Die Filmstarts-Kritik zu Atmen

Seit „Die Fälscher" mit Karl Markovics in der Hauptrolle bei der Oscar-Verleihung 2008 als Bester nicht-englischsprachiger Film ausgezeichnet wurde, ist der österreichische Schauspieler auch in Hollywood kein Unbekannter mehr. In „Unknown Identity" spielte er an der Seite von Liam Neeson und für die TV-Produktion „Franz Fuchs - ein Patriot" erhielt er eine Emmy-Nominierung als Bester Hauptdarsteller. Da ist es wenig verwunderlich, dass ausgerechnet sein Regiedebüt „Atmen" als österreichischer Beitrag ins Rennen um den diesjährigen Auslandsoscar geschickt wurde. Doch auch ohne Markovics' Bekanntheits-Bonus wäre „Atmen" eine gute Wahl gewesen, denn das Drama über einen Jungen, der erst durch die Beschäftigung mit dem Tod zurück ins Leben findet, ist extrem stimmig erzählt und auf ruhige Art ergreifend.

Der 19-jährige Roman Kogler (Thomas Schubert) steht kurz vor einer möglichen Haftentlassung aus der Jugendstrafanstalt, doch er hat schlechte Karten: Er ist ein verschlossener Einzelgänger, der völlig teilnahmslos die täglichen demütigenden Routinen des Wachpersonals über sich ergehen lässt und kein Interesse an einer Resozialisierung zeigt. Ausgerechnet als er einen Freigängerjob bei einem Bestattungsunternehmen annimmt, findet er langsam Anschluss und legt seine Passivität allmählich ab. Er tratscht mit Kollegen, flirtet mit einem Mädchen und zeigt Mitleid für eine junge Frau, die ihren sterbenden Freund nicht für tot erklären will. Nachdem er irrtümlicherweise in einer Toten seine Mutter wiederzuerkennen glaubt, macht er sich auf die Suche nach jener Frau, die ihn als Kleinkind weggegeben hat – im Gepäck eine einzige Frage: Warum?

Am Anfang stand der Tod: Ursprünglich wollte Karl Markovics einen Film über den Alltag von Bestattern machen. Dieser Dienstleistungssektor ist längst kein erzählerisches Tabu mehr, wie der Erfolg der US-Serie „Six Feet Under" und der Oscar-Gewinn für den japanischen Film „Nokan - Die Kunst des Ausklangs" gezeigt haben. Und auch wenn in „Atmen" der jugendliche Straftäter Roman im Zentrum steht, ist dem Film Markovics' Faszination für das Bestattungsgewerbe immer noch anzumerken. Dabei behandelt er dieses todernste Thema mit überraschender Leichtigkeit, aber immer auch mit Respekt. Die Szenen, in denen Roman mit seinen Kollegen unterwegs ist, um Tote abzuholen, sind oft sehr amüsant – etwa wenn ein Bestatter den erstarrten Roman im unvergleichlichen Wiener Dialekt auffordert, den Toten auf die Bahre zu legen. Wenn aber wiederum der sonst rüpelige Kollege vor Romans Augen eine verstorbene Frau behutsam wäscht und anzieht, ist das auf eine seltsame Art tief berührend.

Karl Markovics' Inszenierung ist dem Gegenstand entsprechend ruhig und fließend. Zugleich überlässt der Regisseur nichts dem Zufall, jede Einstellung ist bis ins kleinste Detail durchkomponiert und viele Bilder sind mit Metaphern aufgeladen. So läuft der teilnahmslose Roman jeden Morgen an einem Werkeplakat mit der Aufschrift „Tauchen Sie ein ins Abenteuer" vorbei oder er ermöglicht einem Vogel, der sich in die Hallen der Wiener Bestattung verirrt hat, den Flug in die Freiheit. Hier gilt die alte Weisheit „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte" und Markovics erzählt ganz ohne Worte von Romans Nöten und Sehnsüchten.

Der junge Schauspieldebütant Thomas Schubert in der Hauptrolle wird extrem gefordert, er ist in jeder Szene zu sehen und letztlich steht und fällt der Film mit ihm. Und der erst 18-jährige Schubert ist der Aufgabe mehr als gewachsen: Mit Bravour meistert er sowohl Romans Teilnahmslosigkeit in der ersten Filmhälfte, als auch die hochemotionalen Momente gegen Ende. Er vermittelt jede Gefühlslage gleichermaßen glaubhaft und die zögerliche Wandlung von Passivität zu leichter Hoffnung, die niemals zu echter Entschlossenheit wird, lässt sich in allen ihren Nuancen an seinem Gesicht ablesen. Romans Resozialisierung ist keineswegs ein Akt der Bekehrung oder Erleuchtung, die Entwicklung verläuft vielmehr ganz leise und nüchtern. Sie zeigt sich in behutsam inszenierten Kleinigkeiten, etwa wenn Roman bei seiner täglichen Fahrt in der Schnellbahn zum ersten Mal aufblickt und die Leute um sich wahrzunehmen beginnt.

Fazit: Der österreichische Schauspieler Karl Markovics erzählt in seinem Regiedebüt feinfühlig vom Weg eines Jugendhäftlings zurück ins Leben. „Atmen" besticht durch eine bedachte Inszenierung, einen beeindruckenden jungen Hauptdarsteller und eine wohldosierte Prise Humor.