Mein Konto
    Full Metal Village
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Full Metal Village
    Von Christoph Petersen

    Kühe, Kornfelder und Kaffeekränzchen – für 363 Tage im Jahr ist Wacken nicht mehr als das etwas verschlafene 1800-Seelen-Örtchen in Schleswig-Holstein. Der Anteil an Landwirten und Arbeitslosen ist hoch, die Gehwege werden morgens schon gar nicht mehr runtergeklappt. Doch an jedem ersten Wochenende im August wird die kleine Gemeinde zum Zentrum des Heavy-Metal-Universums. Dann nämlich strömen alljährlich 40.000 Metaller aus allen Ecken der Erde zum weltberühmten Open-Air-Festival. Dieses Aufeinandertreffen der grundverschiedenen Kulturen hat sich die in Südkorea geborene, mittlerweile seit 17 Jahren in Deutschland lebende Regisseurin Sung-Hyung Cho nun als Ausgangspunkt für ihre launige, mehrfach ausgezeichnete Heimat-Dokumentation „Full Metal Village“ gewählt. Für sie, die nicht nur positive Erfahrungen mit der deutschen Gastfreundschaft gemacht hat, war diese enge Symbiose von Bauern und Metal-Heads zunächst unfassbar. Doch bei ihren Gesprächen mit den Einwohnern von Wacken ist sie neben einigen ablehnenden Stimmen vor allem auf Menschen getroffen, deren Leben auf verschiedenste Weise mit dem Festival existenziell verbunden ist. Das Ergebnis dieser zum Teil ungeheuer intimen Begegnungen ist eine extrem warmherzige und neugierige Dokumentation, bei der man sich zwar über die eine oder andere urige Eigenheit der Protagonisten amüsieren mag, am Ende aber vor allem froh darüber ist, diese Wackener auf der Leinwand kennen gelernt haben zu dürfen.

    Sung-Hyung Cho bezeichnet „Full Metal Village“ selbst als Heimatfilm. Und wirklich erweisen sich zumindest die ersten Zweidrittel tatsächlich als norddeutsches Gegenstück zur liebenswürdigen bayerischen Land-und-Leute-Doku Gernstls Reisen - Auf der Suche nach dem Glück. Multibauer Uwe Trede ist der Macher des Dorfes, war der erste mit einer eigenen Biodieselanlage und verdient als Chef des Ordnungsdienstes auch kräftig am Festival mit. Nach dem Mittag – noch bevor die Frau aufessen konnte – wird ganz klassisch erst einmal ein Nickerchen gehalten, aber morgens flimmern gleich nach dem Aufstehen die neuesten Aktienkurse über den TV-Schirm. Milchbauer Klaus H. Plähn ist schon zufrieden, wenn er in Ruhe seine Zigarette rauchen und dabei die Nachbarn unter Kontrolle halten kann. Was zunächst wie der Inbegriff des Spießertums erscheint, stellt sich dann aber als Abgeklärtheit und vollendete Coolness heraus. Teenagerin Ann-Kathrin Schaack hat sich ihren Fitness-Raum mit Diättipps voll gehängt, will am liebsten Model werden und sieht das Festival als Ausweg aus der ländlichen Idylle. Aber gerade, wenn man sie als oberflächliches Disco-Girlie abstempeln will, überrascht sie mit einer hochinteressanten und tiefgründigen Sicht auf die Ereignisse während des Zweiten Weltkriegs. Es ist urkomisch, jedes Mal wieder überraschend und zeugt von tiefem Verständnis, wie es Sung-Hyung Cho gelingt, jeden ihrer Protagonisten zunächst als lebendig gewordenes Klischee einzuführen, dieses dann aber mit einem etwas genaueren Blick auf die Menschen sofort wieder radikal zu brechen.

    Doch es gibt nicht nur positive Stimmen. Ann-Kathrins gläubige Oma Irma und deren Schwester Eva halten das Festival für Teufelszeug. Sie haben von Satansanbetungen, schwarzen Messen und Tierschlachtungen gehört, können in ihrem Alter an den Klischees der Heavy-Metal-Szene nicht mehr vorbeisehen. So verlässt Irma Schaack auch pünktlich zum Open-Air Wacken, macht lieber ein paar Tage Urlaub. Mit einem geschickten Schwenk auf ihre Vergangenheit, ihre lebensgefährliche Flucht am Ende des Zweiten Weltkriegs, die ihre tiefe Religiosität erst mit begründete, findet Sung-Hyung Cho aber auch zu dieser Protagonistin noch einen versöhnlichen, verständnisvollen Zugang. Das soll aber nun keinesfalls heißen, dass „Full Metal Village“ eine reine Schönwetter-Doku wäre. Auch Norbert Venohrs Klagen, Polen und andere Ausländer würden den Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen, finden ihren Platz – unkommentiert zwar, aber die kritische Haltung des Films, gerade da die Regisseurin selbst Südkoreanerin ist, gegenüber solchen Aussagen ist natürlich dennoch unmissverständlich.

    Erst im letzten Drittel fallen dann die gepiercten, langhaarigen, schwarz gekleideten Horden in das Dorf ein. Nun kommt es zum finalen Aufeinanderprallen der Kulturen - und nichts Schlimmes passiert! Die Wackener stehen wie bei einer vorbeiziehenden Parade am Straßenrand und begrüßen freudig die meist jetzt schon stark alkoholisierten Ankömmlinge. Dabei beweist Sung-Hyung Cho einmal mehr ihren geschulten Blick für alles Absurde. Der Höhepunkt ist ein Auftritt der ansässigen Feuerwehrkapelle – während in der ersten Reihe die Wackener Landwirte die Volkslieder leise mitsummen, sieht man dahinter hunderte ausgelassener Metaller headbangen. Leider kommt hier keiner der Besucher zu Wort, die Sicht der Metal-Heads auf die wackener Gastgeber bleibt so komplett außen vor. Natürlich liegt dies an Sung-Hyung Chos konsequent durchgezogenem Konzept, eine Dokumentation über die Menschen in Wacken zu machen, das Festival lediglich als Aufhänger dafür zu nutzen, doch ein leicht unbefriedigendes Gefühl bleibt so dennoch zurück.

    Auch wenn die Stringenz an mancher Stelle ein wenig unter der Mischung aus ernster Milieustudie und Culture-Clash-Komödie leidet, bietet Sung-Hyung Cho mit ihrem „Full Metal Village“ doch verdammt spaßige 90 Minuten, denen man auch einen gewisses Kultpotential keinesfalls absprechen kann.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top