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    Nord
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Nord
    Von Sascha Westphal

    Der Gedanke an David Lynchs Road Movie The Straight Story drängt sich regelrecht auf und verbietet sich dennoch. Vielleicht hat der norwegische Dokumentarfilmer Rune Denstad Langlo bei den Vorbereitungen und den Dreharbeiten zu seinem Spielfilmdebüt „Nord“, einer um skandinavische Skurrilität bemühten Komödie, die vom deutschen Kinoverleih als „Ein anti-depressives Off-Road-Movie“ angekündigt wird, tatsächlich das eine oder andere Mal an Lynchs filmische Entdeckung der Langsamkeit gedacht. Nur ist davon in seinem Film nichts zu merken. Die Ähnlichkeiten sind letztlich rein oberflächlich und beschränken sich vor allem auf die Fortbewegungsmittel der beiden Protagonisten. Statt auf einem Rasenmäher, mit dem sich der alte Alvin Straight auf seinen Weg quer durch das Heartland Amerikas gemacht hat, setzt sich der depressive Ex-Sportler Jomar für seine Reise in Richtung Polarkreis auf ein Schneemobil. Dieses Gefährt entbehrt natürlich nicht einer gewissen Kuriosität, zumal er damit auch durch einen Autobahntunnel rast. Aber es bleibt anders als der Rasenmäher bei Lynch einfach nur ein Fahrzeug, das sich angesichts der klimatischen Verhältnisse sogar als Notwendigkeit erweist.

    Ein Unfall hat den Profi-Skifahrer Jomar (Anders Baasmo Christiansen, Arn – Der Kreuzritter) seine Karriere gekostet. Außerdem spannte ihm ausgerechnet sein bester Freund Lasse (Kyrre Hellum) einst die Frau seines Lebens aus. Seither zerfließt Jomar in Selbstmitleid und ertränkt seine Depressionen in Hochprozentigem. Seinen Job als Liftwärter hasst er. Am liebsten würde er zurück in die psychiatrische Klinik gehen, in der er einige Zeit behandelt wurde. Doch das kommt für seine Ärztin nicht in Frage. Also muss er seine Zeit in der Hütte am Lift irgendwie mit Zigaretten und Alkohol totschlagen. Als jedoch plötzlich Lasse dort auftaucht, kommt erstmals wieder Bewegung in Jomars Leben. Nach einer heftigen Schlägerei erzählt Lasse ihm, dass er einen vierjährigen Sohn hat, der hoch im Norden lebt. Plötzlich hat Jomar wieder ein Ziel. Er will seinen Sohn sehen und kennen lernen. Also nimmt er sich einen Fünf-Liter-Kanister mit Alkohol und setzt sich auf sein Schneemobil...

    Auf seiner Reise durch die Kälte und den Schnee trifft Jomar immer wieder auf Menschen, die genauso verloren wirken wie er selbst. Die eisigen Temperaturen und die Weite des Landes fordern ihren Tribut. Die Einsamkeit macht die Menschen schrullig, wenn nicht gar gleich verrückt. Die erste, der Jomar auf seinem Trip begegnet, ist eine Teenagerin (Marte Aunemo), die alleine mit ihrer Großmutter in der Einöde jenseits von Trondheim lebt. Sie rettet ihn, als er schneeblind durch den Wald irrt, und pflegt ihn beinahe aufopferungsvoll in ihrem Zimmer. Dabei entwickelt sich eine bizarre Beziehung zwischen dem Mädchen und dem 30-Jährigen, die Rune Denstad Langlo stets etwas zu distanziert in Szene setzt. Natürlich ist das Herz des Mädchens in Aufruhr, die Einsamkeit und das Gefühl, eine verwandte Seele gefunden zu haben, trüben ihre Vernunft. Aber das alles nimmt ihrem Verliebtsein nichts von seiner Wildheit und seiner Poesie. Doch die spielt Langlo mit seinem ironisch-lakonischen Stil ganz bewusst herunter.

    Wie seine Vorbilder, der Amerikaner Jim Jarmusch (Down By Law, Night On Earth), der Finne Aki Kaurismäki (Der Mann ohne Vergangenheit, Lichter der Vorstadt) und der Norweger Bent Hamer („Kitchen Stories“, Factotum, O’Horten), serviert auch Langlo seinem Publikum jeden emotionalen Moment mit einem Augenzwinkern. Doch während Aki Kaurismäkis trockener Humor noch von einer tief empfundenen Leere und Verzweiflung zeugt, wirkt sein Hang zum abseitig Skurrilen am Ende nur aufgesetzt. In der Rock-Szene gelten Künstler wie er meist als Poser. Dieses Posieren, dieses durch und durch kalkulierte Kokettieren mit einem Stil und einer Haltung, die als typisch für das skandinavische Kino der vergangenen 20 oder 25 Jahre gilt, prägt dann auch Jomars weitere Begegnungen.

    Je weiter der Ex-Skifahrer in Richtung Polarkreis kommt, desto seltsamer verhalten sich die Menschen, die er trifft. Da ist der von seinen Eltern alleingelassene Urik (Mads Sjøgård Pettersen), hinter dessen merkwürdigen Trinkritualen und der so offensiv zur Schau gestellten Homophobie sich natürlich ein sexuell verwirrter junger Mann verbirgt, der sich eindeutig zu seinem Gast hingezogen fühlt. Später begegnet Jomar noch einigen Soldaten, die im höchsten Norden für ihren Einsatz in Afghanistan ausgebildet werden, und schließlich einem alten Samen (Lars Olsen), der angekettet in einem Tipi auf einem zugefrorenen, nun aber langsam tauenden See sitzt. Dessen Weisheiten – wie sollte es auch anders sein – bringen den depressiven Reisenden endgültig wieder auf den richtigen Kurs. Was natürlich auch wieder nur ein Klischee ist, das Langlo im vollen Bewusstsein seiner ironischen Überlegenheit variiert und dabei hofft, es zugleich auch zu unterlaufen. Nur ist seine Ironie selbst schon wieder ein Klischee.

    Eines bewahrt „Nord“ dann aber doch noch vor dem Versinken im gänzlich Epigonalen, und das ist Rune Denstad Langlos grandioses Auge für Landschaften. In jeder seiner überwältigenden Totalen offenbart sich der Dokumentarfilmer, der mit seinem Blick und der Kamera der Wirklichkeit nachspürt und sie Moment für Moment festhält. Immer wenn Jomar einfach nur durch verschneite Gegenden fährt oder plötzlich auf vereinsamte Bastionen der menschlichen Zivilisation trifft, entwickelt dieser Spielfilm-Erstling einen wahrhaft poetischen Sog, der an die Gemälde der Romantik erinnert. In diesen Szenen löst sich Langlo von all seinen Vorbildern und findet zu einer bemerkenswerten Eigenständigkeit, die sogar neugierig macht auf seine nächsten Arbeiten.

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