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    The Place Beyond The Pines
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    The Place Beyond The Pines
    Von Björn Becher

    Satte 12 Jahre dauerte es trotz guter Kritiken für seinen Erstling „Brother Tied" bis Filmemacher Derek Cianfrance sein Zweitwerk „Blue Valentine" finanziert und realisiert hatte. Mit dem oscarnominierten Drama (Michelle Williams als Beste Hauptdarstellerin) gelang ihm 2010 dann aber der Durchbruch und es öffneten sich ihm endlich die Türen von Produzenten und Geldgebern. Sein nächstes Werk konnte er so recht schnell in Angriff nehmen und in „nur" zwei Jahren fertigstellen, wobei allein die Arbeit im Schneideraum mehr als neun Monate in Anspruch nahm. Diese Sorgfalt ist Cianfrances 140-Minuten-Opus „The Place Beyond The Pines" anzusehen: In dem mit überraschenden Wendungen garnierten Parforceritt stecken gleichsam drei Filme in einem. Der Regisseur verbindet virtuos Action, Thriller und Drama und untermauert mit seiner herausragend fotografierten sowie von den Darstellern um Ryan Gosling, Bradley Cooper und Dane DeHaan stark gespielten Studie über Schuld und Sühne seinen Ruf als einer der spannendsten Filmemacher im amerikanischen Independentkino.

    Luke (Ryan Gosling) schlägt sich als Motorradstuntfahrer bei einem umherziehenden Jahrmarkt durchs Leben. In der Kleinstadt Schenectady trifft er Romina (Eva Mendes) wieder, mit der er bei seinem letzten Besuch ein kurzes Verhältnis hatte. Als er erfährt, dass daraus ein inzwischen einjähriger Junge hervorgegangen ist, wird er sesshaft, um für Mutter und Kind da zu sein - obwohl Romina mit Kofi (Mahershalalhasbaz Ali) bereits einen neuen Partner hat. Der abgehalfterte Werkstattbesitzer Robin (Ben Mendelsohn) bringt Luke auf die Idee, als Bankräuber ans nötige Kleingeld zu kommen, um Romina etwas bieten zu können. Nachdem die ersten Überfälle erfolgreich verlaufen, geht Luke immer mehr Risiko ein, was schließlich in eine wilde Verfolgungsjagd und eine Auseinandersetzung mit dem Streifenpolizisten Avery (Bradley Cooper) mündet. Der ist ebenfalls frischgebackener Papa, flüchtet vor seiner Frau Jennifer (Rose Byrne) und dem kleinen Sohn aber immer tiefer in seine Arbeit. Den Polizeijob hat er gewählt, obwohl ihm nach dem Jurastudium eine ähnlich glanzvolle Polit-Karriere wie seinem Vater Al (Harris Yulin) bevorstand. Nun wollen korrupte Cop-Kollegen um den schmierigen Deluca (Ray Liotta) ihn mit in ihre schmutzigen Geschäfte ziehen. 15 Jahre später lernt Lukes Sohn Jason (Dane DeHaan) schließlich AJ (Emory Cohen) kennen, den Sprössling von Avery. Die beiden Teenager erleben zusammen Drogenabenteuer, doch die Situation eskaliert, als Jason ihre gemeinsame Vergangenheit entdeckt.

    Wie einst in Alfred Hitchcocks „Psycho" gibt es in „The Place Beyond The Pines" (der Filmtitel ist die englische Übersetzung des indianischen Städtenamens Schenectady) einen überraschenden Bruch (hier nach rund 40 Minuten), der dem Film eine ganz neue Richtung gibt. Derek Cianfrance toppt das Ganze noch, indem er nach zwei Filmdritteln einen weiteren radikalen Einschnitt vornimmt. Mit der Wendung geht jeweils ein sanfter Wechsel des Erzähltons und des Genres einher, so dass auf eine Bankräuberstory, ein Thriller-Drama aus der Welt korrupter Cops folgt, ehe eine Coming-Of-Age-Geschichte mit Rachemotiv den Film abschließt. Die drei einzelnen Teile sind extrem verknappt (schließlich wird hier jeweils Stoff für einen ganzen Spielfilm in eine knappe Dreiviertelstunde gepresst), aber gerade diese elliptische Erzählweise trägt dazu bei, dass die Verbindungen, die übergeordneten Themen richtig zur Geltung kommen. So ist „The Place Beyond The Pines" ganz sicher kein Episodenfilm mit drei eigenständigen Teilen, sondern vor allem ein facettenreiches und weitgespanntes Epos über die Frage, welche Folgen die Handlungen einer Generation für die nächste haben.

