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    Mission: Impossible
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Mission: Impossible
    Von Johannes Pietsch

    Die 90er waren das Jahrzehnt der Serien-Adaptionen. Hollywood machte aus der Not der immer weiter grassierenden Ideenarmut eine auf den ersten Blick zweifelhafte, im Ergebnis aber erstaunlich oft gelungene Tugend und bemächtigte sich erfolgreicher Fernsehstoffe, um sie im technologisch aufgemotzten Gewand des Jahrzehnts und mit Starbesetzung auf die Breitleinwand zu bringen. 1993 nahm sich Action-Spezialist Andrew Davis („Code Of Silence", „Under Siege") des legendären TV-Straßenfegers „The Fugitive" („Dr. Kimble auf der Flucht") an und schuf mit der gleichnamigen Kino-Fassung (Auf der Flucht) mit Harrison Ford und dem für seine Rolle als gnadenloser FBI-Profiler Oscar-preisgekrönten Tommy Lee Jones einen Thriller-Meilenstein. Die Reihe der TV-Adaptionen setzte sich bis in die jüngste Zeit fort und führte von Drei Engel für Charlie (2000) über Starsky und Hutch (2003) bis zur unsäglich einschläfernden verliebten Hexe Nicole Kidman in Verliebt in eine Hexe (2005). 1996 war jedoch das Jahr von Brian de Palma und Tom Cruise. Basierend auf der in Amerika sehr erfolgreichen, in Deutschland deutlich beiläufiger zur Kenntnis genommenen Fernseh-Serie „Mission: Impossible", die in den 70ern als „Kobra, übernehmen Sie!" über westdeutsche Fernsehschirme flimmerte, schufen der Hitchcock-Lehrling de Palma und der ehemalige „Top Gun"-Teenieschwarm Cruise einen Blockbuster, der weltweit über 450 Millionen Dollar einspielte, Tom Cruise endgültig in Megastar-Sphären katapultierte und ein Kino-Franchise mit bislang zwei Fortsetzungen begründete, welches mit der Wucht seines kommerziellen Erfolgs alle Erinnerungen an die alte Agentenserie förmlich in Grund und Boden walzte.

    „Mission: Impossible" bildete für Regisseur und Hauptdarsteller das eigentümliche Aufeinandertreffen zweier gänzlich entgegengesetzter, kreuzförmiger Karrierelinien: Der damals 34-jährige Cruise hatte sich zunächst mit „Top Gun" (1986) und „Tage des Donners" (1990) als Clerasil-frischer Teenie-Schwarm etabliert, mit „Geboren am 4. Juli" (1989) und Eine Frage der Ehre (1992) das Charakterfach erprobt und 1988 an der Seite von Dustin Hoffman in Rain Man eine echte Glanzrolle abgeliefert. Nach Sidney Pollacks John-Grisham-Verfilmung Die Firma (1993) und der schwülstig-opulenten Anne-Rice-Adpation „Interview mit einem Vampir" (1994) wartete die Welt förmlich auf den durchschlagenden, alles entscheidenden Box-Office-Erfolg des Jungstars.

    Brian de Palma hingegen war ein Relikt der 70er und 80er Jahre. Mit dem Stephen-King-Stoff „Carrie" hatte er 1976 das Kinopublikum das Fürchten gelehrt und Sissy Spacek zum Star gemacht. Im Jahr 1980 erwies er mit „Dressed To Kill" dem von ihm geradezu sklavisch verehrten Alfred Hitchcock ebenso gelehrig wie meisterhaft die Referenz, widmete sich 1981 in „Blow Out" mit John Travolta und Nancy Allen erneut seinen beiden Lieblingsthemen Voyeurismus und Manipulation und schuf 1982 mit Scarface den Archetyp des modernen, brutalen Gangster-Dramas. „Body Double" von 1984 geriet zur punktgenauen Hommage an die beiden Hitchcock-Klassiker Das Fenster zum Hof und Vertigo. De Palmas bis dato größter Erfolg gelang ihm 1987 mit dem Gangster-Epos „The Untouchables", welches den noch jungen Kevin Costner zum Superstar machte und Sean Connery den Oscar eintrug. Danach jedoch setzte sein Stern zu einem unaufhaltsamen Sinkflug an, dem auch der enorme Box-Office-Erfolg von „Mission: Impossible" wenig entgegenzusetzen hatte. Weder sein melancholischer Abgesang auf das Gangster-Kino „Carlito's Way" noch sein Vietnam-Drama „Die Verdammten des Krieges" vermochten trotz unzweifelhaft vorhandener künstlerischer Qualitäten den kommerziellen Niedergang des Regisseurs aufzuhalten.

