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    Bel Ami
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Bel Ami
    Von Carsten Baumgardt

    Jede Nation hat so ihre Empfindlichkeiten. Unsere französischen Nachbarn wachen besonders argwöhnisch über ihre Sprache und ihre Kultur. Zu den so gehegten nationalen Kunstschätzen gehört eindeutig auch Guy de Maupassants bereits mehrfach verfilmter Roman-Klassiker „Bel Ami" aus dem Jahr 1885. Mit den Regiedebütanten Declan Donnellan und Nick Ormerod greifen jetzt ausgerechnet zwei Briten auf den ur-französischen Stoff zurück und adaptieren ihn mit englischsprachigen Schauspielern. Diese Operation „Bel Ami" ist nicht nur aus französischer Sicht gescheitert – das Kostümdrama leidet unter atmosphärischen Störungen, fehlender Subtilität und einem Hauptdarsteller, der der Komplexität seiner Figur nicht gewachsen ist.

    Im Paris des Jahres 1890 herrscht die pure Goldgräberstimmung. Die Möglichkeiten, schnell viel Geld zu machen, sind immens. Nur der mittellose Ex-Soldat Georges Duroy (Robert Pattinson) hat bisher den Anschluss an die Upper Class verpasst und knausert sich als kleiner Angestellter durch, um überhaupt überleben zu können. Als er auf Charles Forestier (Philip Glenister), einen alten Kriegskameraden, trifft, ändert sich schlagartig alles, denn der führt den schönen Jüngling in die feine Gesellschaft von Paris ein und verschafft ihm einen Job als Journalist bei der Zeitung „La Vie Française". Georges verliebt sich auf den ersten Blick in Forestiers eloquente und hochgebildete Ehefrau Madeleine (Uma Thurman), lenkt sich aber erst einmal durch eine Affäre mit der ebenfalls verheirateten Clotilde (Christina Ricci) ab. Als Forestier von einer schweren Krankheit dahingerafft wird, schlägt Georges zu und heiratet Madeleine. Er steigt die gesellschaftliche Leiter eine weitere Stufe hinauf, das reicht ihm aber nicht. Sein Größenwahn treibt ihn schließlich in Ehekrise, Affären und berufliche Misserfolge...

    Guy de Maupassant schuf mit „Bel Ami" ein feingliedriges Gesellschaftsporträt, das bis heute immer noch aktuell ist. Schließlich wird auch unsere Zeit von der Jagd nach Ruhm, Geld und Einfluss bestimmt, von unerbittlichem Konkurrenzkampf, von Skrupel- und Rücksichtslosigkeit. Eine Neuinterpretation des Maupassant-Stoffes ist also durchaus naheliegend, doch den Regisseuren Declan Donnellan und Nick Ormerod gelingt es nicht, seine Relevanz in der Gegenwart zu verdeutlichen. Sie beschränken sich auf rein dekoratives Historienkino: Ausstattung und Kameraarbeit sind gefällig und gediegen, aber die Handlung wirkt zusammengestaucht. Viele Auslassungen machen sich negativ bemerkbar, auch von Maupassants komplexen Figuren bleibt in der holzschnittartigen Anlage des Films kaum etwas übrig und so kommt es zu abrupten Veränderungen in Verhalten und Charakter, die kaum nachvollziehbar sind.

    Der als Vampir-Blässling in den schauspielerisch nicht allzu anspruchsvollen „Twilight"-Filmen zu Starruhm gekommene Robert Pattinson versucht der Figur des Georges Duroy mit nicht viel mehr als jungenhaftem Charme beizukommen. Den kratergroßen Abgründen dieses Lausejungen der Damenwelt in der gehobenen Pariser Gesellschaft, den schließlich die Großmannssucht heimsucht, wird er nicht gerecht. Zwar hat der Briten in dem Drama „Wasser für die Elefanten" bewiesen, dass er durchaus Format besitzt, doch „Bel Ami" wäre bei einem Schauspieler wie Leonardo DiCaprio deutlich besser aufgehoben gewesen. Selbst für den dürfte es indes eine kaum zu leistende Herausforderung sein, die drehbuchbedingte Sprunghaftigkeit Duroys plausibel erscheinen zu lassen. Wie schwer es die Schauspieler in diesem Film haben, lässt sich besonders gut am Beispiel einer ausgewiesenen Könnerin wie Kristin Scott Thomas („Der englische Patient") erkennen. Wenn die Oscar-Nominierte plötzlich und unvermittelt wie ein verliebter Teenager für den Schönling Georges schwärmt, dann ist das weniger darstellerisches Versagen als ein Ausdruck eklatanter dramaturgischer Schwächen. Den besten Eindruck hinterlässt noch die genreerfahrene Uma Thurman („Gefährliche Liebschaften"), deren Figur Madeleine Forestier allerdings auch am stimmigsten ausgearbeitet ist.

    Fazit: „Die Schweden sind keine Brasilianer." Was schon Fußball-Kaiser Franz Beckenbauer wusste, ist Declan Donnellan und Nick Ormerod offenbar in der Analogie entgangen: Briten und Amerikaner sind keine Franzosen. Deswegen kommt in dem britischen Kostüm-Drama „Bel Ami", das zudem an einer viel zu plumpen Figurenzeichnung krankt, nie die richtige Stimmung für diesen ur-französischen Stoff auf.

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