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    Secret Sunshine
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Secret Sunshine
    Von Sascha Westphal

    Hier bietet es sich tatsächlich einmal an, von einem Wunder – wenn auch von einem ganz kleinen – zu sprechen. Ansonsten ist diese Metapher in unserer rationalen, mehr oder weniger säkularisierten deutschen Gegenwart ja doch eher aus der Mode gekommen. Aber im Fall von Lee Chang-dongs „Secret Sunshine“, diesem bemerkenswert zurückhaltenden Drama einer jungen Witwe, die noch einen weiteren Tiefschlag des Schicksals einstecken muss, passt sie perfekt. Schließlich fragt Chang-dong nach dem Trost, den der christliche Glauben schenken kann, und kommt dabei zu einigen bemerkenswerten Antworten. Insofern hat sich der südkoreanische Filmemacher und Schriftsteller, der zudem von 2003 bis 2004 in der Regierung von Präsident Roh Moo Hyun das Amt des Ministers für Kultur und Tourismus innehatte, das Wunder eines deutschen Kinostarts durchaus selbst verdient. Es wurde aber auch Zeit, dass sich endlich mal einer unserer heimischen Verleiher eines Films von Lee annimmt. Seine ersten drei Arbeiten, „Green Fish“ (1997), „Peppermint Candy“ (1999) und „Oasis“ (2002), sind trotz ihrer Erfolge auf internationalen Festivals in Deutschland weder auf DVD veröffentlicht worden noch hat sich bisher einer der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ihrer erbarmt.

    Shin-ae (Jeon Do-yeon) will ein neues Leben anfangen. Ihr Mann ist erst vor kurzem bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Er hatte zwar eine Affäre mit einer anderen Frau und wollte Shin-ae – wie ihr Bruder andeutet – vielleicht sogar verlassen. Aber all das interessiert sie nicht. Die noch junge Witwe hält fest an dem Glauben, dass ihr Mann nur sie und ihren gemeinsamen Sohn Jun (Seon Jung-yeop) geliebt hat. Also hat sie beschlossen, Seoul den Rücken zu kehren und in Milyang, der Heimatstadt des Verstorbenen, noch einmal von vorne zu beginnen. Schließlich hatte er immer davon gesprochen, einmal dorthin zurückzukehren. Doch schon auf dem Weg von der Hauptstadt in die Provinz hat sie eine Autopanne. Der Mechaniker Chan Jong (Song Kang-ho) muss ihren Wagen abschleppen. Von diesem Moment an wird der 38-jährige Junggeselle Shin-ae kaum noch von der Seite weichen. Sie lässt ihn zwar immer wieder spüren, wie sehr er ihr mit seiner Anhänglichkeit auf die Nerven geht. Aber auch das kann ihn nicht entmutigen.

    Was zunächst noch wie die etwas verquere Liebesgeschichte zweier Sonderlinge anmutet, die so sehr auf sich fixiert sind, dass sie einfach nicht zusammenfinden können, entwickelt sich nach einer überraschenden Wende zu einer bedrückenden Alltagstragödie, in der selbst der an sich komische Stoizismus des Automechanikers eher zu Tränen als zum Lachen rührt. Shin-ae begnügt sich nach ihrer Ankunft in Milyang – was im Chinesischen soviel wie „Verborgener Sonnenschein“ bedeutet – nicht damit, eine Klavierschule zu eröffnen. Sie erzählt all ihren neuen Bekannten auch, dass sie nach einem lukrativen Grundstück am Stadtrand sucht. Was sie, deren Geld fast vollständig für den Neuanfang draufgegangen ist, dazu treibt, bleibt unklar – wahrscheinlich weiß sie es selbst nicht so genau. Nur beschwört diese eigentlich ganz harmlose Aufschneiderei eine Katastrophe herauf. Ihr Sohn Jun wird entführt und schließlich ermordet, weil Shin-ae das geforderte Lösegeld nicht aufbringen kann.