    Fraglos war jedoch ein Meister des Visuellen wie Brian de Palma exakt der richtige Mann, um einen Film wie „Mission: Impossible" in Szene zu setzen. Die Geschichte vom Geheimagenten Ethan Hunt (er ist eine Erfindung von Drehbuchautor David Koepp und hat mit der alten TV-Serie nichts zu tun), dessen Team einschließlich seines Chefs Jim Phelps (Oscar-Gewinner und Angelina-Jolie-Erzeuger Jon Voigt in der Rolle, die einst Peter Graves auf dem Bildschirm verkörperte) bei einem Geheimeinsatz in Prag durch Verrat aufgerieben wird und der anschließend mit neuen Partnern einen aberwitzigen Feldzug gegen die eigenen Auftraggeber bei der CIA vom Zaume brechen muss, um seine eigene Unschuld an dem Massaker zu beweisen, ist kaum mehr als die soundsovielte Variation des insbesondere im Agenten- und Science-Fiction-Genre so häufig bemühten Motivs vom Einzelgänger, der durch Intrigen um den eigenen Leumund gebracht und in die Rolle des Solospielers gezwungen ständig hakenschlagend sich der Attacken der einstmals eigenen Seite erwehren muss. So zu finden in Klassikern wie Sidney Pollacks Die drei Tage des Condor (Robert Redford 1975 in der Rolle von Tom Cruise) über Michael Andersons „Flucht ins 23. Jahrhundert" (1976) und Paul Verhoevens Total Recall (1990) bis zu Tony Scotts „Der Staatsfeind Nr. 1" (1998) und Steven Spielbergs Minority Report (2002), ebenfalls mit Tom Cruise in der Hauptrolle.

    Dabei holpert das Drehbuch, an dem neben David Koepp auch Steven Zaillian und - als Joker - Robert Towne mehr neben- und gegeneinander als miteinander werkelten, über mehr als nur eine Logiklücke und vollführt hinsichtlich des Spannungsaufbaus diverse absonderliche Bocksprünge. So wird der Spannungshöhepunkt bereits zur Mitte des Films während der legendär geworden, spektakulären Einbruchs-Sequenz in das CIA-Hauptquartier in Langley erreicht, eine Szene, die sich bei nüchterner Betrachtung schon damals als völlig unrealistisch darstellte und in der Post-WTC-Ära seit dem 11. September 2001 völlig sinnfrei daherkommt. Die Identität des Bösewichts entpuppt sich für den Zuschauer bereits eine halbe Stunde vor Schluss, und so müssen die enttäuschten Erwartungen des Publikums auf möglicherweise weitere, überraschende Wendungen durch einen völlig überdrehten Action-Showdown, der sämtliche Gesetze der Newton'schen Physik ad absurdum führt und die Grenze vom Thriller zum Comic-Adventure sprengt, kompensiert werden.

    Und „Mission: Impossible" wäre nicht zu dem Klassiker der 90er Jahre geworden, als der er heute dasteht, hätte der Regisseur nicht Brian de Palma geheißen, der 1996 wie in einem letzten Aufbäumen gegen den unaufhaltsamen Absturz seiner Karriere noch einmal alle Facetten seiner visuellen Genialität aufbot. Die Einbruchssequenz, die mit extremen Großaufnahmen und extravaganten Kameraeinstellungen aufwartet und eine filmhistorisch glänzende, nahezu bildgetreuen Adaption aus Jules Dassins „Topkapi" darstellt, ist zwar inhaltlich Nonsens, aber visuell ein Meisterwerk, und zwar allein des Regisseurs.

