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    Der Schnee am Kilimandscharo
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Der Schnee am Kilimandscharo
    Von Jana Valeska Chantelau

    „Das Herz schlägt links" - zumindest laut Sprichwort. In den politischen Erklärungsversuchen und Lösungsvorsätzen zur Finanz- und Wirtschaftskrise allerdings verschwimmen die politischen Lager heute zunehmend. Was bedeutet es da eigentlich, links zu sein? Mit „Der Schnee am Kilimandscharo" fordert Regisseur und Co-Autor Robert Guédiguian den Glauben an klassische soziale Utopien zurück. Bei wenigen Filmemachern sind politisches Engagement und künstlerische Tätigkeit so eng verbunden wie bei Guédiguian, der als Sohn eines Hafenarbeiters im linken Milieu der Hafenstadt Marseille aufwuchs, sich später auch parteipolitisch betätigte und sich schließlich aus Enttäuschung über die Politik aufs Filmemachen konzentrierte. Sein soziales Engagement setzte er in seinen Werken fort. Das versöhnliche Sozialdrama „Der Schnee am Kilimandscharo" zeigt den neuen linken Traum nun als einen der Nächstenliebe, weit jenseits alter Klassen- oder Straßenkampf-Ideologie. So schön sich das liest und so zweifelsfrei der Film seine Qualitäten hat, seine sozialromantische Note klingt dann doch allzu verklärend nach.

    Marseille, Frankreich: Der alte Hafenarbeiter Michel (Jean-Pierre Darroussin) muss eine Entlassungsliste verlesen - aus Solidarität kündigt er sich selbst dabei gleich mit. Ein glückliches Leben führt er dennoch: Auch nach 30 Ehejahren stehen die überzeugten Linken und ehemaligen Gewerkschaftskämpfer Michel und Marie-Claire (Ariane Ascaride) Seite an Seite. Doch dann fallen sie dem Raubüberfall zweier maskierter Männer zum Opfer, bei dem sie ihr gesammeltes Vermögen verlieren und damit auch ein lange gehegtes Reisevorhaben gen Kilimandscharo aufgeben müssen. Noch wütender ist Michel, als er herausfindet, dass einer seiner ehemaligen Kollegen hinter dem Raub steckt - eine Anzeige später wandert der Räuber in den Knast. Als die Eheleute zu verstehen beginnen, dass der arbeitslose Christophe (Grégoire Leprince-Ringuet) eigentlich ein Verzweiflungstäter ist, fassen sie jedoch einen erstaunlichen Entschluss: Bis Christophe aus dem Gefängnis freikommt, nehmen sie seine Teenie-Brüder Jules (Yann Loubatière) und Martin (Jean-Baptiste Fonck) bei sich auf...

    Guédiguian beginnt seinen Film als Sozialdrama, wechselt dann ins Melodram und beendet ihn als Märchen. Diese Genre-Brüche spiegeln auf faszinierende Weise die Überzeugungen des deutsch-armenisch-stämmigen Autorenfilmers wider, der sich nie mit der tristen Ungerechtigkeit der Zustände abfand und schon früheren Filmen wie „Marius und Jeannette" geradezu trotzig eine märchenhafte Hoffnung einschrieb. Für die Kontinuität in Guédiguians Werk steht auch seine Hauptdarstellerin und Ehefrau Ariane Ascaride („Die Perlenstickerinnen"), die damals wie heute die nicht unterzukriegende Kämpferin mit großem Herzen verkörpert. Beeindruckend ist in „Schnee am Kilimandscharo" aber vor allem Ascarides Leinwandpartner Jean-Pierre Darroussin („Le Havre"). Behutsam fangen Guédiguian und sein Kameramann Pierre Milon die wortlosen Glücksmomente im ausdrucksstarken Antlitz ihres Protagonisten ein. Neben Darroussin, dessen Michel auch durch viele kleine Details in Ausstattung und Bildgestaltung zu einer tiefschichtigen Figur ausgestaltet wird, überzeugen vor allem die jugendlichen Schauspieler Yann Loubatière und Jean-Baptiste Fonck mit ihrer ungekünstelten und selbstbewussten Spielweise. Im Zusammenspiel dieser drei Figuren erreicht der Film eine Wahrhaftigkeit und Natürlichkeit, die Guédiguians im Lauf des Films zunehmend forciert wirkende sozialromantische Emphase zumindest zum Teil aufwiegt.

    Vor allem das letzte Drittel des Films spielt sich dann in einer wirklichkeitsfernen Traumwelt ab, ohne dass jedoch die phantastische Atmosphäre entfaltet würde, die französische Kino-Erfolge wie beispielsweise „Die fabelhafte Welt der Amelie" auszeichnen. Guédiguian vollzieht den Sprung vom Sozialdrama zum Märchen zwar durchaus konsequent, er kann sich von der schwer lastenden Realität seiner Ausgangssituation allerdings nicht lösen – seiner Flucht in eine bessere Welt fehlt mithin die Überzeugungsmacht. So ist seine unbeirrbar optimistische Grundhaltung letztlich ebenso bewundernswert wie irritierend. Allzu oft verfehlt der Regisseur den richtigen Ton, das gilt ironischerweise auch für den Musikeinsatz. Immer wieder und an den unpassendsten Stellen wird der Jimmy-Cliff-Hit „Many Rivers to Cross" in der Joe-Cocker-Interpretation eingespielt – so ausdauernd, dass er schließlich weit mehr Raum einnimmt als Pascal Danes titelgebendes Chanson „Les Neiges du Kilimandjaro". Das führt dann dazu, dass die Musik zuweilen eher von der Handlung ablenkt, statt sie zu unterstreichen.

    Fazit: Mit „Der Schnee am Kilimandscharo" inszeniert Robert Guédiguian eine Wirklichkeitsflucht zum Wohlfühlen in schönen Marseille-Bildern. Wer hier eine handfeste Auseinandersetzung mit sozialen Problemen und Konflikten erwartet, wird trotz interessanter Prämisse und ausdruckstarker Darsteller enttäuscht.

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