    Während sich Cianfrance etwa in der Story rund um „Hangover"-Star Bradley Cooper zunächst sehr viel Zeit nimmt, um zu zeigen, wie dessen korrupte Kollegen probieren, ihn in ihre Fänge zu bekommen (erst duldet er ihre Vergehen, dann versucht er sie zu ignorieren, schließlich entschließt er sich zu handeln), hält er sich mit Averys Befreiungsschlag nur so kurz wie eben nötig auf. Der Regisseur erzählt hier in wenigen Minuten, was sonst das Thema eines ganzen Korruptionsdramas à la „Serpico" wäre. Oft bekommt Cianfrances Film gerade durch die Auslassungen eine besondere Prägnanz: Die Beziehung von Avery zu seiner kleinen Familie findet im Prinzip nicht statt, also gibt es auch kaum gemeinsame Szenen mit Frau und Kind. Und wenn der Polizist dann doch einmal sein eigenes Baby im Arm hält (im Krankenbett liegend, so dass er gar nicht anders kann), steht das in vielsagendem Kontrast zu einem deutlich liebevolleren Moment des Polizisten mit dem Kleinkind eines anderen. Die Distanz zum eigenen Sohn ist nur grob skizziert, erscheint in Cianfrances Gesamtentwurf aber absolut schlüssig als Gegenreaktion Averys darauf, dass sein eigener Vater ihn mit Zuwendung und gut gemeinten Karriereplänen förmlich erdrückt hat. Luke wiederum geht den umgekehrten Weg: In seinem Leben gab es nie einen Vater, deswegen versucht er mit aller Gewalt und auch gegen den Willen der Mutter für seinen Sohn Jason da zu sein, was ihn schließlich veranlasst, Banken auszurauben.

    Dieser Jason wiederum steht im finalen, 15 Jahre später spielenden Drittel im Mittelpunkt. Dane De Haan, dem mit „Chronicle - Wozu bist du fähig?" der Durchbruch gelang und der spätestens mit „The Amazing Spider-Man 2" auch der breiten Öffentlichkeit bekannt werden dürfte, brilliert als Jugendlicher auf Identitätssuche. Zornig versucht er mehr über seinen Vater zu erfahren, experimentiert mit Drogen, lässt sich die Fresse polieren und besorgt sich schließlich eine Waffe. Mit der Konfrontation zwischen den Söhnen von Luke und Avery bringt Cianfrance sein Generationenthema zu einem konsequenten Abschluss: Einst haben die Großväter die Väter geprägt, nun zeigt sich deren Einfluss auf die Enkel. Jede Handlung hat hier massive Auswirkungen auf das Leben anderer (vor allem der eigenen Kinder) und diese Konsequenzen können sich dabei vielleicht auch erst Jahre später zeigen. Cianfrance lässt diese an sich etwas banale Feststellung in vielen sprechenden Details lebendig werden und macht vor allem die ganze Bandbreite an Emotionen und Widersprüchen spürbar, ohne dem Geschehen dabei zwangsläufig eine schicksalhafte Unausweichlichkeit zuzuschreiben.

    Gegenüber dem Zweipersonenstück „Blue Valentine" hat Cianfrance in „The Place Beyond The Pines" nicht nur sein Figurenarsenal aufgestockt, sondern auch zeitlich, erzählerisch und inszenatorisch die Perspektive geweitet – geblieben ist der präzise Blick für zwischenmenschliche Beziehungen und die Intensität der Darstellung. Ryan Gosling, Bradley Cooper und Dane DeHaan sind allesamt herausragend, aber auch die restliche Besetzung zeigt bis in kleinste Nebenrollen glänzende Leistungen. Cianfrance wiederum zeichnet sich hier nicht nur als einfühlsamer Schauspielerregisseur aus, sondern profiliert sich auch als Stilist. Unterstützt von seinem Kameramann Sean Bobbitt, der schon Steve McQueens „Shame" richtig gut aussehen ließ, arbeitet er vor allem mit langen Einstellungen. Schon in der eindrucksvollen Eröffnungsszene verfolgt die Kamera einen mit Tattoos übersäten Ryan Gosling ohne einen einzigen Schnitt quer über den Rummelplatz in ein Zelt hinein, wo er sich auf ein Motorrad setzt und die Stuntshow beginnt. Dass „Drive"-Star Gosling viele der Zweiradszenen selbst drehte und nur die gefährlicheren Manöver Stuntmen überließ, zahlt sich voll aus, da er es Cianfrance so ermöglichte auch die Banküberfälle mit möglichst wenigen Schnitten zu drehen. Prunkstück ist dabei eine lange Verfolgungsjagd quer über einen Friedhof (hier aber mit Stuntman), auf die auch der ein oder andere routinierte Action-Spezialist unter seinen Regie-Kollegen neidisch sein dürfte.

    Fazit: Derek Cianfrances „The Place Beyond The Pines" ist ein intensives und brillant bebildertes Drama. Mit der bisweilen sehr elliptischen Erzählweise in drei unterschiedlichen, aber durch übergreifende Themen und Motive zusammengehaltenen Teilen gelingt dem Regisseur ein seltenes Kunststück, denn auch das Nicht-Gezeigte und das Nicht-Gesagte trägt hier wesentlich zu einem besonders ausdrucksstarken Kinoerlebnis bei.

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