisseur ohne vorherige Martial-Arts-Erfahrung hätte man derart erstklassige Kung-Fu-Action wohl eher nicht erwartet. Aber die größte Leistung von Gabriele Mainetti liegt darin, dass ein Großteil des Story-Füllmaterials, das in anderen Filmen des Genres nur dazu da ist, um die Kampfszenen irgendwie zusammenzuhalten, in „Kung Fu In Rome“ ebenfalls richtig gelungen ist. Muss das wirklich 138 Minuten lang sein? Vermutlich nicht – aber Langeweile kommt trotzdem keine auf, dafür knallen die Kämpfe zu sehr rein und drückt man dem romantischen Duo zu fest die Daumen.