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    Henners Traum
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Henners Traum
    Von Carsten Baumgardt

    Heinrich „Henner“ Sattler hat Visionen auf Weltniveau. Im Ortsteil Beberbeck will der Bürgermeister des 17.000-Seelen-Städtchens Hofgeismar in Nordhessen eine mehrere hundert Millionen Euro teure Ferienanlage der Superlative aus dem Boden stampfen. „Wir züchten das blaue Pferd“, feixt der CDU-Politiker, der die Planung dieses kühnen Projekts vorantreibt. Ob der mit immenser „situativer Wendigkeit“ (Sattler über Sattler) ausgestattete Mann tatsächlich ein Visionär oder doch eher ein naiver Träumer ist, dem geht Klaus Stern in seiner spannenden Dokumentation „Henners Traum – Das größte Tourismusprojekt Europas“ nach.

    Arbeitsplätze. Darum geht es Hofgeismars Bürgermeister Henner Sattler in erster Linie. Er kümmert sich um seine Leute. Auch deshalb wurde er zuletzt mit knapp 70 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Und wenn rund um die Welt wahnwitzige Tourismusprojekte wie „Die Palme“ in Dubai oder das luxuriöse „Port Olpenitz“ an der Ostsee erwachsen, warum soll nicht das als verschlafen geltende Nordhessen im Konzert der Großen mitmischen? 1.000 Arbeitsplätze will Sattler mit seiner kühnen Idee generieren und sich in der Region unsterblich machen. Für 420 Millionen Euro soll „im Herzen Deutschlands“ das „größte Tourismusprojekt Europas“ entstehen. Seit 2005 arbeitet Sattler gemeinsam mit dem Star-Architekten Tom Krause an der Verwirklichung seines Traums. Auf 800 Hektar sind auf dem Gebiet der beschaulichen Domäne Beberbeck fünf Luxushotels, 600 Villen und Ferienwohnungen, fünf Golfplätze, eine riesige künstliche Seenlandschaft sowie eine Trabrennbahn und ein Poloplatz geplant.

    Zweieinhalb Jahre lang durfte Dokumentarfilmer Klaus Stern („Lawine – Leben und Sterben des Werner Koening“, „Andreas Baader – Der Staatsfeind“) Henner Sattler auf Schritt und Tritt begleiten. Aus dieser Nähe bezieht „Henners Traum“ seinen größten Reiz. Stern ist dicht dran an Sattler, ganz dicht dran. Einen derart direkten und ungefilterten Einblick in die Mechanismen von Kommunalpolitik gibt es selten zu sehen. Der hemdsärmelige und beliebte CDU-Politiker engagiert sich bis an die Grenzen der körperlichen Belastbarkeit für sein Ziel. Und Stern dokumentiert dies akribisch und schonungslos. Auch wenn der Ton einmal rauer wird und sich die Projektpartner untereinander die Köpfe einhauen, ist der Filmemacher als stiller Chronist zur Stelle und hält die Kamera drauf. Nach dem ermüdenden Kampf mit der Bürokratie, in dem Sattler noch auf die Unterstützung von Hessens Ministerpräsident Roland Koch bauen konnte, folgt mit der Finanzierung der wesentlich schwierigere Teil. Aber für Architekt Krause und seinen „Lieblingsbürgermeister“ gibt es dennoch nur ein Motto: „Ganz oder gar nicht“. Entweder wird „Schloss Beberbeck Resort“ nach den großspurigen Ursprungsplänen gebaut oder eben gar nicht.

    „You’re not Ludwig II. von Bayern.“ – Nicolas Tommasini, Vize-Präsident der Orco Property Group

    Sattler, diese originelle Lebens-und-Binsenweisheiten-Maschine geht mit seinem Projekt hausieren. Rund um die Welt putzt er die Klinken blitzeblank. Tapsig bewegt sich der Kommunalpolitiker über das internationale Parkett. Die Naivität, mit der Sattler unermüdlich die Offensive sucht, ist amüsant und es ist Stern hoch anzurechnen, dass er diese Steilvorlage nicht nutzt, um den Provinzfürsten vorzuführen und der Lächerlichkeit preiszugeben. Aber „Henners Traum“ ist eben keine Realsatire, was sich bei diesem Stoff durchaus auch anbieten würde. Sterns Film ist ebensowenig ein klassischer Dokumentarfilm, sondern vielmehr eine Reportage.

    Nicht nur das Format ist prädestiniert für das Fernsehen, sondern auch die Umsetzung. Sterns triste Bilder umweht nicht selten der Charme eines Urlaubsvideos – oft sind die Szenen mit der kleinen Handkamera gefilmt. Mit Kinooptik hat „Henners Traum“ nichts zu tun. Das ist wohl der Preis, den der Filmemacher zahlen muss, wenn er immer nah am Mann sein will. Doch dieses offensichtliche Manko gleicht Stern mit seinem diskreten Engagement und seiner Ausdauer aus. Unaufgeregt und nüchtern verfolgt er das Treiben seiner Schäfchen, fast schon distanziert wirkt sein Stil. Stern verzichtet aus Respekt darauf, Sattler bloßzustellen, macht sich aber keineswegs der Kumpanei mit dem Politiker schuldig, da er einen kritischen Abstand zum dokumentierten Objekt wahrt. Auch einen Off-Kommentar verkneift sich der Regisseur. Mit seinem sachlichen Ansatz setzt Stern auf den aktiven Zuschauer, jeder muss selbst mitdenken und das Gesehene einordnen.

    „Henners Traum“ wird durch amüsante und aufschlussreiche Kleinigkeiten zusätzlich sehenswert. Als Sattler zum Beispiel von einem Botschafter ein gut gemeintes, aber unhandliches Geschenk in die Hand gedrückt bekommt, versucht Hofgeismars Oberhaupt, das Präsent nonchalant wieder loszuwerden. Oder wenn sich der Bürgermeister wenig charmant über die Bewohner des Altenheimes, das Schloss Beberbeck noch „blockiert“, äußert, ist dies ein ungefilterter, roher, völlig klarer, bemerkenswerter Moment. Sattler hat offensichtlich vergessen, dass er von morgens bis abends mit einem Ansteckmikro durch die Gegend läuft. Manchmal ist es auch bittere Ironie, die den Film nährt. Warum sich offenbar keiner der Initiatoren des 420-Millionen-Euro-Projekts auch nur ein einziges Mal ernsthaft die Wetterfrage gestellt hat, bleibt ein Rätsel. Wie können die Kosten sinnvoll refinanziert werden, wenn die Attraktivität des Terrains in den trüben Herbst- und Wintermonaten gegen Null tendiert?

    Fazit: „Henners Traum“ ist eine fein ausbalancierte Doku-Reportage, die sich durch Klaus Sterns Gespür für Stimmung auszeichnet und einen tiefgehenden Blick auf die Politik im Kleinen gewährt. Mit Pioniergeist Henner Sattler präsentiert der Film einen agilen, fast schon hyperaktiven Protagonisten mit Ecken und Kanten, dem die Großmannssucht jedoch fern liegt. Ob sein „Wahres Märchen im Herzen Europas” in Erfüllung geht oder „Henners Traum“ ausgeträumt ist? Wer weiß das schon…

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