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    Project X
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Project X
    Von Carsten Baumgardt

    Im Januar 2008 bekam der 16-jährige Teenager Corey Delaney seine 15 Minuten Ruhm. Der junge Australier stieg über Samstagnacht zum YouTube-Star auf. Was war passiert? Delaney hatte über das Wochenende zuhause sturmfreie Bude und beschloss eine Party zu schmeißen – allerdings artete das Happening in einem Vorort von Melbourne zu einem wilden Inferno mit 500 Feierwütigen, Randalen auf den Straßen und einem Polizei-Hubschrauber über dem Haus aus. Gastgeber Delaney wurde verhaftet, doch im Gespräch mit dem australischen Fernsehen (hier ansehen) trotzte er der penetranten Interviewerin und ließ sich als Held feiern. Lose auf diesen Vorfall bezieht sich Nima Nourizadeh in seiner zügellos-lustigen Party-Komödie „Project X". Auch hier läuft eine feierliche Teenager-Zusammenkunft epochal aus dem Ruder und die Hölle bricht über das Vorort-Leben in North Los Angeles herein. Nourizadeh lässt sich von den Klassikern des Genres inspirieren und schafft dennoch etwas völlig Eigenes – den ultimativen Party-Film der YouTube-Generation.

    Die drei Außenseiter Thomas (Thomas Mann), Costa (Oliver Cooper) und JB (Jonathan Daniel Brown) kämpfen an ihrer Highschool in Pasadena, einer Vorstadt von Los Angeles, vergeblich um Anerkennung und Aufmerksamkeit. Thomas ist ein Nerd, Costa ein Großmaul und JB ein Dickerchen. Ihr Freundeskreis ist überschaubar und besteht vornehmend aus gleichgestrickten Sonderlingen. Zu seinem 17. Geburtstag plant Thomas, eine Party zu veranstalten, seine Eltern (Peter MacKenzie, Caitlin Dulany) sind verreist. Costa will die Sause in epische Dimensionen steuern und so laden die drei nahezu ihre gesamte Highschool ein. Die Resonanz übertrifft bald die kühnsten Erwartungen. Nicht nur, dass mit Kirby (Kirby Bliss Blanton) Thomas‘ bester weiblicher Freund auftaucht, auch Alexis (Alexis Knapp), das beliebteste Mädchen der Schule, will mitfeiern und hat reichlich Verstärkung mitgebracht. Das ist aber nur der Anfang. Die Nachricht von der ultimativen Party macht schnell die Runde, Filmstudent Dax (Dax Flame) dokumentiert alles mit seiner Videokamera für die Nachwelt. Als sich schnell einige hundert Menschen einfinden, ruft das die Nachbarn auf den Plan. Die Party droht im Chaos zu versinken...

    Jede Generation hat ihre eigenen Filme und ihre eigene Jugendkultur. Nach „Eis am Stiel" sorgte Anfang der Achtziger „Porky's" für fäkale Furore, ehe John Hughes („The Breakfast Club", „Ferris macht blau") dem Jahrzehnt mit seinem melancholischen Jugend-Komödien den Stempel aufdrückte und ab Ende der Neunziger setzte „American Pie" die freizügigen Standards. Für die Generation Youtube/Facebook/Twitter hat Musikvideo- und Werberegisseur Nima Nourizadeh in seinem Spielfilmdebüt die nie alternden Teenager-Themen nun einem frech-frivolen Update unterzogen. Er verpasst seinem Film einen zeitgemäßen Found-Footage-Look, indem wir das Geschehen fast ausschließlich durch die Linse von Daxs Videokamera sehen. So bekommt „Projekt X" eine besondere Intensität und Unmittelbarkeit, der Zuschauer wird förmlich in den Partytrubel gesogen – zumal Dax kein Stümper ist, der nur verwackelte Bilder liefert. Dazu kann Nourizadeh auf die Unterstützung eines echten Spezialisten bauen, denn „Project X" wird von Todd Phillips („Old School", „Stichtag") produziert, der mit „Hangover" nichts weniger als den besten Party-Film der 2000er Jahre inszeniert hat.

    Der dramaturgische Aufbau von „Project X" ist durchaus konventionell. Nach einer kurzen und knappen Einführung der drei mehr oder weniger sympathischen Hauptfiguren geht es fix hinein ins feucht-fröhliche Geschehen. Zu Beginn schweift Nourizadeh noch gelegentlich ab, etwa wenn das Trio bei Dealer T-Rick (Rick Shapiro) eine Ladung Marihuana kaufen will, was in einem Eklat endet, bei dem ein Gartenzwerg eine zentrale Rolle spielt. Doch das ist nur Vorgeplänkel. Es bleibt auch nicht der einzige Zwerg, der in den Vordergrund drängt. Schließlich mischt ein kleinwüchsiger Partygast (Martin Klebba) die Feier in einer der lustigsten und irrwitzigsten Szenen schmerzhaft auf - ein Backofen wird dabei zur Stillen Treppe. An dieser Stelle ist die Partywalze schon so richtig ins Rollen gekommen. Nach wohltemperiertem Auftakt entwickelt der Film nun die ungeheure Wucht einer unausweichlichen, komischen und zugleich katastrophalen Kettenreaktion.

    Immer wenn man denkt, es könnte nicht schlimmer kommen, legt Regisseur Nourizadeh noch kräftig nach und versetzt die Vorstadt North Pasadena in einen bürgerkriegsähnlichen Ausnahmezustand. Der Filmemacher nimmt sich einen überdimensionierten Teenagertraum, spielt ihn mit voller Kraft aus und sattelt noch eine gehörige Portion Wahnsinn obendrauf. Die orgiastischen Exzesse und der Nachbarschaftskonflikt werden zynisch überspitzt, aber zusätzlich verleiht Nourizadeh dem turbulenten Treiben auch eine liebevoll-ironische Ebene. Denn trotz aller politischen Unkorrektheit, trotz der Zoten, des Suffs, der Drogen und der nachbarlichen Gewalt geht es im tiefsten Kern des Films um die Nöte, Sehnsüchte und Träume des amerikanischen Vorstadt-Teenagers. Das mag zwar weniger subtil erzählt sein als bei John Hughes, dem Meister dieser Disziplin, aber als Thomas durch seine legendäre Party zum Star des Abends aufsteigt und er bei den Mädchen leichtes Spiel hätte, hält er sich mit einer Mischung aus Unsicherheit und Prinzipientreue zurück. Mit solchen ernsthaften Schlenkern bewahrt Nourizadeh sein „Projekt X" vor anarchischer Beliebigkeit, an entscheidender Stelle wird damit gerade nicht die bedingungslose Zügellosigkeit gefeiert.

    Fazit: Frech, zynisch, ironisch und absolut wild - „Project X" ist eine urkomische Party-Apokalypse, ein entfesselt-ordinärer Schenkelklopfer für die YouTube-Generation.

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