    Selbst die größten Tragödien ereignen sich bei Lee Chang-dong eher beiläufig. Sie verändern zwar alles im Leben seiner Charaktere – Shin-ae wird, nachdem sie die Leiche ihres Sohnes gesehen hat, nie wieder die sein, die sie einmal war –, aber der große Lauf der Dinge bleibt unberührt von ihnen. Die Welt dreht sich einfach weiter... das ist grausam und ungerecht, aber letztlich auch beruhigend. Die Welt dreht sich weiter, und wenn einem Menschen dies erst einmal bewusst geworden ist, liegt darin tatsächlich die Chance für einen Neuanfang. In Einstellungen, die meist auf Augenhöhe seiner Protagonisten bleiben, die ihnen aber ganz bewusst nicht zu nahe kommen, filmt Lee Chang-dong das Leben als eine Kette von Ereignissen. Sie alle hängen miteinander zusammen, und doch ist der Einfluss des Einzelnen auf sie letzten Endes eher gering. Das spricht Shin-ae nicht gänzlich frei, es relativiert allerdings ihren Anteil an den Ereignissen. Ihre bis zum Ende mehr oder weniger uneingestanden bleibenden Schuldgefühle treiben sie zunächst in die Arme einer Gemeinde von wiedergeborenen Christen. Mit dem gleichen Furor, mit dem sie zuvor die Missionierungsversuche eines Mitglieds dieser Kirche zurückgewiesen hat, stürzt sie sich in den Glauben und den Trost, den er ihr geben kann. Doch ihr Erweckungserlebnis ist nicht von Dauer. Die Wildheit ihres Eifers muss schließlich in Enttäuschung gipfeln und in Rebellion umschlagen.

    Wie ihr Regisseur ist auch Jeon Do-yeon eine wahre Meisterin in Sachen Zurückhaltung. Das ganze Leid und der wahnsinnige Schmerz, mit denen Shin-ae nach Juns Tod leben muss, brechen zwar in ein oder zwei Szenen regelrecht aus ihr heraus. Aber selbst diese zutiefst verstörenden Momente haben nichts Theatralisches oder gar Künstliches an sich. Irgendwann wird der Druck im Innern dieser vom Schicksal gebeutelten Frau einfach zu groß, dann muss er sich einen Weg bahnen. Sonst zeigen ihre inneren Konflikte und Kämpfe allerdings kaum äußere Wirkung. Höchstens in Jeons Augen flackert es gelegentlich mal verräterisch. So auch in der wohl intensivsten Szene des Films. Die in Liebe zu Gott und der Kirche entbrannte Shin-ae ist sich sicher, dass sie nur Ruhe finden wird, wenn sie dem Mörder ihres Sohnes von Angesicht zu Angesicht vergibt. Also fährt sie zusammen mit Chan Jong zu dem Gefängnis, in dem der Killer einsitzt. Nur entspricht dessen Auftreten überhaupt nicht ihren Vorstellungen und Erwartungen. Als er ihr erzählt, dass er im Gefängnis zu Gott gefunden hat und ihm seine Taten vergeben wurden, zerbricht Shin-ae innerlich. Wie Jeon Do-yeon in diesen quälenden Augenblicken regelrecht versteinert, wie aller Glauben und alle Hoffnung ganz langsam, Tropfen für Tropfen, aus ihr herauszurinnen scheinen, ist erschütternder, als es jeder große melodramatische Ausbruch sein könnte.

    Shin-aes Erfahrungen mit dem Christentum und das oftmals doch arg aggressiv-missionarische Auftreten der anderen Gemeindemitglieder haben „Secret Sunshine“ in einigen Kreisen den Ruf eines dezidiert anti-christlichen Films eingetragen. Doch so einfach verhält es sich nun wirklich nicht. Natürlich haben einige Gemeindemitglieder etwas höchst Unangenehmes an sich. Ihr so kämpferisch zur Schau gestellter Glauben verleiht ihnen zweifellos etwas von klassischen Pharisäern, deren Frömmigkeit eine Pose ist, die so gar nicht zu ihrem kleinlichen Denken und Handeln passt. Außerdem geht von Shin-aes mit der Zeit immer mehr außer Kontrolle geratender Revolte gegen Gott eine deutliche Provokation aus. Nur ergreift Lee Chang-dong nie Shin-aes Partei. Darin liegt ja gerade die Meisterschaft dieses menschlichen Dramas. Er lässt seinem Publikum den Freiraum, selbst eine Haltung zu den Ereignissen des Films und den von ihnen aufgeworfenen Fragen zu finden.

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