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    Am Strand
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Am Strand
    Von Thomas Vorwerk

    Der englische Schriftsteller Ian McEwan, der im Jahr 2018 seinen 70. Geburtstag feiert, hat seit den 1980ern etwa alle zwei, drei Jahre einen Roman veröffentlicht, und zwar mit zunehmendem literarischen Renommee und Erfolg. Knapp die Hälfte der 15 Romane wurde bisher verfilmt, unter anderem von prominenten Regisseuren wie John Schlesinger („…und der Himmel steht still“), Paul Schrader („Der Trost von Fremden“) oder Roger Michell („Enduring Love“). McEwans bekanntestes Buch dürfte dabei „Abbitte“ sein - nicht zuletzt wegen der gleichnamigen Verfilmung von Joe Wright. Darin spielte die damals 13-jährige Saoirse Ronan 2007 eine ihrer frühesten Rollen - und erhielt dafür sogleich die erste von mittlerweile drei Oscarnominierungen (die weiteren folgten für „Brooklyn“ und „Lady Bird“).

    In den zehn Jahren nach „Abbitte“ wurde zwar kein McEwan-Buch verfilmt, aber dafür folgten 2017 gleich drei Adaptionen seiner Werke auf einmal: Neben dem TV-Film „The Child In Time“ mit Benedict Cumberbatch entstanden auch zwei Kinoproduktionen, zu denen McEwan auch jeweils selbst die Drehbücher beisteuerte: Der deutsche Kinostart von „Kindeswohl“ ist für den 30. August 2018 angekündigt, aber zuerst kommt nun „Am Strand“ in die hiesigen Lichtspielhäuser. Die Regie bei dem historischen Ehedrama führt der Theaterexperte und Filmdebütant Dominic Cooke - und in einer der Hauptrollen ist auch Saoirse Ronan wieder mit dabei. Allerdings erweist sich die Übertragung des Werkes auf die Leinwand als problematisch – wie wohl jeder Leser, der den stark auf gedankliche Vorgänge aufbauenden Roman kennt, bereits geahnt haben mag.

    Florence (Saoirse Ronan) und Edward (Billy Hoyle) sind ein junges, sexuell unerfahrenes Ehepaar, dem eine von Missverständnissen geprägte Hochzeitsnacht bevorsteht. Denn im zugeknöpften Nachkriegs-England des Jahres 1962 kann man sich vorab allenfalls über ein blumig euphemistisches „Ehehandbuch“ vage informieren. Und während Florence schon stürmische Zungenküsse als widerlich empfindet, kann Edward kaum abwarten, dass es „zur Sache“ geht. Zugleich befürchtet er aber, es irgendwie zu „vermasseln“…

    In Flashbacks erfährt man mehr über die Hintergründe des Paares und die mitgeführten „Altlasten“. Edward entstammt der Arbeiterklasse und interessiert sich für Geschichte und Rockmusik, Florences Vater (Simon West) ist ein Fabrikbesetzer, sie träumt von einer Karriere als Violinistin, am liebsten mit ihrem eigenen Quartett. Trotz der eher wenigen Gemeinsamkeiten unternehmen die beiden viele romantische Spaziergänge, die im deutlichen Kontrast zur angespannten Stimmung im Hotel der Hochzeitsreise stehen.

    Während McEwan sich in seinem Kurzroman in einer für ihn typischen Subtilität übt, benutzen er und seine Mitstreiter für die Verfilmung einen deutlich breiteren Pinsel. So spielen im Buch die Frischverheirateten (jeder für sich) mit dem Gedanken, dass man hinter ihrem Rücken über sie lachen könnte. Im Film wird diese Idee weniger subtil in Szene gesetzt: Als die Kellner im Flur versehentlich eine Weinflasche umkippen, füllen sie sie einfach mit Wasser wieder auf. Und während sie sich gerade noch beherrschen können, wenn Edwards Qualitätskontrolle des Weins regelrecht schwärmerisch ausfällt, zeigen sie anschließend wenig Feingefühl und brechen prustend in Gelächter aus, sobald sie das Zimmer verlassen haben.

    Auf ähnliche Art wird eine im Roman vage angedeutete Verstimmung zwischen Florence und ihrem Vater durch eine zusätzliche Szene (nach dem Tennisspiel) und fast traumatisch eingesetzte kurze Flashbacks überbetont, und die im Buch kurz überflogene „Nachgeschichte“ im Anschluss an die Hochzeitsnacht wird hier weiter ausgeführt und melodramatisch aufgebauscht – fast so wie in dem Musical-Klassiker „Die Regenschirme von Cherbourg“, freilich ohne je die emotionale Kraft des Jacques-Demy-Meisterwerks zu erreichen.

    Die gelungenste Ergänzung zum Buch besteht in der Szene, in der Florence ihrer Schwiegermutter-in-spe und Edwards Zwillingsschwestern erstmals begegnet und sich dieses Frauenquartett bei einer künstlerisch-therapeutischen Betätigung erstaunlich gut harmoniert. Dies ist der emotional wohl stimmigste Moment des Films, der zwar wie das neue Ende über die Buchvorlage weit hinausgeht, aber dabei wirklich berührt und Hoffnung versprüht, statt nur filmische Gemeinplätze zu bedienen.

    Auch wie McEwan mit dem Medium Film spielt und seine Flashbacks jeweils visuell an das Gegenwartsgeschehen anbindet, ist durchaus reizvoll, wenn etwa eine Erinnerung bei Florence beginnt und dann wieder über Edward zurück ins Hotelzimmer führt. Dafür wird der im Buch so wichtige politische Hintergrund in der Adaption nur vage angerissen und die zentrale sexuelle Komponente wirkt im Film etwas verhuscht.

    Als Verfilmung des Buches ist „Am Strand“ also nicht ganz auf der Höhe und leider entwickelt der Film auch kaum eigenständige Relevanz, sodass Nicht-Leser des Romans sich stellenweise durchaus nach dem Sinn des Ganzen fragen könnten. Es sind letztlich vor allem die Schauspieler, die der Adaption Profil verleihen. Während der Flashback-Kurzauftritt von Emma Watson als Florences Mutter eher enttäuschend ausfällt, zeigen Ronan und Howle in den Hauptrollen bemerkenswerte Leistungen. Dennoch hat der fast zweistündige Film deutliche Längen, vor allem weil die kammerspielartige Haupthandlung im Hotelzimmer gegenüber den zahlreichen erzählerischen Rückblenden-Eskapaden, die trotz des quantitativen Übergewichts fast durchgehend episodisch bleiben, ins Hintertreffen gerät.

    Fazit: Die Ian-McEwan-Verfilmung „Am Strand“ wird der Vorlage nur punktuell gerecht und entwickelt auch sonst kaum ein eigenes Profil. Einzig die Hauptdarsteller glänzen.

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