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    Im Herzen der See
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Im Herzen der See
    Von Carsten Baumgardt

    Herman Melvilles Romanklassiker „Moby Dick“ (1851) ist im Laufe der Dekaden schon vielfach verfilmt worden – vom Stummfilm „The Sea Beast“ (1926) bis zur Mini-Serie „Moby Dick“ (2010) mit William Hurt und Ethan Hawke. Und mit John Hustons unvergessener Version von 1956 mit Gregory Peck als Captain Ahab möchte sich ohnehin niemand messen. Also entschied sich Mainstream-Spezialist Ron Howard („Apollo 13“, „Rush“) für eine Variation des Stoffes und erzählt die abenteuerliche Geschichte des Walfangschiffs Essex, die Melville einst zu seinem Mammutschmöker inspirierte. Der Dreimaster war 1820 in See gestochen und nicht zurückgekehrt, bald rankten sich allerlei Legenden um die Unglücksfahrt, die sich ein wenig wie bei der stillen Post verbreiteten. Schon 1821 schrieb etwa einer der wenigen Überlebenden, Obermaat Owen Chase, ein Buch über die dramatischen Geschehnisse an Bord des Schiffs, das von einem riesigen Wal versenkt wurde. Melville kannte Chase selbst nicht, seine wichtigste Quelle war dessen Sohn. Diese Konstellation wiederum griff Seefahrt-Spezialist Nathaniel Philbrick fast 200 Jahre später in seinem Roman „Im Herzen der See. Die letzte Fahrt des Walfängers Essex“ auf – und genau darauf basiert nun Ron Howards Film. Der Regisseur schafft es allerdings trotz teils großartiger Bilder nicht, die grandiose Emotionalität der archaisch-wuchtigen Geschichte lebendig werden zu lassen, sein 3D-Abenteuer-Drama „Im Herzen der See“ zieht den Zuschauer nie so richtig in den Bann.

    1850: Der Autor Herman Melville (Ben Whishaw) recherchiert in Nantucket an der amerikanischen Ostküste über das Schicksal des 1820 dort in See gestochenen und nie zurückgekehrten Walfangschiffs Essex. Der letzte der wenigen Überlebenden, Thomas Nickerson (Brendan Gleeson), der als Jugendlicher zur Besatzung gehörte, willigt nur mit schlechtem Gewissen und gegen gute Bezahlung ein, dem Schriftsteller die wahre Geschichte des Untergangs zu erzählen. 1820: Der versierte wie ambitionierte Seemann Owen Chase (Chris Hemsworth) ist bitter enttäuscht, als ihm das versprochene Kommando auf der Essex verwehrt bleibt. Er muss stattdessen als Erster Offizier unter dem unerfahrenen, aber privilegierten Kapitän George Pollard (Benjamin Walker) dienen. Das soll sich rächen. In einem Sturm kommen erste Seeleute ums Leben, weil Pollard ein zu großes Risiko eingegangen ist. Nach der Reparatur der Schäden an Land lässt sich der Kapitän von einem gestrandeten spanischen Kollegen (Jordi Mollà) mit dem Versprechen nach üppigen Walgründen weit in die offene See locken ...

    Die Verknüpfung der Geschichte der letzten Fahrt der Essex mit der Erzählung von Melvilles Recherche 30 Jahre danach, die Nathaniel Philbrick in seinem Roman vorgenommen hat, zeigt etwas davon, wie Legenden entstehen und sich verbreiten, dabei wird der literarische Mythos „Moby Dick“ zugleich hinterfragt und befeuert. Ron Howard und seine Drehbuchautoren behalten diese Struktur bei, ohne allerdings ihre reflexiven Möglichkeiten auszuschöpfen. So haben die Szenen zwischen Melville und dem mit seinen Erinnerungen kämpfenden Überlebenden im Film vor allem atmosphärische Stärken, aber sie hemmen außerdem immer wieder den Erzählfluss, denn das wahre Drama spielt sich hier in den Rückblenden ab, in denen die verhängnisvolle Expedition der Exeter gezeigt wird. Die Unterbrechungen verhindern, dass sich die volle Spannung der Situation entfalten kann, außerdem wirken die in kleinen Rationen dargebrachten Konflikte wie etwa der angedeutete Klassenkampf zwischen dem reichen Kapitän Pollard und dem aus einfacher Herkunft stammenden Owen Chase arg plakativ. Unter diesen Voraussetzungen fällt es dann auch schwer, Mitgefühl für die Figuren zu entwickeln, das Erzählen aus zweiter Hand erzeugt eine Distanz ohne Mehrwert.

