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    Pornografie & Holocaust
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Pornografie & Holocaust
    Von Michael Smosarski

    Die wenigsten Deutschen haben wohl fundiertes Wissen über israelische Kultur. Merkwürdig unterrepräsentiert erscheint dieses Land, das uns doch eigentlich gleichbleibend nahe stehen sollte. Selbst im Hinblick auf die unheilvollste aller historischen Verbindungen zwischen den beiden Staaten ist Israel aus deutscher Perspektive förmlich unsichtbar: Wie wurde und wird der Holocaust dort aufgearbeitet? Welche Relevanz hat die jüdisch-deutsche Geschichte für die Alltagskultur? Ari Libskers Dokumentation „Pornografie und Holocaust" wirft ein Streiflicht auf diese Fragen, und das am Beispiel eines Phänomens, das auf den ersten Blick als Kuriosum erscheint.

    Fetisch-Pornografie als Holocaustliteratur? Folgt man Ari Libsker, waren die sogenannten „Stalags" in den frühen 60er Jahren tatsächlich eine der ersten Formen öffentlicher Diskursführung in diesem thematischen Bereich. Inhaltlich drehten sich die stets ähnlichen Plots um pervertierten KZ-Sadismus – pervertiert im Wortsinne, denn in den Stalag-Heftchen sind die Nazi-Wachen Frauen, die gefangen genommene US-Soldaten folternd befriedigen. Libsker spürt dem Phänomen geschichtlich nach und spricht mit Lesern und Machern dieses ebenso unwahrscheinlichen wie breitenwirksamen Hypes.

    Sagenhafte 80.000 Exemplare der „Stalags" wurden in wenigen Jahren verkauft. Die Antwort auf die Frage, wie ein derart randständiges Phänomen in die Mitte der Gesellschaft rücken konnte, zielt zugleich auf den Kern israelischer Holocaust-Aufarbeitung. Der Hype um die Sexheftchen fällt nämlich zeitlich zusammen mit dem Eichmann-Prozess, im Zuge dessen die israelische Bevölkerung erstmals in der Breite über die Nazi-Gräuel aufgeklärt wurde. Psychologisch gesehen stellen die „Stalags" die Erotisierung des historischen Traumas dar. Der zugrunde liegende Mechanismus gleicht dem des allgemeinen Entstehungsprozesses von Perversionen: Ein misshandeltes Kind belegt seine Leiden mit sexuellen Gefühlen, um die Qual zu lindern. Zugleich reflektieren die „Stalags" jedoch auch einen anderen Aspekt der israelischen Gesellschaft der 60er, nämlich ihre lähmende Prüderie, die die Schmuddel-Heftchen auf schockierende Weise attackierten.

    Bereits anhand dieses kurzen Überblicks wird deutlich, inwieweit sich in den „Stalags" ein Brennpunkt israelischer Kulturgeschichte ausmachen lässt. Zwei große Probleme hat Ari Libskers Film in dieser Hinsicht: Zunächst einmal verpasst er es, die vielfältigen Implikationen zu bündeln und eine präzise Analyse anzubieten. Zum anderen, und dieser Aspekt ist nicht prinzipiell als filmisches Manko zu verstehen, ist Libskers Doku kaum voraussetzungslos verstehbar. Zu viel Vorwissen über die israelische Kultur verlangt die Komplexität des Phänomens „Stalags". Dementsprechend nötigt der Film dem deutschen Zuschauer höchste Aufmerksamkeit ab. Dabei ist die zugegeben schwer zu bebildernde Dokumentation auch visuell nur stellenweise fesselnd und erklärend, hier wäre gerade für das ausländische Publikum eine erläuternde Illustrierung des Inhalts möglich und notwendig gewesen.

    Nichtsdestotrotz ist „Pornografie und Holocaust" ein lohnenswerter Film, gerade wegen des gebotenen kaleidoskopischen Einblicks in die jüngste Kulturgeschichte Israels. Der originelle Zugriff, den Libsker dafür wählt, versöhnt den Zuschauer mit der etwas schlingernden Argumentation, der zu folgen man stellenweise seine liebe Mühe hat.

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