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    Tehilim (Psalmen)
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Tehilim (Psalmen)
    Von Christoph Petersen

    Es ist ein großes Lob für jeden Filmemacher, wenn sein Werk in den Wettbewerb des Festivals von Cannes aufgenommen wird. Dem israelischen Regisseur Raphael Nadjari („Avanim“ lief im Panorama der Berlinale 2004, „Apartement # 5c“ 2002 im Rahmen der Director´s Fortnight in Cannes und „I Am Josh Polonski´s Brother“ im Forum der Berlinale 2001) ist diese Ehre 2007 mit seinem bisher fünften Spielfilm zuteil geworden. Und auch wenn die Goldene Palme schließlich verdientermaßen an den herausragenden rumänischen Beitrag Vier Monate, drei Wochen und zwei Tage ging, konnte sich Nadjari mit seinem ebenso intelligenten wie bewegenden Drama „Tehilim (Psalmen)“ doch zumindest hervorragende Kritiken und einen beachtlichen Reputationsgewinn sichern.

    Eine scheinbar ganz normale Familie in Israel. Vater Eli (Shmuel Vilojni) fährt seinen Sohn Menachem (Michael Moshonov) und dessen kleinen Bruder David (Yonathan Alster) zur Schule. Plötzlich geschieht ein Unfall, keiner der Insassen wird ernsthaft verletzt. Doch als Menachem, der Hilfe holen gegangen ist, zum Wagen zurückkehrt, ist sein Vater nicht mehr da. Die Polizei startet eine Suchaktion, kann jedoch keine Anhaltspunkte für den Grund des Verschwindens ermitteln. Für die Familie ändert das unvermittelte Abhandenkommen des Vaters natürlich alles. Während Mutter Alma (Limor Goldstein) irgendwie versucht, ohne Ernährer und mit eingefrorenen Konten die nächsten Wochen zu überstehen, veranstaltet Elis strenggläubiger Vater Shmuel (Ilan Dar) täglich Gebetstunden in der Wohnung der trauernden, aufgewühlten Familie. Alma kommt mit den vielen Gästen nicht klar, sie muss erst einmal für sich allein mit der neuen Situation klarkommen. Die Kinder hingegen klammern sich an den Hoffnungsschimmer, den die Gebete und religiösen Traditionen ihres Opas ihnen bieten…

    Die titelgebenden „Tehilim“ sind Psalmen, Gedichte und Lieder, die König David zugeschrieben werden und Juden in ihrem täglichen Leben – bei allen Gelegenheiten – begleiten sollen. Auch nach dem Verschwinden des Vaters werden die jüdischen Traditionen hervorgekramt, um das Problem zu lösen. Dieser militante Glaubensansatz wird im Film vom Großvater vertreten. Die Mutter, die ursprünglich aus einer säkularen Familie stammt, praktiziert hingegen eine viel tolerantere Art des Judentums, das nicht den Alltag dem Glauben, sondern den Glauben dem Alltag anpasst. Die beiden Umgangsarten mit Glauben prallen in „Tehilim“ aufeinander und sorgen für Konflikte, zwischen denen die überforderten Kinder zerrieben werden. Sie lieben ihre Mutter, doch die Religion des Großvaters gibt ihnen Hoffnung. So klammern sie sich an die Traditionen und Regeln, doch sie gehen dabei mit einer solchen Naivität vor, dass sie schließlich deutlich über das Ziel hinausschießen.

    Dem Film gelingt dabei der schwierige Spagat, seinen spannenden Konflikt tiefgehend zu beleuchten, ohne dabei allzu didaktisch daherzukommen. Im Gegenteil, „Tehilim“ ist sogar ausgesprochen emotional ausgefallen. Trotz der vorherrschenden unwirklichen Atmosphäre fühlt und fiebert man mit den Protagonisten in jeder Sekunde mit. Dies liegt zum einen daran, dass sich die Charaktere trotz der kaum greifbaren Ausgangssituation stets stimmig verhalten. Man kann ihre Lage, das mysteriöse, hinweislose Verschwinden des Vaters, zwar nur eingeschränkt nachvollziehen, trotzdem nimmt man Regisseur Nadjari seine Figuren anstandslos ab – ein kleines Kunststück! Zum anderen tragen auch die hervorragenden Schauspieler ihren Teil zur Glaubwürdigkeit des Films bei. Nadjari und seine Casting-Leiterin Amit Berlowitz haben eine wunderbare Mischung aus erfahrenen Theater- und Kinomimen sowie gänzlich unerfahrenen Laien zusammengestellt. Vor allem mit Menachem-Darsteller Michael Moshonov ist den beiden ein wahrer Glücksgriff gelungen. Moshonov porträtiert den Teenager Menachem, der von einem Tag auf den nächsten erwachsen werden muss und damit vollkommen überfordert wird, trotz aller inneren Zerrissenheit auch mit einem großen Maß an Natürlichkeit – eine beeindruckende Leistung, die man von einem Amateur so wohl kaum erwarten durfte.

    Fazit: „Tehilim (Psalmen)“ erzählt eine auf den ersten Blick einfache Geschichte, die dennoch die komplexen Gegensätze von Traditionen und Moderne, Religion und dem alltäglichen Überleben scharfsinnig auf den Punkt bringt.

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