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    Haus der Sünde
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Haus der Sünde
    Von Tim Slagman

    Wer als Künstler ein bestimmtes Thema aufgreift, von dem wird gemeinhin erwartet, dass er sich zu diesem in irgendeiner Weise positioniert. Wobei natürlich auch die bewusst gesetzte Ambivalenz, die Offenheit, die weise oder trotzige Enthaltung einen Standpunkt beschreibt. Doch auch die Neutralität, die angeblich pure Beschreibung oder nüchterne Darstellung sollte als politische oder ästhetische Entscheidung begreiflich werden. Mit „Das bessere Leben" hat Malgorzata Szumowska erst kürzlich einen sehr stimmigen, fein beobachteten Film über moderne Prostitution gemacht, der mehr Fragen aufwirft als er beantwortet. Bertrand Bonello („Der Pornograph") hingegen gelingt dies mit seinem Sittendrama „Haus der Sünde" nicht. Er hat stattdessen ein filmisches Mosaik geschaffen, in dem die Steinchen kein Gesamtbild ergeben – trotz eindrucksvoller Ausstattung und Schauspielleistungen.

    Die Tage des Pariser Edelbordells „L'Apollonide" scheinen mit Anbruch des 20. Jahrhunderts gezählt. Der Hauseigentümer verlangt von Puffmutter Marie-France (Noémie Lvovsky) eine saftig erhöhte Miete, die kaum aufgebracht werden kann. Die Mädchen hängen unterdessen ihren eigenen Sorgen, Wünschen und Träumen nach. Da ist Madeleine (Alice Barnole), der einer ihrer Stamm-Freier das Gesicht grausam entstellt. Oder Julie (Jasmine Trinca), die aus der Provinz nach Paris gekommen ist, ein 16-jähriges Mädchen, das von sich sagt, es möchte frei werden durch ihre Arbeit im „L'Apollonide". Dafür hat Marie-France nur ein hämisches Lachen übrig. Denn all die Damen, die bei ihr arbeiten, ob Samira (Hafsia Herzi), Clotilde (Céline Sallette) oder Léa (Adèle Haenel), haben eines gemeinsam: Sie werden ihre Schulden, die sie durch Parfüm, Kost, Logis und ärztliche Untersuchungen bei ihr anhäufen, nie abstottern können. Es sei denn, einer der wohlhabenden Stammgäste, die bisweilen auch etwas seltsame sexuelle Spielarten bevorzugen, kauft sie frei...

    Prostitution in der Dekadenz des Fin de siècle, ein untergehender Puff am Ende einer Ära, ein Totentanz im Totentanz, ein sinnliches Fest von Begierde, Ekstase, Orgasmen; der Kater danach, das tiefe Elend von finanzieller Abhängigkeit, Krankheit und Verfall – was für ein Film hätte das werden können! Von all dem erzählt Regisseur Bonello tatsächlich. Ein bisschen jedenfalls, irgendwie. Hemmungslos ist bei ihm jedoch allenfalls das opulente Dekor von Alain Guffroy und Anaïs Romand hat dazu die passenden Kleider geschneidert mit all ihren Verzierungen, Rüschen, mit weit ausladenden farbigen Kurven und dezenten Korsetten, mit Spitze und Seide. Die Sinnlichkeit hat Bonello auf die Welt der Objekte projiziert – so wie die Damen beim Verkehr mit ihren Freiern, meist einer niederschmetternd lustlosen Angelegenheit, zu Objekten werden: Léa verwandelt sich sogar für einen ihrer Kunden zur Puppe mit maskenhafter Schminke und eckigen, roboterhaften Bewegungen.

    Und Julie sitzt einmal für einen reichen Gecken in der Badewanne, die dieser mit dem Inhalt von Dutzenden Flaschen Champagner befüllt. Für Julie ist das vor allem eines: kalt. Nicht prickelnd. Diese Szene entlarvt zwar sehr schön die erbärmliche Sinnlosigkeit der Verschwendung und den grauen Alltag, den der Exzess des Freiers für die Prostituierte bedeutet. Aber sie steht auch exemplarisch für den Mittelweg, den Bonello für seinen Film gewählt hat. Niemals will er verführen, nur selten kann er schockieren. Er richtet seinen Blick mal hierhin und mal dorthin, mal auf die Solidarität unter den Frauen, dann auf die Ausbeutung durch Marie-France, und dann wieder auf deren mütterliche Fürsorglichkeit. Über weite Strecken erzählt er naturalistisch, dann wieder genehmigt er sich seltsame symbolisch-surreale Einsprengsel wie die Tränen aus Sperma, die Madeleine leitmotivisch durch die Geschichte begleiten.

    So ist „Haus der Sünde" letztlich, trotz der starken Leistungen von Kinodebütantin Alice Barnole als Madeleine und Noémie Lvovsky („Leb wohl, meine Königin!") als Marie-France, keine kalte, schon gar keine prickelnde, sondern eine eher lauwarme Angelegenheit. Im Original heißt der Film wie das Bordell „L'Apollonide", das verweist eigentlich auf jenes – apollinische – Prinzip, das dem rauschhaft-dionysischen gerade entgegengestellt sein soll. Aus diesem dialektischen Gegensatz von Moral und ekstatischer Übertretung macht Bonello: nichts. Sein Film ist ein unentschlossener, grauer Mix, dem man ansieht, dass hier gerade nicht Schwarz und Weiß zusammengemischt wurden, sondern bestenfalls hellgrau und dunkelgrau.

    Fazit: Mit viel Liebe zum Detail hat Bertrand Bonello seinen Film über ein Edelbordell an der Schwelle zum 20. Jahrhundert gestaltet. Doch der Versuch, das Phänomen der Prostitution aus möglichst vielen Blickwinkeln zu beleuchten, sorgt nicht für produktive Widersprüche von Freiheit und Sinnlichkeit auf der einen sowie Ausbeutung und Verelendung auf der anderen Seite – sondern vor allem für Beliebigkeit.

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