Mein Konto
    Booksmart
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Booksmart

    Das „Superbad“ der nächsten Generation

    Von Christoph Petersen

    Die Marketingleute von Annapurna Pictures („Spring Breakers“, „Her“) haben das South By Southwest ganz sicher nicht von ungefähr für die Weltpremiere von „Booksmart“ ausgewählt. Schließlich gilt das Gros der Besucher des seit 1987 in Austin, Texas stattfindenden Musik-und-Medien-Festivals nicht nur als über die Maße begeisterungsfähig, sondern auch als streng progressiv – das perfekte Publikum also für eine Highschool-Komödie, deren Protagonistinnen keine Fotos von Justin Bieber und Harry Styles, sondern von Michelle Obama und Ruth Bader Ginsburg in ihrem Zimmer stehen haben. Und tatsächlich entwickelte sich aus der umjubelten Premiere heraus ein Hype um das Regiedebüt von Schauspielstar Olivia Wilde („Dr. House“, „Tron Legacy“), der schon bald in der gesamten Branche zu einem einzigen unüberhörbaren Begeisterungssturm anschwoll.

    Nun ist das mit solchen Hypes, gerade wenn sie innerhalb einer gewissen Blase entstehen, natürlich immer so eine Sache – und tatsächlich haben sich die Verleihverantwortlichen in den USA von den euphorischen Stimmen dazu verleiten lassen, „Booksmart“ ohne einen eigentlich geplanten, den Buzz weiter anheizenden Plattformstart direkt groß in mehr als 2.000 Kinos zu bringen. In denen ist der Film dann allerdings deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben, was vor allem deshalb so schade ist, weil „Booksmart“ gerade in vollen Sälen, die es bei einem kleineren Start eher gegeben hätte, voll durch die Decke gehen dürfte. Speziell die Hauptdarstellerinnen Kaitlyn Dever und Beanie Feldstein entwickeln als plötzlich feierwütiges Streberdoppel nämlich eine solch ansteckende Energie, dass man sich kaum dagegen wehren kann, von ihnen in diese wahrhaftig verrückte Partynacht hineingesogen zu werden.

    An ihrem letzten Tag an der Highschool wollen es Molly und Amy noch mal richtig krachen lassen.

    Molly (Beanie Feldstein) macht an ihrem letzten Tag in der Highschool eine schreckliche Entdeckung: Weil an ihrer Schule die Regel gilt, dass man nicht über seine College-Zulassung sprechen soll, damit sich die anderen nicht zurückgesetzt fühlen, ist die immer strebsame Stufenbeste bisher einfach davon ausgegangen, dass ihre ständig feiernden Klassenkameraden schon auf irgendwelchen miesen Colleges landen werden. Aber dem ist gar nicht so, eine wegen ihrer (sexuellen) Hilfsbereitschaft für gestrandete Footballspieler Triple A (die US-Version vom ADAC) verspottete Mitschülerin hat es sogar wie Molly bis nach Harvard geschafft. Molly muss einsehen, dass sie all die Jahre womöglich ganz umsonst mit Lernen und Strebsamkeit vergeudet hat. Also beschließt sie, gemeinsam mit ihrer besten Freundin Amy (Kaitlyn Dever) all das Verpasste in ihrer letzten Highschool-Nacht auf einen Schlag nachzuholen ...

    Zwei kommende Stars

    Der Staffelstab wird quasi innerhalb der Familie weitergereicht. Denn während dem inzwischen zweifach oscarnominierten Jonah Hill 2007 mit der generationsdefinierenden Teen-Comedy „Superbad“ der Durchbruch zum Hollywoodstar gelang, spielt nun seine zehn Jahre jüngere Schwester in dem auf Dauer womöglich ähnlich einflussreichen „Booksmart“ die Hauptrolle: Nachdem sie als beste Freundin von Saoirse Ronan in „Lady Bird“ bereits angedeutet hat, wozu sie fähig ist, dominiert Beanie Feldstein den Film mit ihrem Talent für physische Comedy quasi nach Belieben.

    Short Term 12“-Entdeckung Kaitlyn Dever tritt als introvertierte Amy, die in dieser Nacht unbedingt ihre Unschuld verlieren will (und zwar möglichst an die süße Skateboarderin Ryan), zwar nicht ganz so sehr aufs Gas, fügt dem Film aber dafür eine in diesem Genre längst nicht selbstverständliche emotionale Ebene hinzu. Selbst wenn „Booksmart“ längst nicht so krass ist wie andere Partyfilme à la „Project X“ oder auch nur „Der Sex Pakt“, haben wir im Kino lange keine so rauschhafte Nacht mehr miterlebt – und das liegt in erster Linie an der unwiderstehlichen Ausstrahlung der beiden Newcomerinnen.

    Party like it’s 2019!

    Nicht nur stehen die Fotos der ehemaligen First Lady und RBG im Regal, Molly und Amy verwenden für einen Pakt (man darf einmal im Jahr einen Gefallen einfordern, den der andere ohne Nachfragen erfüllen muss) auch den Namen der pakistanischen Kinderrechtsaktivistin Malala (Yousafzai) als Codewort. Auf dieser offen politischen Ebene bleibt es allerdings weitestgehend beim bloßen Namedropping. Viel spannender und ergiebiger ist deshalb auch, wie Regisseurin Wilde und ihre Drehbuchautorinnen (zum Teil selbst Harvard-Absolventinnen) immer wieder mit den Gesetzen des Genres brechen: Wenn Molly zu Beginn einige besonders attraktive Mitschüler zusammenfaltet, deren beleidigenden Kommentare sie zuvor zufällig auf der Toilette mitbekommen hat, dann ist das eine typische Szene – ist ja auch für den Zuschauer ein höchstbefriedigender Moment.

    Aber „Booksmart“ gibt sich damit nicht zufrieden und dreht den Spieß sofort wieder um – so dass auch Molly für ihre selbstgerechte, herablassende Art ihr Fett wegbekommt. Sowieso geht „Booksmart“ häufig diesen einen Schritt weiter, weshalb man sich nie ganz sicher sein kann, was als nächstes passiert – selbst wenn zwischendurch durchaus das ein oder andere Genreklischee geradeheraus erfüllt wird. Das fühlt sich einfach unglaublich erfrischend an – genauso wie der völlig selbstverständliche (und zwar tatsächlich selbstverständliche, nicht betont und ausgestellt selbstverständliche) Umgang mit Amys Homosexualität. Zu jeder Highschool-Komödie gehört nun mal eine Figur, die unbedingt ihre Unschuld verlieren will, was dann wiederrum zwangsläufig in einer peinlich-komischen Katastrophe endet (es sei denn, man heißt Finch und steht auf Stiflers Mum). Aber sich auf seinen Partner erbrechen kann man sich auch beim lesbischen Sex ganz hervorragend.

    Fazit: Der gewaltige Hype ist zumindest zum großen Teil tatsächlich gerechtfertigt – „Booksmart“ hat vor allem dank seiner unglaublichen und unglaublich ansteckenden Energie verdientermaßen alle Chancen, als DIE prägende Highschool-Komödie der Zehnerjahre in die Filmgeschichte einzugehen.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top