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    Türkisch für Anfänger
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Türkisch für Anfänger
    Von Björn Becher

    Während Adaptionen erfolgreicher TV-Serien in den USA immer wieder die Kinos erobern („Die Simpsons", „Sex and the City" oder „Mission: Impossible"), erscheint allein die Vorstellung einer deutschen TV-Serie auf der großen Kinoleinwand in den meisten Fällen mehr als abwegig. Und man muss auch tief in seinem Gedächtnis kramen, um sich mit dem Action-Desaster „Der Clown" überhaupt an einen solchen Versuch zu erinnern. „Türkisch für Anfänger"-Erfinder Bora Dagtekin wagt es dennoch und bringt seine preisgekrönte Erfolgsserie in die Kinos. Der Regiedebütant orientiert sich dabei spürbar an amerikanischen Vorbildern: Größer, aufwändiger und exotischer muss es zugehen, wenn eine Serie ins Kino kommt. Also wurde nicht im Berliner Studio mit kleiner (TV-)Crew, sondern mit internationalem Team im fernen Thailand gedreht. Und damit auch das serienunkundige Publikum voraussetzungslosen Spaß haben kann, wird die Handlung der drei Staffeln komplett ignoriert und die Figurenkonstellation gleichsam auf null gesetzt. Dabei schafft es Dagtekin aber, den Charme und den bitterbösen Humor seiner Serie auf die Kinoleinwand zu übertragen. Ein Glücksfall, denn mit dieser Kombination aus neuem Pomp und alten Stärken ist „Türkisch für Anfänger" eine der witzigsten deutschen Kino-Komödien der jüngeren Vergangenheit.

    „Manche Erziehungsexperimente gehen eben schief. Ich war 19 Jahre alt, ich hatte definitiv kein Sexleben und ich war abhängig von Johanniskrautkapseln." (Josefine Preuß als Lena)

    Lena Schneider (Josefine Preuß) ist von ihrer Alt-68er-Mutter Doris (Anna Stieblich) so antiautoritär und unkonventionell erzogen worden, dass sie genau das geworden ist, was ihre Mutter nie haben wollte: spießig und verklemmt. Und statt sich auf ein mögliches Studium vorbereiten zu können, muss die 19-Jährige nun auch noch die Mutter auf einen Party-Urlaub nach Thailand begleiten. Das nächste Übel erwartet sie an Bord des Urlaubsfliegers in Gestalt von Macho Cem Öztürk (Elyas M'Barek). Der türkischstämmige Möchtegern-Rapper ist alles, was Feministin und Öko-Tussi Lena verabscheut. Und da es immer noch schlimmer kommen kann, stürzt das Flugzeug über Wasser ab und das Rettungsboot mit Lena und Cem strandet auf einer einsamen Insel. Mit dabei sind noch Cems Schwester Yagmur (Pegah Ferydoni), eine kopftuchtragende, konservative Muslimin, und der stotternde Grieche Costa (Arnel Taci). Während Cem sich sogleich zum Anführer der Gestrandeten erklärt und die verängstigte Lena jede Gelegenheit zum Widerwort ergreift, trifft die nach dem Absturz mit den übrigen Passagieren gerettete Doris in einer thailändischen Hotelanlage auf den überkorrekten Kriminalbeamten Metin (Adnan Maral), den Vater von Cem und Yagmur. Und trotz aller Gegensätze entwickeln sich bald sowohl im gemütlichen All-inklusive-Hotel als auch im unberührten, möglicherweise von Kannibalen bevölkerten Naturparadies zarte romantische Bande...

    „Absturzbericht. Es sieht schlecht aus. Einsame Insel. Ein völlig desozialisierter Macho. Der andere stottert. IQ eventuell nicht messbar. Das Mädchen vollkommen irre." (Josefine Preuß als Lena)

    Bora Dagtekin („Wo ist Fred?"), selbst Deutsch-Türke, nimmt im „Türkisch für Anfänger"-Kinofilm wie schon in der TV-Serie das Thema Integration bitterböse aufs Korn. Da jagt ein politisch-unkorrekter Oneliner den nächsten. Lena entfährt beim Anblick von Yagmurs Kopftuch ein „Fahr schnell weiter, bevor sie den Zünder drückt", während Cem immer ein Klappmesser dabei hat: „Falls die Nigger uns abziehen!" Doch Dagtekin ist ein zu guter Drehbuchautor, um nur mit diesen Spitzen zu punkten. Schließlich hat er es schon geschafft, die „Mädchen"-Serie „Doctor's Diary" auch für männliche Zuschauer amüsant zu gestalten. In seinen pointierten Dialogen nimmt er von Ausländern, Machos, Öko-Emanzen und religiösen Fanatikern bis hin zu Alt-68ern einfach jeden aufs Korn - und entsprechend hat auch jeder etwas zu lachen. Ganz nebenbei bringt er dazu gleich drei Romanzen in seinem Film unter und lässt auch die Gefühle zu ihrem Recht kommen. Selbst die abstrusesten Wendungen – genannt seien nur die Stichworte Zeugenschutzprogramm und Kannibalen – können seiner Story nichts anhaben, so schwung- und liebevoll ist sie erzählt.

    „Ich date einen türkischen Beamten, das ist imagetechnisch ein Albtraum. Wenn ich das den Mädels vom Orgasmuskurs erzähle, dann bin ich unten durch." (Anna Stieblich als Doris)

    Der versierte Autor Dagtekin, der bei seinen Serien keine einzige Folge selbst inszeniert hat, erweist sich bei seinem Debüt hinter der Kamera auch als hervorragender Regisseur. „Türkisch für Anfänger" kommt nicht nur wegen des wunderbar eingefangenen Insel-Schauplatzes prächtig auf der großen Leinwand zur Geltung, sondern auch durch zahlreiche gekonnt umgesetzte visuelle Einfälle: Da wird dann in Lenas Sextraum eine erstaunliche Brücke vom Inselparadies ins Gefängnis Stuttgart-Stammheim geschlagen, wo sie als Gudrun Ensslin von Cem als Andreas Baader verführt wird. Und wenn Cem Lena am Strand seinen Rap-Song vortanzt, entwickelt sich daraus ein MTV-taugliches Musikvideo mit kleinen Gags im Hintergrund. Der Einfallsreichtum ist nicht auf das Optische und die Dialoge beschränkt: Wie schon die Serie ist auch der Film mit mal stimmungsvollen, mal ironisch kommentierenden Popsongs unterlegt – so wird „Türkisch für Anfänger" zur Augenweide und zum Ohrenschmaus zugleich.

    „Es war so weit. Ich hatte die Kontrolle verloren. Ich folgte einem Haufen Migranten durch einen unerschlossenen Dschungel." (Josefine Preuß als Lena)

    Fazit: Der ungemein sympathische Abspann, in dem die gesamte Crew durch Polaroid-Fotos vorgestellt wird und an dessen Ende wir noch erfahren, was man alles so in einer Flugzeugtoilette (nicht) tun kann, ist der schöne Abschluss einer rundum gelungenen Komödie, bei der herzhaft gelacht werden kann. „Türkisch für Anfänger" funktioniert wunderbar als eigenständiger Kinofilm und besitzt zugleich auch die Qualitäten der Originalserie.

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