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    Pina - tanzt, tanzt sonst sind wir verloren
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Pina - tanzt, tanzt sonst sind wir verloren
    Von Christoph Petersen

    Es muss zugleich eine große Last, aber auch ein gewaltiger Ansporn gewesen sein. Schon seit ihrem ersten Aufeinandertreffen 1985 nach einer Aufführung des Stücks „Café Müller" in Venedig planten der Regisseur Wim Wenders („Der Himmel über Berlin") und die Choreographin Pina Bausch, gemeinsam einen Film zu drehen. In den folgenden Jahren kamen sie immer wieder auf die Idee zurück, doch Wim Wenders fand einfach nicht die passende filmische Form für das Projekt. Erst als er in Cannes den Konzertfilm „U2 3D" sah, war er sich plötzlich sicher, den Choreographien seiner Künstlerkollegin auch auf der flachen Leinwand den nötigen Raum eröffnen zu können. Aber dann starb Pina Bausch völlig unerwartet am 30. Juni 2009, nur zwei Tage bevor Wim Wenders erste Testaufnahmen machen wollte, um ihr so die Möglichkeiten der neuen Technik vorzuführen. Das Projekt wurde wieder auf Eis gelegt, bis der Regisseur die Entscheidung fällte, statt eines Films mit Pina Bausch über Pina Bausch nun einen Film für Pina Bausch zu drehen. Sein 3D-Tanzfilm „Pina – tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren" ist ein schmerzhaft-liebevoller Nachruf auf eine begnadete Künstlerin und gute Freundin, über den Pina Bausch bestimmt sehr glücklich gewesen wäre.

    Es gibt längere Ausschnitte aus vier der bekanntesten Stücke der Künstlerin, aufgeführt vom Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, gefilmt im Opernhaus der Stadt. Bei „Le Sacre Du Printemps" (Uraufführung: 1975) ist die ganze Bühne mit einer knöcheltiefen Schicht aus nasser Erde bedeckt, wodurch alle Spuren der Tänzer sichtbar bleiben und leichtfüßige Bewegungen praktisch unmöglich sind. „Café Müller" (1978) ist dagegen ein minimalistisches Stück, in dem sechs Tänzer auf der Bühne mit nichts als Dutzenden von Stühlen und Tischen um sich herum auftreten. „Kontakthof" hat Pina Bausch gleich dreimal zur Aufführung gebracht: 1978 mit ihrer eigenen Kompanie, 2000 mit Senioren über 65 und 2008 mit Jugendlichen zwischen 14 und 18. Wim Wenders schneidet Aufnahmen mit allen drei Ensembles ineinander, wodurch eine ganz eigene Prägnanz des Alterns entsteht. In „Vollmond" (2006) dominiert schließlich ein gewaltiger Felsen die Bühne, der den Tänzern immer wieder das Fortkommen erschwert. Sie müssen über ihn hinüberklettern oder später, wenn der Regen einsetzt und die Bühne zunehmend in ein Wasserbassin verwandelt, unter ihm hindurchtauchen.

    All das ist in einem 3D gedreht, das beim Publikum trotz der vielen schnellen Bewegungen ausnahmsweise mal keine Kopfschmerzen verursacht. Sicherlich bleibt James Camerons „Avatar - Aufbruch nach Pandora" mit seinen prächtig-bunten Bilderwelten weiterhin der Vorreiter der 3D-Technik schlechthin, aber was den 3D-Realfilm - also ohne Spezialeffekte und Computeranimationen – angeht, kann Wim Wenders locker mit Hollywood mithalten – zumindest waren bei „Avatar" die Soldaten im Hintergrund viel verwaschener als nun die Tänzer bei „Pina". Aber das ist nur die technische Seite der Inszenierung, die durch den sehr persönlichen Zugang des Regisseurs erst ihre volle Wirkung entfaltet. Wenders war nach eigener Aussage bei der Aufführung von „Café Müller" vor 26 Jahren so ergriffen, dass er zu weinen anfing. Er ist ein echter Fan, den Pina Bauschs Choreographien fest im emotionalen Würgegriff halten. Und wohl auch deshalb gelingt es ihm, die Bühnenstücke so kongenial auf die Leinwand zu übersetzen, dass diese kaum etwas von ihrer gewaltigen Kraft einbüßen. Ob das mitreißende Pathos in „Le Sacre Du Printemps" oder der fürchterlich-wilde Sturm in „Vollmond", oft reiht sich ein Gänsehautmoment direkt an den nächsten.

    Zusätzlich zu den Ausschnitten aus den Stücken geht Wim Wenders mit einzelnen Ensemblemitgliedern hinaus in die Stadt und lässt sie in der Schwebebahn, vor stillgelegten Industrieanlagen oder in einem Steinbruch tanzen. So setzt er nicht nur Pina Bausch, sondern auch ihrer beruflichen Heimat Wuppertal, in die sie 1973 als Choreographin kam, ein filmisches Denkmal. In der zweiten Hälfte seines Films übertreibt Wim Wenders es damit allerdings ein wenig. Die nun kürzeren Auszüge aus den Biographien folgen einander in immer schnellerem Wechsel und so fällt es zunehmend schwer, sich weiterhin jedes Mal aufs Neue in dem Tanz zu verlieren. Aber immer wenn man denkt, Wim Wenders könnte die Luft ausgehen, zieht er doch noch ein Ass aus dem Ärmel. Zum Beispiel ein liebendes Nilpferd, womit „Pina" nach „Schlafkrankheit" nun schon der zweite Beitrag des Berlinale-Wettbewerbs 2011 ist, der sich dieser dickhäutigen Spezies als Überraschungselement bedient.

    Fazit: Ein Kinofilm wird sicherlich nie ganz an die einzigartige Atmosphäre einer Liveaufführung heranreichen können. Aber Wim Wenders kommt diesem unerreichbaren Ziel mit seinem technisch wie tänzerisch begeisternden 3D-Dokumentarfilm „Pina – tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren" dennoch bedeutend näher, als man vorab zu hoffen gewagt hätte.

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