Mein Konto
    Der Kongress
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Der Kongress
    Von Christian Horn

    Mit „Waltz with Bashir“ beschrieb Ari Folman in animierten, surrealen Bildern seine verdrängten, traumatischen Erfahrungen aus dem ersten Libanonkrieg 1982 und begeisterte weltweit die Kritiker. Auch sein neues, auf den Filmfestspielen von Cannes 2013 uraufgeführtes Werk „The Congress“ besticht durch seine besondere visuelle Note: Was seinen Anfang in der Realität nimmt, wird zu einer düsteren Dystopie, was als Realfilm beginnt, wird dabei zum Animationsfilm. „The Congress“ ist eine lose Adaption des Science-Fiction-Romans „Der futurologische Kongreß“ von Stanislaw Lem, der in seinen Werken wie dem Klassiker „Solaris“ immer wieder Zukunftsvisionen mit philosophischen Reflexionen verknüpfte. Folman greift dies in seinem Film auf einer Metaebene auf, die schwer fassbar ist, so aber unterschiedliche Lesarten eröffnet.

    Die Karriere der Schauspielerin Robin Wright (Robin Wright) ist am Ende, was vor allem daran liegt, dass sie Mitte 40 ist. Also lässt sie sich von ihrem Agenten Al (Harvey Keitel) und dem Miramount-Studioboss Jeff (Danny Huston) dazu überreden, sich für eine neue Karriere als digitaler Star zu verpflichten: Gestik, Mimik und sogar die Gefühle der Darstellerin werden dafür in einem digitalen Abbild konserviert, das in den Besitz des Studios übergeht, während die echte Robin Wright keine Rollen mehr annehmen darf. Zwanzig Jahre später ist die digitale Robin Wright die Heldin der platten Actionserie „Rebel Robot Robin“. Die echte Robin reist derweil auf einen Kongress, wo Miramount ein neues Medikament vorstellt, mit dem sich Menschen für immer in eine Traumwelt flüchten können. Auf dem Kongress erscheinen alle Anwesenden – neben Robin Wright u.a. auch John Wayne, Marilyn Monroe und Michael Jackson - dank der Einnahme von Mitteln mit halluzinogener Wirkung als Cartoonfiguren und proben den Aufstand gegen die neue Scheinwelt.

    Mit seiner verworrenen Geschichte und zahllosen Querverbindungen entwickelt Folman eine Zukunftsvision, in der er ein kaum durchschaubares Potpourri an Themen anreißt. Einerseits ist „The Congress“ eine schillernde Parodie auf Hollywood-Studios und die amerikanische Filmindustrie. Da tritt etwa Paul Giamatti („Sideways“) als Arzt in Erscheinung, der davon ausgeht, dass Filme künftig direkt in das Bewusstsein der Menschen transferiert werden, also nicht mehr auf der Leinwand, sondern direkt im Kopf stattfinden – eine Überspitzung des Bestreben Hollywoods, Träume zu verkaufen. Doch „The Congress“ ist mehr als eine Satire auf das Filmgeschäft und das Starsystem. Weil Robin Wright alle Rechte an ihrer Digitalversion abtritt, ist der Film auch eine philosophische Reflexion über den freien Willen und die Identität des Menschen. Zudem streift Ari Folman Themen wie Copyright, Second Life und Jugendwahn und positioniert seinen Film an der Grenze zwischen Realität und halluzinatorischer Gegenwelt. So muss der Zuschauer selbst zwischen den vielen angedeuteten Themenkomplexen, die sich mitunter assoziativ überlagern, seinen eigenen roten Faden zu finden.

    „The Congress“ beeindruckt dabei durchweg dank der außergewöhnlichen Bildsprache. Nach der klassischen Inszenierung mit Schauspielern in der ersten Filmhälfte taucht Folman immer tiefer in surreale Bilderwelten ein, die zahllose Schauwerte liefern. Dabei übertrifft Folman sogar noch die beeindruckenden Animationen aus „Waltz with Bashir“ und geht weit über diese hinaus: Ganz unterschiedliche stilistische Komponenten werden zu einem psychedelischen Trip verbunden, der bisweilen an den Beatles-Film „Yellow Submarine“ erinnert. Etliche Referenzen an Popkultur und Zitate aus Filmen wie den Stanley-Kubrick-Klassikern „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ oder „2001: Odyssee im Weltraum“ runden das ästhetische Vergnügen gerade für ein cinephiles Publikum ab. Hinzu kommen „Wimmelbilder“, die so voll von Figuren, Ideen und Zitaten sind, dass sie sich erst beim wiederholten Sehen ganz erfassen lassen.

    Fazit: „The Congress“ ist eine stilistisch beeindruckende Mischung aus realen Szenen und Animationen, in der ein weites Feld an Themen angerissen wird und dem Zuschauer so vielfältige Lesarten und Assoziationen eröffnet werden.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top