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    Die osmanische Republik - Osmanli Cumhuriyeti
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,0
    schlecht
    Die osmanische Republik - Osmanli Cumhuriyeti
    Von Andreas Staben

    Seit etwa zehn Jahren werden die populärsten Filme aus der Türkei auch in deutschen Kinos gestartet und stoßen bei der hier lebenden türkischsprachigen Bevölkerung oft auf lebhaftes Interesse. Vor allem Komödien wie die „Vizontele“-Reihe und der Science-Fiction-Spaß „G.O.R.A.“ fanden in den Multiplexen der Großstädte ihr Publikum. Allerdings hält sich das Interesse der deutschen Öffentlichkeit in Grenzen, die teilweise miserable Untertitelung dieser Filme erschwert den Zugang für des Türkischen nicht kundige Zuschauer zusätzlich. Nur der Irak-Kriegsfilm Tal der Wölfe hat in den hiesigen Feuilletons für aufgeregte Diskussionen gesorgt, einige übereifrige Politiker wollten das umstrittene Werk am liebsten gleich verbieten. Amerika-Feindlichkeit, Antisemitismus und Nationalismus finden in „Tal der Wölfe“ zwar unübersehbar Niederschlag, aber der Ruf nach Zensur war natürlich unangemessen und die voreiligen Rückschlüsse auf vermeintliche türkische Befindlichkeiten waren einer sachlichen Debatte nicht dienlich. Auch im Falle von „Die Osmanische Republik“, der neuen Komödie von Gani Müjde, die nun zeitgleich in Deutschland und in der Türkei in die Kinos kommt, darf die unter dem Mäntelchen eines Satireversuchs verborgene großtürkische Propaganda nicht einfach mit den Wünschen und Meinungen des anvisierten Massenpublikums gleichgesetzt werden. Dennoch muss klar gesagt werden, dass Müjdes formal auf biederem Niveau angesiedelte filmische Spekulation über die Entwicklung des Osmanenreiches ohne Atatürk in plumper Weise Ressentiments gegen das Europa der EU und vor allem gegen die USA und ihren mit militärischen Mitteln untermauerten Führungsanspruch bedient.

    Saloniki, 1888: Der blauäugige Junge, der Atatürk werden sollte, stürzt beim Versuch, einen Vogelkäfig von einem Baum herunterzuholen in die Tiefe und bleibt reglos liegen. Istanbul, Gegenwart: Die Gründung der Türkei ist ausgeblieben, stattdessen existiert das Osmanische Reich als „Osmanische Republik“ weiter. Allerdings hat der Sultan Osman VII (Ata Demirer) nur noch repräsentative Funktion und ist eine Marionette in den Händen der amerikanischen Besatzungsmacht, die das Land regiert. Der Herrscher ohne Macht muss sich dazu noch gegen Begehrlichkeiten der EU, Intrigen aus der eigenen Umgebung und eine übellaunige Ehefrau wehren. Als er der hübschen Studentin Asude (Vildan Atasuver) begegnet, verliebt sich der Sultan in die junge Frau ohne zu ahnen, dass sie der Widerstandsbewegung gegen die Fremdherrschaft angehört. Nach weiteren unglücklichen Verwicklungen kehrt der Film schließlich zur Anfangssequenz in Saloniki zurück, wo sich der Junge vom Boden erhebt. Er kann also seinen Weg fortsetzen und zum „Vater der Türken“ werden.

