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    Ai Weiwei: Never Sorry
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Ai Weiwei: Never Sorry
    Von Tim Slagman

    Das Ausstrecken des Mittelfingers gehört auch in einer an allerlei Krawall gewöhnte Gesellschaft noch zu den Gesten, mit denen man auf sich aufmerksam machen kann. Der chinesische Künstler Ai Weiwei, der in seinem Heimatland regelmäßig die Grenzen dessen auslotet, was den Autoritäten als Provokation gerade noch zuzumuten ist, hat eine Fotoserie gemacht, in der er seinen Stinkefinger den Orten und Gebäuden entgegenreckt, die für ihn Macht und Herrschaft symbolisieren – darunter auch dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking. Dieses Motiv ziert das Poster von Alison Klaymans filmischem Porträt Ais, in dem die Regisseurin vornehmlich den Künstler selbst und seine Gefährten zu Wort kommen lässt. So gerät die biografische Dokumentation „Ai Weiwei – Never Sorry" zu einer eher unkritischen Heldengeschichte, in der nur manch kleiner, unscheinbarer Moment dazu anregt, auch über die inneren Widersprüche seiner Hauptfigur zu sinnieren.

    Ai war maßgeblich am Entwurf des Vogelnest genannten Nationalstadions beteiligt, dem Symbol der Olympischen Spiele 2008 in Peking. Doch an der Eröffnungsfeier nahm er nicht teil, sie war für ihn eine Propagandaveranstaltung für Touristen – die Einwohner der Stadt hatten ja nichts von seinem Werk und den Spielen. Von dieser Kontroverse ausgehend hat Klayman Ai drei Jahre lang begleitet. Ihre Erzählung hat sie lose um eine Polizei- und Justizposse strukturiert: Ai hatte in mehreren Projekten der toten Kinder des verheerenden Erdbebens von 2008 in der Provinz Sichuan gedacht, ihre Namen gesammelt, veröffentlicht und sowohl die Vertuschungstaktik der Behörden als auch die Schlampereien am Bau öffentlich kritisiert – genau wie der Aktivist Tan Zuoren, der dafür vor Gericht gestellt wurde. Ai war als Zeuge geladen, wurde jedoch von der Polizei auf seinem Hotelzimmer festgehalten und geschlagen, während Tan zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde.

    Und damit beginnt für Ai eine Odyssee durch die Amtsstuben, in denen er wieder und wieder die Polizeigewalt anzeigt und – vergeblich – auf ein Verfahren gegen die Beamten hofft. Immer dabei hat Ai Freunde und Mitarbeiter, also potenzielle Zeugen, sein Fotohandy, Digitalkameras. Diese lückenlose Dokumentation dient freilich ebenso dem Selbstschutz wie der Gegenpropaganda, und sie sorgt in Klaymans Film für einen absurden Moment des Meta-Kinos: Vor einem Restaurant hat sich Ai Weiwei mit seiner Gruppe auf dem Bürgersteig niedergelassen, um zu essen. Die Polizei fürchtet nicht ganz zu Unrecht ein politisches Happening und entscheidet sich, die Sache zu filmen. Also sieht man den starren Blick des Polizei-Camcorders, der Klayman filmt, wobei Ais Assistent wiederum dem Polizisten über die Schulter filmt – eine Standardsituation des Actionfilms, nur dass die Kameras die Pistolen ersetzen: Der letzte, auf den keine gerichtet ist, gewinnt.

    Die Komik dieses Augenblicks verstellt dabei für einen kurzen Moment die Sicht darauf, dass es nahezu unmöglich scheint, authentische Bilder zu produzieren über einen, der selber ein großer Bilderproduzent ist, ein Kommunikator, der unablässig über Twitter und seinen mittlerweile verbotenen Blog publiziert hat. Und so gelingt es auch Klayman, die ihre eigenen Aufnahmen gekonnt mit denen ihres Protagonisten, mit seinen Twitter-Nachrichten und Interviews mit Kollegen, Kuratoren und Wegbegleitern collagiert, nicht immer, ihren eigenen Blick von dem Ais zu lösen. Einmal ist ein Gespräch in der Londoner Tate Modern-Galerie zu sehen, in dem ein britischer Journalist den Künstler zu seinem unehelichen Sohn befragt: Was sagt denn die Ehefrau dazu? Es bleibt offen, ob Klayman sich nicht getraut hat, diese Frage selbst zu stellen oder ob sie ihr verzichtbar schien, weil sie sicher war, dass sie auch keine andere Antwort als dieser Journalist bekommen würde.

    Doch in demselben Raum gelingt ihr auch eine der berührendsten Einstellungen, ob nun gestellt oder nicht: Ganz allein laufen Ai und sein kleiner Sohn über seine Installation „Sunflower Seeds", für die er einen Teppich aus 100 Millionen Sonnenblumenkernen verlegt hat. Sie schlendern entspannt mal hier und mal dort hin und am Ende steht die Installation, die Kunst, das Werk in voller Breite zwischen ihnen und trennt sie. Überhaupt entstehen in den intimen Momenten Ais mit seiner Familie genau die überraschenden Einblicke und Reibungspunkte, die der Film ansonsten vermissen lässt: Fernab der Kamera, aber von Klayman herangezoomt, spricht Ais Mutter mit ihm über ihre Ängste, darüber, was passieren könnte, wenn ihr Sohn sich weiter so offen mit den Autoritäten anlegt. Und Ai beschwichtigt sie kurz, fast ein wenig lustlos – wie eine Zurückweisung sieht das aus.

    Fazit: Alison Klayman gelingt die Balance zwischen Werk, Leben und politischem Engagement des Künstlers in ihrer Dokumentation „Ai Weiwei – Never Sorry" recht gut, es ergibt sich ein facettenreiches Porträt des umtriebigen Aktivisten – für ein facettenreicheres Bild des Menschen dahinter ist die Arbeit allerdings ein wenig zu unkritisch geraten.

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