    De Palma ist ein Filmemacher, der mit der Kamera alles kann und häufig genug alle inszenatorischen Mühen dem Augenblick opfert. Der ewige Hitchcock-Epigone kann wie ein Besessener an der Gestaltung einer einzigen Szene feilen, ein Perfektionismus, der sich prägnant in der spektakulären Explosion eines riesigen Aquariums niederschlägt, bei der der gejagte Tom Cruise seinen Verfolgern erneut ein Schnippchen schlägt, und seinen brillanten Höhepunkt beim scheinbar der Gravitation entrückten Schwebeflug Ethan Hunts beim Einbruch in den CIA-Zentralcomputer findet.

    De Palmas unverwechselbare Handschrift zeigt sich wie schon in „Body Double" und in „Dressed To Kill" im zentralen Moment des Films, der Täuschung. Alles ist Illusion und Maskerade, angefangen von den täuschend echten Gesichtsmasken der Agenten über Brillen, die in Wahrheit Kameras verbergen, bis zu der großen Scharade, die vom geheimnisvollen Verräter hinter den Kulissen für die Augen der Zuschauer und des gehetzten Helden Ethan Hunt inszeniert wird. In der zentralen Szene des Films treffen sich Tom Cruise und Jon Voigt in London und rekapitulieren – aus verschiedenen Perspektiven – die vorangegangenen Ereignisse, wobei der Zuschauer auf geradezu infame Weise hinters Licht geführt wird, werfen doch die von de Palmas Kamera eingefangenen Rückblenden ein völlig anderes Licht auf die wahren Verhältnisse als die gesprochenen Worte der beiden Dialogpartner. Doch welche Version ist die Wahrheit?

    Seiner Vorliebe für die Tiefe des Raums frönt de Palma bereits bei der Inszenierung des Auftakts in der Prager Botschaft, bei der mehrere Bildebenen zeitgleich präsent sind und durch zahlreiche Monitore von Überwachungskameras eine Art inneres Splitscreen entsteht, ein Stilmittel, welches de Palma 1998 bei „Snake Eyes" noch viel exaltierter einsetzte. Die Action-Sequenzen von „Mission: Impossible" sind rasant und explosiv genug inszeniert, um den Film neben den beiden Action-Titanen des Jahrzehnts James Cameron und Paul Verhoeven bestehen zu lassen. Doch es ist Brian de Palmas Verdienst, „Mission: Impossible" trotz allen materiellen Aufwands den Anstrich und die Atmosphäre eines klassischen, geradezu altmodischen Agententhrillers verliehen zu haben und den Film zu keiner Sekunde in die Abgründe jener geistlosen, lähmenden, augen- und ohrenbetäubenden Materialschlachten und Destruktionsorgien abgleiten zu lassen, für die heute Regisseure wie Michael Bay und Produzenten wie Jerry Bruckheimer verantwortlich zeichnen und in deren Fahrwasser leider auch Hongkong-Veteran John Woo 2000 mit der „Mission: Impossible"-Fortsetzung glitt. Und es ist beschämend, wie sehr der Name Brian de Palma, der bereits 1996 als Kassengift galt, beim Kinostart von „Mission: Impossible" vom Verleih unter den Tisch gekehrt und bei der Bewerbung des Films allein sein Hauptdarsteller in den Vordergrund gerückt wurde.

    Darstellerisch wird der Film fraglos von dem 1996 noch sehr jugendlich wirkenden Tom Cruise dominiert, dessen viel zu naiv wirkende, aber nicht unsympathische, bubikopf-grinsende Kindchen-Physiognomie man damals noch als juvenile Inkarnation der Reagan-Ära betrachtete und welche er vier Jahre später in „Mission: Impossible 2" gegen einen schmierigen, affigen Macho-Habitus eintauschte. Altstars wie Vanessa Redgrave und Jon Voigt liefern im Rahmen der ihnen vom Drehbuch gesetzten, begrenzten Möglichkeiten passable Charakterdarstellungen ab. Jean Reno und Ving Rhames empfahlen sich 1996 als Tom-Cruise-Sidekicks für weitere Rollen im Charakter- ebenso wie im Action-Fach, während die Französin Emmanuelle Béart zum darstellerischen Totalausfall geriet.

    Zum unverwechselbaren Erkennungsmerkmal des „Mission: Impossible"-Franchise entwickelte sich die Filmmusik der klassischen TV-Serie, die für den Kinofilm digital aufgepeppt und von U2-Bassist Adam Clayton und U2-Drummer Larry Mullen jr. unverwechselbar interpretiert wurde.

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