    Was wäre, wenn...? Gani Müjde, der mit „Kahpe Bizans – Die Hure Byzanz“ bereits 1999 erfolgreich einen Ulk in der Vergangenheit seines Landes ansiedelte, wählt für „Die Osmanische Republik“ die Form eines historischen Gedankenspiels. Doch während es in vergleichbar angelegten Erzählungen wie etwa den Romanen „Vaterland“ von Robert Harris und Stephen Frys „Geschichte machen“ auch sehr stark um die Reflexion der Voraussetzungen historischen Wandels geht, opfert Müjde die Doppelbödigkeit einer solchen Herangehensweise zugunsten einer Ansammlung von Klischees und Vorurteilen, die denunziatorisch ausgebeutet werden. In selten zu sehender Eindeutigkeit werden die US-Soldaten als brutale Mörder präsentiert, ein Aufstand wird blutig niedergeschlagen und seine Darstellung in den Medien im Sinne der Besatzer verfälscht. Die dramaturgische Klammer, die das Ganze in den Konjunktiv setzen soll, erscheint angesichts der Wirkungsmacht der Bilder spritzenden Blutes wie ein Feigenblatt, das den propagandistischen Charakter dieses Werks kaum verhüllen kann. Wenn Müjde amerikanische Kriegsschiffe im Bosporus zeigt und dazu fast am Ende des Films äußern lässt, dass diese verschwinden müssten, fällt es schwer, nicht von einer agitatorischen Absicht auszugehen.

    Die Einseitigkeit des Films ist umso bedauerlicher, da die Auseinandersetzung um den Umgang mit dem Staatsgründer in der Türkei gerade auch durch die dokumentarische Atatürk-Biographie „Mustafa“ neu angefacht wurde. Kritik am Kriegshelden, Reformator und Visionär Atatürk ist nämlich immer noch mit Tabus und Verboten belegt, aber Müjde versäumt es, die inneren Zustände des Landes, seine sozialen, kulturellen und religiösen Konflikte überhaupt ernsthaft zum Thema zu machen. Zwar gibt es Anspielungen auf das „Hüte-Gesetz“, mit dem Atatürk das Tragen von Turbanen und anderen Kopfbedeckungen verbieten ließ, und der von Pannen begleitete Moscheebesuch des Sultans ist natürlich vor dem Hintergrund der strikten Verweltlichung des türkischen Staates zu sehen, doch die wesentliche Angriffsfläche des Films bleibt das Ausland. Während der Gegensatz zwischen dem Kemalismus der Atatürk-Nachfolge und islamistischen Bestrebungen im Lande also höchstens nebenbei aufgegriffen wird, steht die einende Ablehnung fremder Einflüsse im Mittelpunkt. Die Verhandlungen um einen eventuellen EU-Beitritt der Türkei sind bei Müjde von diplomatischen Winkelzügen der Brüsseler Politiker bestimmt. Der wichtigste Beamte, der im übrigen dem ehemaligen Erweiterungs-Kommissar Günter Verheugen nachempfunden ist, vertröstet die Türken auch nachdem sie eine Insel ausgerechnet in die Hände des Erzfeindes Griechenland gegeben haben mit leeren Versprechungen. Enttäuschung und Entmündigung verstärken den Wunsch eines starken türkischen Nationalstaats, der nicht nur an dieser Stelle in unpassender Vereinfachung als die Essenz des historischen Erbes Atatürks erscheint.

    „Die Osmanische Republik“ ist so stark von den angesprochenen propagandistischen Tendenzen geprägt, dass sich dies auf allen Ebenen des Films niederschlägt. So entwickelt sich der Protagonist, der machtlose Sultan, von der Witzfigur zum Sympathieträger. Zuerst steht er unter dem Pantoffel seiner einkaufswütigen Gattin, er wird vom Volk ignoriert und die eigenen Beamten schikanieren ihn. Dazu wird er als rückständig und ahnungslos porträtiert, die Handhabung eines Mobiltelfons etwa muss er von seinem kleinen Enkel lernen. Am Ende findet er aber sowohl die Liebe als auch Erkenntnis und unterstützt den Widerstand. Atan Demirer spielt das mit volkstümlichem Appeal, ein Musterbeispiel für den Stil des Films, der mit seinen boulevardesken Momenten, seiner wohldosierten Sentimentalität und seinem punktuellen Pathos auf bekannte Erfolgsformeln setzt. Dass Gani Müjde die Pfade harmloser Unterhaltung verlässt und in einem nationalistischen Diskurs unselige Feindbilder heraufbeschwört, macht aus einer misslungenen Satire ein filmisches Ärgernis.

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