    Trotz der problematischen Dramaturgie birgt die Story vom Konkurrenz- und Überlebenskampf immer noch jede Menge Möglichkeiten für große Kinomomente, doch Ron Howard schreckt vor den Extremen zurück. Wenn verhungernde Menschen aus lauter Verzweiflung an den Toten herumnagen, ist das starker Tobak, aber der Regisseur scheut den echten Blick in die Abgründe des Menschseins und serviert uns eine handzahme Light-Version der verstörenden Ereignisse: Immer wenn es blutig wird, blendet er frühzeitig aus. Damit wird dem Zuschauer das Leiden erspart – aber darum geht es nunmal in „Im Herzen der See“. Darüber trösten auch die beeindruckenden Seepanoramen von Kameramann Anthony Dod Mantle („Slumdog Millionär“) in ihrer rauen Schönheit kaum hinweg. Sie verströmen eine stille Poesie, die in wirkungsvollem Kontrast zu dem harten Leben und der rüden Männerwelt an Bord der Exeter stehen. Während die plastischen Naturbilder durchaus von dem 3D-Einsatz profitieren, erliegt Ron Howard an anderer Stelle dem Rausch der dritten Dimension: Besonders zu Beginn lässt er immer wieder durch Objekte direkt vor der Kamera hindurch filmen, was zwar einige hübsche Einstellungen produziert, aber auf längere Sicht lenkt diese Kirmes-Spielerei nur ab.

    Sinnfälliger als der Umgang mit der 3D-Technik erscheint der Einsatz von computergenerierten Elementen. Nicht zuletzt durch die gekonnten Tricks und Effekte werden die Kämpfe der Essex-Besatzung mit den Walen gleichsam physisch erlebbar. Und auch als ein bemitleidenswerter Schiffsjunge in einen erlegten und ausgehöhlten Wal klettern muss, um die letzten Reste des kostbaren Walöls aus dem Kadaver des monströsen Tieres zu scheffeln, ist das ein echter Höhepunkt. Der zentrale Gegner, der große weiße Wal, erscheint zudem imposant und lebensecht, selbst wenn der Gigant in der Erzählung einen geringeren Stellenwert einnimmt als bei „Moby Dick“ ist er hier fast so etwas wie die heimliche Hauptfigur. Die menschlichen Darsteller können dagegen nicht soviel Eindruck schinden. Während Brendan Gleeson („Am Sonntag bist du tot“) und Ben Whishaw („Spectre“), die sich in einem spärlich beleuchteten Raum Geschichten erzählen, unterfordert wirken, besticht Chris Hemsworth („Thor“), der zuletzt in Michael Manns „Blackhat“ Schwierigkeiten hatte, als superintelligenter Hacker durchzugehen, mehr durch seine Physis als durch filigranes Schauspiel. Auch Benjamin Walker („Abraham Lincoln Vampirjäger“) kann in einer eindimensionalen Rolle nur gelegentlich Akzente setzen.

    Fazit: Ron Howard erleidet mit seinem optisch überzeugenden Abenteuer-Drama „Im Herzen der See“ zwar keinen Schiffbruch, aber seine Hintergrundgeschichte zu Herman Melvilles Romanklassiker „Moby Dick“ ist zu handzahm und risikolos erzählt, um wirklich mitzureißen.

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