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    ParaNorman
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    ParaNorman
    Von Andreas Staben

    2009 bescherte uns das Animationsstudio Laika mit Henry Selicks „Coraline" ein kleines Wunderwerk. In dem beeindruckenden Fantasy-Film gelang die ungewöhnliche Allianz von liebevoll-handgemachter Stop-Motion-Animation mit neuester 3D-Technik. Die traditionsreiche Methode, in detailliert ausgestatteten Kulissen mit handgefertigten Puppen zu arbeiten und für jedes einzelne Filmbild immer nur minimale Veränderungen vorzunehmen, ist in den vergangenen Jahren nur selten auf ganze Kinofilme angewandt worden. Zu den Ausnahmen zählen neben den Knet-Werken der britischen Aardman Studios („Die Piraten", „Chicken Run") auch Puppenfilme von renommierten Realfilmregisseuren wie Tim Burton („Corpse Bride", „The Nightmare Before Christmas" mit Henry Selick) und Wes Anderson („Der fantastische Mr. Fox"). Und natürlich „Coraline", wo die besondere plastische Qualität der Stop-Motion-Animation durch den 3D-Einsatz buchstäblich eine neue Dimension bekommen hat. An diesen technischen Goldstandard knüpfen die Laika-Macher nun mit ihrem neuen 3D-Animationsfilm „ParaNorman" an. Das Schönste aber ist, dass die Regisseure Sam Fell und Chris Butler bei aller formalen Finesse nicht den Inhalt vernachlässigen. Ihr Film ist eine gewinnende Kombination von Grusel-Geschichte und Coming-of-Age-Drama voller Witz, Spannung und Emotion.

    Der elfjährige Norman Babcock (Stimme: Kodi Smit-McPhee) hat es nicht leicht. Er kann tote Menschen sehen und mit ihnen reden, was ihm weder seine Eltern Perry (Jeff Garlin) und Sandra (Leslie Mann) noch seine Teenagerschwester Courtney (Anna Kendrick) und die Lehrerin Mrs. Henscher (Alex Borstein) glauben. Es gibt in dem ganzen Städtchen Blithe Hollow in Neuengland überhaupt nur zwei Personen, die ihm Verständnis entgegenbringen – sein bester Freund Neil (Tucker Albrizzi) und sein wunderlicher Onkel Prenderghast (John Goodman). Der offenbart Norman Unglaubliches: Die Legende, die besagt, dass auf Blithe Hollow der Fluch einer Hexe liege, ist wahr. Nur Norman kann verhindern, dass seine Heimatstadt noch in dieser Nacht zerstört wird. Erneut glaubt dem Jungen zunächst niemand, doch dann steigen die Zombies aus ihren Gräbern auf dem Friedhof. Norman will die Hexe besänftigen, aber er ist ausgerechnet auf die Hilfe seines Erzfeindes Alvin (Christopher Mintz-Plasse), von Courtney und von Neils nicht besonders schlauem großen Bruder Mitch (Casey Affleck) angewiesen...

    „ParaNorman" ist anders als andere Filme genau wie sein Protagonist anders ist als andere Kinder. Das ist gleich am Anfang sonnenklar, da sehen wir gemeinsam mit Norman und seiner Oma (Elaine Stritch) im Fernsehen ein Stückchen eines billigen Horrorfilms im alten 4:3-Bildformat mit grellen Effekten und grandios-überkandidelter Musik. Da ist dann schon einmal ein Mikrofon im Bild zu sehen und einiges erinnert an den guten alten Ed Wood, den bekanntlich nach landläufiger Meinung schlechtesten Regisseur aller Zeiten. Aber das ist hier keine Parodie auf billig produzierten Trash, sondern Sam Fell („Flutsch und Weg") und Chris Butler, der auch das Drehbuch verfasste, geben gleich einmal eine filmische Liebeserklärung an das Handgemachte, das Seltsame und das Unverstandene ab. Anders als in vielen anderen Animationsfilmen, die ebenfalls voller popkultureller Anspielungen stecken, gibt es hier mehr als nur clevere Verweise und Gags (auch das kommt aber vor: witzig ist etwa ein „Halloween"-Klingelton). Die Einflüsse - von den klassischen Universal-Monster-Movies wie „Frankenstein" über die Zombiefilme von George A. Romero (der Mob) bis zu den so unterschiedlichen Kino-Welten von Tim Burton und Hayao Miyazaki (die Hexe und die entfesselten Gewalten der lebendigen Natur im Finale) – sind auch ohne Holzhammerhinweise spürbar und prägen „ParaNorman" unterschwellig mit.

    „ParaNorman" ist eben kein belangloses Potpourri von Referenzen, vielmehr wird hier eine Geschichte von Gruppendruck und Mob-Mentalität erzählt, der die Filmemacher starke individuelle Überzeugungen und am Ende ein bewegendes Plädoyer für Solidarität und Vergebung gegenüberstellen. Der Film beginnt wie das typische Drama eines jugendlichen Außenseiters garniert mit einem Schuss „The Sixth Sense" (die Oma auf der Couch ist längst tot und für alle außer Norman unsichtbar) und bekommt zwischendurch die drängende Wucht eines Gesellschaftsdramas in der Art von Arthur Millers „Hexenjagd". Das wahre Kunststück ist, dass das alles nie aufgesetzt oder überladen wirkt, sondern im Gegensatz stets unglaublich unterhaltsam bleibt. Es gibt mitreißende Action, wenn die Zombies das Auto mit Norman und seinen Freunden attackieren, atmosphärische Gruselmomente und immer wieder eingestreuten Humor (köstlich: wenn die Polizei per Durchsage zur Panik aufruft). Dabei sind die durchaus konventionell angelegten Figuren (das Püppchen, der gutmütige Dicke, der tumbe Muskelprotz) am Ende mehr als es zunächst scheint - und mittendrin ein spöttisch „AbNorman" genannter Außenseiter, der sich als Held erweist. Er kann gar nicht anders: Selbst seine steil zu Berge stehenden Haare lassen sich nicht zähmen. Der 3D-Drucker der Produktion hat übrigens über 30.000 verschiedene Gesichtsausdrücke für das Mienenspiel der Puppen ausgespuckt - ein Aufwand, der sich gelohnt hat, denn erzählerischer und gestalterischer Reichtum vereinen sich in „ParaNorman" zu einer einmaligen Atmosphäre.

    Fazit: Tolle Mischung aus Grusel-Horror und Jugenddrama in unvergleichlichem 3D-Stop-Motion-Look.

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