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    Belle & Sebastian
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Belle & Sebastian
    Von Andreas Günther

    Was hatten eigentlich deutsche Soldaten im Jahre 1943 in Frankreich zu suchen? Warum schikanierten sie die Bauern in den französischen Alpen und beschlagnahmten deren Lebensmittel? Warum machten sie Jagd auf Juden? Wer mit seinen Kindern „Belle & Sebastian“ anschaut, muss im Anschluss mit solchen Fragen rechnen. Denn Regisseur Nicolas Vanier („Der letzte Trapper“, „Der Junge und der Wolf“) will in seinem Jugendfilm viel mehr erzählen als nur die Geschichte von der Freundschaft zwischen einem kleinen Jungen und seinem großen Hund, was ihm trotz bisweilen etwas schematischer Story auch gelingt. Das Ergebnis ist außergewöhnlich und spannend und fördert so auch gelungen die Neugier junger Zuschauer.

    Im Jahre 1943 haben deutsche Truppen auch das Dorf in den französischen Alpen besetzt, in dem der kleine Sebastian (Félix Bossuet) bei dem alten César (Tchéky Karyo) auf der Alm lebt. Dort muss sich die Nichte Césars, die Bäckereiverkäuferin Angélina (Margaux Chatelier), den  Avancen des deutschen Leutnants Peters (Andreas Pietschmann) erwehren, während sie heimlich den Dorfarzt Guillaume (Dimitri Storoge) unterstützt, der verfolgten Juden zur Flucht in die nahe Schweiz verhilft. Das Dorf sucht indes einen herrenlosen Hund, den man verdächtigt, Schafe zu reißen. Doch Sebastian, der mit Belle, wie er die Hündin nennt, längst Freundschaft geschlossen hat, weiß es besser. Als sich der Winter nähert, fahnden die Deutschen fieberhaft nach den Fluchthelfern, die eine weitere jüdische Familie retten wollen, und zudem soll eine Treibjagd Belle endlich zur Strecke bringen…

    Trotz der aufreibenden zeitgeschichtlichen Handlung findet Regisseur Vanier von Beginn an immer wieder Platz für Szenen, in denen er mal kindliches Spiel zeigt und mal einer gewissen Résistance-Folklore frönt: Sebastian und Belle tollen auf den grünen Wiesen herum. Französische Schulkinder winken einem Lastwagen mit deutschen Truppen zu. Die kluge und mutige Belle klaut den ungeliebten Besatzern konfiszierte Würste unter der Nase weg. Mit diesen lockeren Einschüben bewegt er sich in der Tradition der Vorlagen, einer Kinderbuchreihe und einer gleichnamigen Fernsehserie. Auf diese Weise werden gekonnt ernster, historischer Hintergrund und spannende, unterhaltsame Jugendunterhaltung miteinander verwoben.

    „Belle & Sebastian“ ist zudem auch ein Plädoyer an die jungen Zuschauer für ein neues Verständnis von Natur und Zeitgeschichte. Besonders bezeichnend ist das aufregende Finale, bei dem während eines Sturms - hoch in den verschneiten Bergen und ausgerechnet am Heiligabend - jüdische Flüchtlinge in die Schweiz gebracht werden sollen. Indem Regisseur Vanier und Chefkameramann Éric Guichard die Rettungsgeschichte in den weiß glänzenden und kolossalen Alpen visualisieren, codieren sie ein Stück Bildtradition um: Aus dem Bergfilm als präfaschistischem Survival-Drama à la „Die weiße Hölle vom Piz Palü“ von Arnold Fanck mit Leni Riefenstahl wird ein erhabenes Plädoyer für den Kampf um die Freiheit jedes Einzelnen.

    Das Drehbuch, das Regisseur Vanier mit seinen Co-Autoren Juliette Sales („Dorothy Mills“) und Fabien Suarez („L'entente cordiale“) verfasst hat, mag zwar überdeutliche patriotische Töne haben, schont aber niemanden. Hündin Belle, deren schönes weißes Fell erst wieder zum Vorschein kommt, als sie mit Sebastian im Fluss badet, ist dabei eine Allegorie für die Grande Nation: im Kern gut und mutig, aber verwildert, verstört, verfolgt und schlecht behandelt – nicht zuletzt von den eigenen Leuten. Nur der unverdorbene Sebastian kann ihr Freund werden. Doktor Guillaume wirkt zwar unsympathisch und ist ein heimlicher Macho, doch er, Angélina und ein paar Ältere sind die einzigen im Dorf, die gegen die Deutschen kämpfen. Der Bürgermeister und seine Leute vergnügen sich hingegen lieber damit, Gämse zu schießen – ein Fingerzeig auch in die französische Gegenwart, in der der Schutz von Wildtieren nicht immer Priorität besitzt.

    Fazit: Nicolas Vaniers „Belle & Sebastian“ ist ein außergewöhnlicher, vielschichtiger Kinderfilm, in dem Mensch und Natur gleichberechtigt neben Zeitgeschichte und Politik stehen. Ein Film zum Mitfiebern, aber auch zum Fragen und Diskutieren.  

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